Praxis des Bußgeldverfahrens im Kapitalmarktrecht. André-M. Szesny
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Der fehlende Tatnachweis kann sich auf alle Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes beziehen. Können verbleibende Zweifel nicht ausgeräumt werden, ist das Verfahren in mittelbarer Anwendung des Zweifelsgrundsatz („in dubio pro reo“) einzustellen.
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Hat sich der Betroffene im Zeitpunkt der Tat in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum gem. § 11 Abs. 2 OWiG befunden, ist das Verfahren ebenfalls nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 170 Abs. 2 StPO einzustellen.
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Auch tatsächliche oder rechtliche Änderungen nach der Tat können zur Verfahrenseinstellung zwingen. Dies kommt beim Tod des Betroffenen im laufenden Verfahren bzw. dann in Betracht, wenn die Gesellschaft als Nebenbeteiligte nicht mehr existiert (relevant ist die Vollbeendigung der Gesellschaft durch Löschung und nicht bereits deren Auflösung)[213] und die Ahndung eines Rechtsnachfolgers ausscheidet.
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Als Folge der regen Änderungsfrequenz kapitalmarkrechtlicher Regelungen kommt auch eine Einstellung wegen nachträglicher milderer Gesetzeslage in Betracht. So wurde beispielsweise die Pflicht zur Erstellung einer Zwischenmitteilung der Geschäftsführung (§ 37x WpHG a.F.) durch das TRL-ÄndRL-UmsG abgeschafft. Noch anhängige Verfahren wären aufgrund des Meistbegünstigungsprinzips (§ 4 Abs. 3 OWiG)[214] einzustellen gewesen.
II. Verbot mehrfacher Ahndung
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Das Bußgeldverfahren ist ferner gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 170 Abs. 2 StPO wegen eines Verfolgungshindernisses einzustellen, wenn das Verbot mehrfacher Ahndung einschlägig ist. Das Prozessgrundrecht gem. Art. 103 Abs. 3 GG des Strafklageverbrauchs (ne bis in item) findet im Ordnungswidrigkeitenrecht zwar keine unmittelbare Anwendung.[215] Allerdings folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG[216] sowie einfach-gesetzlich aus § 84 OWiG, dass die doppelte Verfolgung derselben Ordnungswidrigkeit unzulässig ist. Gemäß § 84 Abs. 1 OWiG kann dieselbe Tat nicht mehr als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden, wenn der Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden ist oder das Gericht über die Tat als Ordnungswidrigkeit oder als Straftat rechtskräftig entschieden hat.
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Vertiefung
Das Verbot mehrfacher Ahndung wird nur durch Sachentscheidungen erzeugt, die aufgrund der allgemeinen Strafgesetze (Art. 103 Abs. 3 GG) oder aufgrund eines Bußgeldbescheids (§ 84 Abs. 1 OWiG) ergehen. Keine Sachentscheidung in diesem Sinne sind beispielsweise Sanktionen des Sanktionsausschusses der Börsen gem. § 22 Abs. 2 BörsG. Die Frage stellt sich, wenn man davon ausgeht, dass Verstöße gegen die Zulassungsfolgepflichten etwa zur periodischen Finanzberichterstattung gem. §§ 114 ff. WpHG nicht nur von der BaFin mit Geldbuße, sondern auch vom Sanktionsausschuss der Börse gem. § 22 Abs. 2 BörsG mit Ordnungsgeld belegt werden können.[217] Das rechtskräftig verhängte Ordnungsgeld durch den Sanktionsausschuss der Börsen würde der Verfolgung als Ordnungswidrigkeit durch die BaFin schon deshalb nicht gem. § 84 Abs. 1 OWiG entgegenstehen, weil die Sanktion nicht aufgrund eines Bußgeldbescheids erlassen worden ist. Auf die Frage, ob dieselbe (prozessuale) Tat betroffen ist, kommt es sodann nicht mehr an.
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Unter Tat ist die prozessuale Tat (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 155 Abs. 1, 264 Abs. 1 StPO) zu verstehen.[218] Anders als Taten im materiellen Sinn, womit „Handlungen“ i.S.d. §§ 19, 20 OWiG (bzw. §§ 52, 53 StGB) gemeint sind, ist die Tat im prozessualen Sinn ein geschichtliches Vorkommnis, das das gesamte Verhalten des Täters umfasst, soweit es nach natürlicher Auffassung einen einheitlichen Lebensvorgang bildet.[219] Die prozessuale Tat wird durch die im Bußgeldbescheid enthaltenen Tatvorwürfe umgrenzt. Bei einer Bebußung gem. § 130 OWiG umfasst die prozessuale Tat sowohl die (als einheitlich zu bewertende[220]) Aufsichtspflichtverletzung sowie die ihr zugrundeliegenden Zuwiderhandlungen.[221]
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Beispiel
Gegen die N (UK) Ltd. wird eine Verbandsgeldbuße wegen einer Aufsichtspflichtverletzung verhängt. Vorgeworfen wird ihr, die Stimmrechte im Zeitraum Januar 2019 bis Oktober 2019 in 60 von 1000 Fällen aufgrund eines Softwarefehlers, der auf eine Aufsichtspflichtverletzung des Leitungsorgans zurückzuführen ist, unzutreffend berechnet und in der Folge fehlerhaft mitgeteilt zu haben. Der Bußgeldbescheid wird rechtskräftig.
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Sollte sich im Beispielsfall nachträglich herausstellen, dass noch weitere Stimmrechte im Tatzeitraum fehlerhaft von der Gesellschaft gemeldet wurden, steht der Verfolgung als Ordnungswidrigkeit die Regelung des § 84 Abs. 1 Var. 1 OWiG entgegen. Von der Rechtskraft des Bußgeldbescheids werden alle – auch die im Tatzeitraum bislang nicht ermittelten – Zuwiderhandlungen erfasst, die der bereits sanktionierten (einheitlichen) Aufsichtspflichtverletzung zugrunde liegen.
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Der Erlass des Bußgeldbescheids bewirkt bei Dauerordnungswidrigkeiten im Übrigen eine Zäsur. Nach Rechtskraft des Bußgeldbescheids beginnt eine neue prozessuale Tat.[222]
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Beispiel
Die N (UK) Ltd. veröffentlicht entgegen § 114 Abs. 1 S. 1 WpHG ihren Jahresfinanzbericht für das Geschäftsjahr 2019 nicht. Die BaFin erlässt daraufhin im Dezember 2020 einen Bußgeldbescheid, der rechtskräftig wird.
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Veröffentlicht die Gesellschaft im Beispielsfall den Jahresfinanzbericht für das Geschäftsjahr 2019 auch weiterhin nicht, kann sich die dem Bußgelderlass anschließende und insoweit insgesamt noch fortdauernde Tat wegen der Zäsurwirkung des rechtskräftigen Bußgeldbescheids erneut verfolgt und mittels eines weiteren Bußgeldbescheids sanktioniert werden.[223]
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Bestehen Sachverhaltsunsicherheiten, ob die tatsächlichen Voraussetzungen des Strafklageverbrauchs gegeben sind, ist das Verfahren gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 170 Abs. 2 StPO einzustellen. Der als Entscheidungsregel für Tat- und Schuldfragen im Strafrecht entwickelte Zweifelgrundsatz findet auch auf das Verfolgungshindernis des § 84 Abs. 1 OWiG Anwendung.[224]
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Die Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Betroffenen ist im Übrigen gem. § 85 Abs. 3 S. 1 OWiG ausgeschlossen, wenn mit ihr das Ziel verfolgt wird, weitere Verstöße als Ordnungswidrigkeit zu verfolgen.
III. Verfolgungsverjährung
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Gemäß § 31 Abs. 1 S. 2 OWiG ist die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten und die Anordnung von Nebenfolgen ausgeschlossen, wenn Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Die Verjährung ist ein dauerhaftes Verfolgungshindernis.[225] Das Verfahren ist in diesem Fall gem. § 46 OWiG i.V.m. § 170 Abs. 2 StPO einzustellen.
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