Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов

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verhungert.

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      „Armes“ Reich

      Strukturell war das neue Reich immer „arm“, denn es hatte kaum eigene, selbst bestimmte Einkünfte; das war ein politischer Preis für die Aufgabe ihrer Souveränität durch die Bundesstaaten. Das Reich finanzierte sich aus den zugunsten der Staaten gedeckelten Zolleinnahmen, aus den „Matrikularbeiträgen“ (in Anlehnung an das Alte Reich), die auf die Staaten umgelegt wurden, aus eigener wirtschaftlicher Tätigkeit der stetig wachsenden Reichspost mit Telegraf und Telefon, aus neuartigen Steuern und aus kräftiger Schuldenaufnahme. Die Ausgaben des Reiches flossen mindestens zu zwei Dritteln in den Ausbau des Heeres und nach 1900 der Flotte. Zu deren Finanzierung griff das Reich 1913 zur neuen Vermögensabgabe eines „Wehrbeitrags“ in Höhe von maximal 1,5 Prozent, verteilt auf drei Jahre. Im Ersten Weltkrieg kam 1916 eine als Stempelsteuer (auf die Quittungen) ausgestaltete neue Steuer auf Warenumsätze in Höhe von 0,1 Prozent hinzu, die 1918 zu einer allgemeinen, auch auf Dienstleistungen erhobenen Umsatzsteuer in Höhe von 0,5 Prozent erweitert wurde. Auf Reich, Bundesstaaten und Gemeinden entfielen vor dem Krieg etwa ein Zehntel des Volkseinkommens; im Kriegsjahr 1917 „verbrauchten“ sie über 70 Prozent. Die Einnahmen hielten immer weniger Schritt mit der spürbaren Geldentwertung.

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      Große Unterschiede der Besteuerung

      Im Kaiserreich ging man mehrheitlich zur Subjektbesteuerung über, die mehr Steuergerechtigkeit und eine bessere Ausschöpfung des Steuerpotenzials bringen sollte. Steuerzahler mit größeren Einkommen (etwa dem Dreifachen des Durchschnitts) mussten nun erstmals ihre Einkünfte erklären. Gerade im großen Preußen gab es in Finanzfragen viele Konfliktfelder, zwischen Monarch und Parlament, zwischen agrarischen und kapitalistischen Interessen und zwischen den Parteien, wenn es um die lenkende Ausgestaltung der Wirtschafts- und Sozialordnung ging. Die Finanzverwaltungen Süddeutschlands kontrollierten die Steuerzahler deutlich intensiver als die preußische, in der der Landrat selbst die Höchstbesteuerten veranlagte, während er gerade in Ostelbien oft einer der Ihren war.[84]

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      Hoheitsverwaltung und Daseinsvorsorge

      Verwaltung war bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts wesentlich Hoheitsverwaltung. In ihr übten relativ wenige höhere Beamte, unterstützt von Kanzleipersonal („Zivilsupernumerare“ und andere „Subalternbeamte“), stellvertretend für den Monarchen dessen Majestäts- und Herrschaftsrechte konkret aus. Im Zuge der Industrialisierung wurden auch Staat und Verwaltung unternehmerisch tätig. Mit wirtschaftlichen Eigenbetrieben schufen Reich, Bundesstaaten und Städte grundlegend neue Infrastrukturen für das Wirtschaftswachstum wie Post, Bahn, Telegraf und Telefon, Wasser-, Gas- und Elektrizitätsnetze, Kanalisationen, Häfen usw., die damals fast alle auch gewinnorientiert und recht einträglich waren. Der Begriff der Daseinsvorsorge durch eine nicht mehr nur hoheitlich tätige, sondern auch Dienstleistungen für Wirtschaft und Gesellschaft erbringende Leistungsverwaltung wurde erst relativ spät, im Jahre 1938, durch Ernst Forsthoff geprägt.[85] Er ging dabei von einer „zwangsläufigen“ Entwicklung „der modernen Daseinsweise“ zu „sozialer Bedürftigkeit“ (nicht im Sinne klassischer Fürsorge, eher als Abhängigkeit von Technik) nach immer mehr solcher technischer „Leistungen“ aus, auf die der „nicht mehr autarke“ moderne Mensch „lebensnotwendig angewiesen“ ist. Der Rechtsordnung, jedenfalls der des Nationalsozialismus, gab er die Aufgabe, die „Teilhabe“ des Einzelnen „als Volksgenosse“ (der Begriff schloss Juden aus) zu verfestigen, „als eine Art von Ersatz für jene überholten Sicherungen, welche die Grundrechte in sich beschlossen“, die „der Geschichte angehören“.[86]

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      Sozialversicherung

      Bismarcks Sozialversicherungen verbanden Gesellschaftspolitik zur Abwehr der „gemeingefährlichen Bestrebungen“ der aufsteigenden Sozialdemokratie mit Anfängen moderner Leistungsverwaltung. In der Aufbauorganisation der Invaliden- und Altersversicherung war das Reich über die Reichspost, die die Versicherungsmarken für die Beitragszahlung verkaufte, mit der föderalen Struktur aus Landesversicherungsanstalten verbunden. Die Rentenverfahren liefen recht versichertenfreundlich ab, und die ersten, nach kurzer Versicherungszeit noch nicht besonders hohen, Renten wurden verlässlich wieder über die Post ausgezahlt und schufen Vertrauen in das System. Versicherungsähnlich war der Aufbau eines Kapitalstocks, aus dem die regionale Selbstverwaltung durch die Beitragszahler, Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einer Art Multiplikatoreffekt z. B. Hypotheken für Arbeiterwohnungsbauten vergab.[87]

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      Betriebsbeamtinnen und Betriebsbeamte

      Das Personal der öffentlichen Betriebe wurde teils mit kündbaren Arbeitsverträgen eingestellt, als lohnabhängige (Staats-)Arbeiter und als „Privatbeamte“, wie die Angestellten in großen Unternehmen hießen, teils aber auch als Beamte mit geringerem Status. Am Beamtenstatus der neuen „Betriebsbeamten“ (auch als „Arbeiter-Beamte“ oder „Massenbeamtentum“ bezeichnet) war die Armee besonders interessiert, um länger dienende Unteroffiziere versorgt zu wissen. Zivilversorgungsscheine ermöglichten Militäranwärtern den Zugang zu Bahn oder Post und dort zum Aufstieg in den Beamtenstatus mit Anrechnung der Militärjahre auf die Pension. Im Bildungswesen wuchs neben den akademischen Gymnasiallehrern mit Staatsexamina (Oberlehrer) sehr viel stärker die Gruppe der oft schlecht durch die Gemeinden besoldeten Lehrer an Volksschulen, die erstmals 1892 in Baden den Status mittlerer Beamter erhielten. Dort wurden seit 1864 auch Frauen verbeamtet, als Telegrafistinnen und Telefonistinnen, lange bevor dies auch für Lehrerinnen galt.[88] Bei der Reichspost waren 1913 zur Wahrung des Briefgeheimnisses drei Viertel ihres Personals von 334.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Beamte.

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      Beamtenvereine und Weiterbildung

      Die ersten Organisationen dieser schnell wachsenden neuen Beamtengruppe zielten auf wirtschaftliche Selbsthilfe durch Einkaufsgenossenschaften und auf Unterstützung bei beruflicher Weiterbildung. Beförderungen setzten zwar das Bestehen von Aufstiegsprüfungen voraus, aber die Dienstherren sorgten hier keineswegs für innerdienstliche Vorbereitung oder gar strukturierte Schulungen. Dagegen war es unerwünscht, Gruppeninteressen bei Einstufung, Gehalt und Vorrücken zu vertreten. Gewerkschaftliche Betätigung galt als illoyal, als Misstrauen gegen die Vorgesetzten, die die Beurteilung der Lage der Beamten als ihre ureigene Aufgabe ansahen, abgeleitet aus den Herrschaftsrechten des Monarchen. „Natürlicher“ Vertreter aller Interessen der Beamten war im damaligen Verständnis vom einseitigen und nicht-vertraglichen öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis der monarchische Staat, ihr Arbeitgeber. Der Druck ging so weit, dass die Vereine von sich aus auf Petitionen an die Landtage verzichteten: „[W]ahrer Männerstolz sollte es vorziehen zu schweigen, statt die Volksvertretung […] zwischen sich und diejenigen zu stellen, die für uns einzutreten berufen sind.“ Auch an Betriebsausschüsse oder andere Formen der Personalvertretung innerhalb von Verwaltungen war noch überhaupt nicht zu denken. Als bei der Reichspost ab 1890 erste überregionale Beamtenvereinigungen entstanden, wurden deren Funktionäre und Mitglieder strafversetzt und entlassen. 1898 wurde den Postbeamten sogar das Abonnieren einer Verbandszeitschrift verboten; zeitgenössische Kritiker beschrieben diese Unternehmenskultur als „Bürgerkrieg“.[89]

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