Praxis des Bußgeldverfahrens im Kapitalmarktrecht. André-M. Szesny
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II. Schweigerecht
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Wie dargelegt, kommt der Gesellschaft als Nebenbeteiligte ein einfach-gesetzliches Schweigerecht (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 444 Abs. 2 S. 2, 426 Abs. 2, 163a Abs. 3 S. 2, 136 Abs. 1 S. 2 StPO) zu, das durch die vertretungsberechtigten Organe ausgeübt wird.[197] Die vertretungsberechtigten Organe der Gesellschaft werden als Betroffene angehört.[198] Daher dürfen sie nicht wie aussageunwillige Zeugen mit Zwangsmitteln zur Aussage gezwungen werden. Juristische Personen sollen sich nach BVerfG im Übrigen nicht zusätzlich auf das verfassungsrechtlich verankerte Schweigerecht berufen können.[199]
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Das Schweigerecht umfasst insbesondere die Freiheit, keine Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen machen zu müssen.[200]
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Praxishinweis
Die BaFin ist wegen den hohen Geldbußen, die sie typischerweise verhängt, verpflichtet, die Höhe der Geldbuße auf konkrete Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen zu stützen. Denn von der Leistungsfähigkeit des Bußgeldadressaten ist abhängig, wie empfindlich und damit nachhaltig ihn die Geldbuße trifft.[201] Lassen sich die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht aufklären, ist die BaFin zur Schätzung berechtigt;[202] speziell zur Schätzung des Gesamtumsatzes siehe § 120 Abs. 23 S. 4 WpHG.[203] Will die Nebenbeteiligte eine möglicherweise zu ihren Ungunsten erfolgende Schätzung vermeiden, kann es in ihrem Interesse liegen, sich zu den wirtschaftlichen Verhältnissen zu äußern. Dabei besteht die Gefahr, dass sich das Unternehmen selbst belastet, indem die Gesellschaft unbeabsichtigt ad-hoc pflichtige Vorgänge schildert. So liegt es, wenn sich das vertretungsberechtigte Organ einlässt, das Unternehmen habe infolge der SARS-CoV-2-Pandemie erhebliche Umsatzeinbußen erlitten, ohne dies zuvor ad-hoc gemeldet zu haben (vgl. § 120 Abs. 15 Nr. 6 WpHG).
III. Recht auf anwaltlichen Rechtsbeistand
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Die Nebenbeteiligte kann sich in jeder Lage des Verfahrens, mithin auch schon im Ermittlungsverfahren (vgl. § 428 Abs. 3 StPO), eines Rechtsanwalts mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht bedienen, § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 S. 1 StPO.[204] Unter den Voraussetzungen des § 428 Abs. 2 StPO wird der betroffenen Gesellschaft ein anwaltlicher Beistand beizuordnen sein.[205]
IV. Akteneinsichtsrecht
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Die Nebenbeteiligte hat im Bußgeldverfahren gem. §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG ab Erlass des Bußgeldbescheids sämtliche Rechte eines Betroffenen und damit auch Anspruch auf Akteneinsicht. Wegen der nur lückenhaft geregelten Rechtstellung der Nebenbeteiligten ist ein solches im Ermittlungsverfahren nicht ohne Weiteres selbstverständlich (dazu unter Rn. 138 f.).
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Ist die Nebenbeteiligte durch einen Rechtsanwalt vertreten, kann dieser aus eigenem Recht in jeder Lage des Verfahrens, also auch im Ermittlungsverfahren Akteneinsicht nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 444 Abs. 2 S. 2, 428 Abs. 1 S. 2, 147 StPO nehmen. Das „Wie“ der Akteneinsicht bestimmt sich nach den Regeln der Akteneinsicht für den Betroffenen bzw. dessen Verteidiger.[206]
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Ist die Nebenbeteiligte nicht anwaltlich vertreten, ist ein eigenständiges Akteneinsichtsrecht im Ermittlungsverfahren fraglich. So ließe sich vertreten, dass sich die Verfahrensrechte der Nebenbeteiligten im Ermittlungsverfahren auf die in § 426 Abs. 2 StPO in Bezug genommenen Rechte beschränken. Wegen der ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers in §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG kann argumentiert werden, dass ihr ein eigenes Akteneinsichtsrecht erst ab Erlass des Bußgeldbescheids zusteht.[207] Auch wird das Akteneinsichtsrecht nicht aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 444 StPO herzuleiten sein. Denn die gem. § 444 Abs. 2 S. 2 StPO in Bezug genommenen Vorschriften des Einziehungsverfahrens sehen vor Eröffnung des Hauptverfahrens ebenfalls kein ausdrücklich geregeltes Akteneinsichtsrecht des Einziehungsbeteiligten vor (vgl. § 427 Abs. 1 S. 1 StPO).[208]
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Richtigerweise steht der Nebenbeteiligten entsprechend § 49 Abs. 1 OWiG das Recht zu, die Akten einsehen zu dürfen. Denn nur mit Aktenkenntnis wird die Nebenbeteiligte in die Lage versetzt, die ihr unstreitig über § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 444 Abs. 2, 426 Abs. 2 StPO schon im Ermittlungsverfahren zustehenden Rechte – wie das Beweisantragsrecht (vgl. § 136 Abs. 1 S. 5 StPO) – sinnvoll auszuüben.[209] Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die weitgehende Gleichstellung der Verfahrensstellung der Gesellschaft im Einziehungsverfahren und bei der Festsetzung der Verbandsgeldbuße mit der von der Rechtsprechung mittlerweile anerkannten beschuldigtenähnlichen Stellung des Unternehmens im Verfahren nach § 88 OWiG nicht mehr vereinbar ist (siehe Rn. 130). Die Regelung des §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 S. 1 OWiG steht der Zubilligung sämtlicher Betroffenenrechte im Ermittlungsverfahren wie dem Akteneinsichtsrecht daher nicht entgegen.
E. Abschluss der Ermittlungen
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Sobald der bußgeldrelevante Sachverhalt ausermittelt ist, ist gem. § 61 OWiG der Abschluss der Ermittlungen in den Akten zu vermerken. Die Bedeutung der Vorschrift liegt darin, dass ab diesem Zeitpunkt das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers und das Recht zur Besichtigung der amtlich verwahrten Beweisgegenstände nicht mehr zum Schutz der Ermittlungen beschränkbar ist (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 147 Abs. 2 StPO; vgl. auch Nr. 109 Abs. 1 RiStBV).
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Um die Verfahrens- und Qualitätsstandards im Bußgeldverfahren sicherzustellen, wurde im Bußgeldreferat der BaFin ein internes Kontrollsystem (IKS) installiert. Sämtliche Entscheidungen eines Fallbearbeiters werden durch dessen IKS-Partner überprüft. Neben dem internen Kontrollsystem werden zudem in einem Kollegialorgan die Bußgeldentscheidungen besprochen, bevor sie bekanntgegeben werden.[210]
F. Einstellung des Verfahrens
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Ist nach Durchführung der Ermittlungen die Begehung der Ordnungswidrigkeit nicht erwiesen, hat die BaFin das Verfahren gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 170 Abs. 2 StPO einzustellen. Ein Ermessensspielraum verbleibt nicht, insbesondere hat die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO Vorrang vor einer Einstellung aus Billigkeitserwägungen[211] gem. § 47 OWiG.[212]
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Gründe für die Einstellung gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 170 Abs. 2 StPO können insbesondere der fehlende Tatnachweis oder das Vorliegen von (dauerhaften) Verfolgungshindernisse sein. Unter den Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 171 StPO ist der Betroffene von der Einstellung durch Einstellungsnachricht zu unterrichten. Eine Kostenentscheidung ergeht nicht.