Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Handbuch des Verwaltungsrechts - Группа авторов страница 70
3
Bedeutung der Kompetenzfrage
Kompetenzfragen sind Machtfragen. Es geht um Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten. Entsprechend ist die Verteilung der Kompetenzen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten von zentraler Bedeutung für das Verständnis der rechtlichen Grundlagen der europäischen Integration. Kompetenzverteilungsfragen sind ein klassisches Thema der Bundesstaatstheorie. Eine bundesstaatliche Struktur ist die EU jedoch nicht. Daher empfiehlt es sich, in einem ersten Schritt Begriffe und Konzepte des europäischen Kompetenzverfassungsrechts auszuleuchten (dazu B.). Darauf aufbauend lässt sich eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen europäischen Kompetenzordnung mit ihren Kompetenzkategorien und Kompetenzbereichen vornehmen (dazu C.). Das Kompetenzthema umschließt an sich auch Fragen nach der Zuordnung von Kompetenzen an Kompetenzträger (wer übt Kompetenzen aus), nach Handlungsformen (in welcher rechtlichen Gestalt werden Kompetenzen ausgeübt), nach Kompetenzausübungsregeln (das „Wie“ der Kompetenz im Gegensatz zum „Ob“) und nach der Ausführungs- und Umsetzungsdimension. Der Schwerpunkt der nachfolgenden Analyse liegt auf den Rechtsetzungskompetenzen, weil Fragen der Verteilung von Verwaltungs- und Rechtsprechungskompetenzen und Kompetenzausübungsfragen in anderen Kapiteln behandelt werden.[7] Jenseits der primärrechtlich vorgegebenen Kategorien und Sachbereiche erschließen sich bestimmte Wirkmechanismen und strukturelle Zusammenhänge der europäischen Kompetenzordnung erst über die Betrachtung konkreter Fallbeispiele (dazu D.). Wenn Kompetenzfragen Machtfragen sind, sind Kompetenzkonflikte unausweichlich: Dann wird die Frage, wer die Letztentscheidung im Kompetenzkonflikt trifft, zur Schlüsselfrage der Kompetenzordnung (dazu E.).
I. Die Unschärfen des Kompetenzbegriffs
4
Komplexität
Schon ein oberflächlicher Blick auf die Erscheinungsformen hoheitlichen Handelns ergibt, dass der Begriff der Kompetenz höchst unterschiedlich verwendet wird und entsprechend komplex ist.[8] Er findet sich im Zusammenhang mit der Erzeugung von Rechtsnormen[9] ebenso wie zur Bezeichnung einer Zuständigkeit von Gerichten und Behörden[10] und führt auf Grundfragen des Staats- und Verfassungsrechts nach den Ursprüngen von Hoheitsgewalt.
5
Übersetzungsunschärfen
Hinzu kommt, dass im mehrsprachigen Kontext des europäischen Verfassungsrechts erhebliche Übersetzungsunschärfen bestehen. So ist beispielsweise[11] der von deutschen Muttersprachlern meist ganz selbstverständlich für eine englische Übersetzung gewählte Begriff „competence“ im anglo-amerikanischen Rechtskreis ursprünglich eher mit dem Bedeutungsgehalt „Expertise“ belegt und im Plural eigentlich ganz unüblich. Dort würde man von „powers“ sprechen, um eine Rechtsmacht zu bezeichnen.[12] Dies wiederum ist ein kaum ohne Verluste ins Deutsche übertragbarer Begriff. Hier deutet sich an, wie voraussetzungsvoll und mühsam ein europäischer Diskurs über Kompetenzfragen ist.
6
Kompetenz als Sammelbegriff
Als Arbeitsdefinition lässt sich festhalten,[13] dass – in einem weiten Verständnis – Kompetenzen Hoheitsrechte bezeichnen,[14] die Rechtsträgern zugeordnet und die beschränkt sind. So verstanden umfasst Kompetenz als Sammelbegriff Zuständigkeit,[15] Aufgabe, Befugnis, Recht oder Ermächtigung – kurz: jede Rechtsmacht zur Herbeiführung rechtlich erheblicher Entscheidungen.
7
Beschränkte Rechtsmacht
Neben dem mit jedem Kompetenzverständnis verbundenen Kriterium der Zurechenbarkeit eines bestimmten Kompetenzinhaltes zu einem Kompetenzsubjekt liegt einem solchen Kompetenzbegriff vor allem die Annahme einer Beschränktheit der Rechtsmacht zugrunde. Im Absolutismus oder im totalen Staat ist für die Frage nach der Kompetenz letztlich kein Raum. Demgegenüber ist die Beschränktheit von Rechtsmacht das Kennzeichen der verfassten Hoheitsgewalt in den westlichen Demokratien.
II. Positive Kompetenzbestimmungen
8
Definition positive Kompetenzbestimmungen
Bei der Frage nach der rechtlichen Begrenztheit von Hoheitsgewalt lässt sich zwischen positiven und negativen Kompetenzbestimmungen unterscheiden. Positive Kompetenzbestimmungen sind der Normalfall der Kompetenzzuweisung. Regelmäßig knüpfen solche Bestimmungen die Rechtsfolge der Kompetenz an die Erfüllung bestimmter Tatbestandsmerkmale. Wenn beispielsweise das Kompetenztatbestandsmerkmal „Gesetzgebung im Bereich der Staatsangehörigkeit im Bunde“ erfüllt ist, weil eine zu regelnde Sachfrage sich mit diesem Kompetenzthema deckt, ergibt sich als Rechtsfolge eine Bundeskompetenz zur Regelung dieser Sachfrage (vgl. Art. 73 Abs. 1 Nr. 2 GG). Wenn eine Sachfrage sich unter das Tatbestandsmerkmal „Auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen“ subsumieren lässt, besteht eine Rechtsetzungskompetenz für das Europäische Parlament und den Rat gemäß Art. 48 AEUV.
9
Finale Kompetenzbe stimmungen
Hier zeigt sich bereits ein typischer Zug der Unionskompetenzen, die regelmäßig über Sachmaterien hinaus an Zielsetzungen orientiert sind.[16] Unabhängig davon, ob solche finalen Kompetenzbestimmungen im Vergleich zu sachbereichsorientierten Kompetenzbestimmungen bereits Politikentscheidungen und Gestaltungsaufträge enthalten,[17] knüpfen auch diese in der Grundstruktur die Rechtsfolge der Kompetenz an die Erfüllung eines Kompetenztatbestandes.
10
Differenzierte Kompetenzrechtsfolge
Die Kompetenzrechtsfolge kann dabei im Einzelnen durchaus differenziert gefasst sein. Sie kann beispielsweise allgemein wie bei der früheren Rahmengesetzgebung des Bundes[18] von vornherein nur eingeschränkt zugesprochen werden, oder aber in der konkreten Kompetenzrechtsfolge inhaltlich determiniert werden, etwa im genannten Beispiel des Art. 48 AEUV, wo es im Einzelnen heißt:
„[Das Europäische Parlament und der Rat beschließen [...] die [...] notwendigen Maßnahmen]; zu diesem Zweck führen sie insbesondere ein System ein, das zu- und abwandernden Arbeitnehmern und Selbstständigen sowie deren anspruchsberechtigten Angehörigen Folgendes sichert: a) die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen; b) die Zahlung der Leistungen an Personen, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten wohnen“.
Damit