Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов

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Bayern verlangte als einziger deutscher Staat im Jura-Studium ein viertes Jahr, in dem abschließend geschichtliche Bezüge hergestellt werden sollten. Die praktische Ausbildung war hier einheitlich für Justiz und Verwaltung; alle Teilnehmer befassten sich auch mit Verwaltungslehre und Wirtschaftspolitik. Schon Montgelas hatte als Examensform die Staatsconcurse (Staatsexamina) aus dem französischen egalitär-leistungsorientierten concours übernommen. Deren Gesamtnote bestimmte den Platz der Kandidaten im gesamtbayerischen Vergleich, die heutige Platzziffer. In Bayern gab es eine stärker ausgeprägte Leistungsorientierung, deren soziale Folge eine stärker bürgerliche Prägung der Beamtenschaft ohne die für Preußen charakteristische Bevorzugung adeliger Herkunft wurde. König Maximilian II. richtete 1852 die Stiftung Maximilianeum ein, deren Stipendium seitdem begabten Abiturienten „jeglichen Standes“ ein Universitätsstudium zur „Lösung der höheren Aufgaben des Staatsdienstes“ ermöglicht.[65]

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      Mündlichkeit und Schriftlichkeit

      Verwaltungsarbeit ist immer (auch) Schreibarbeit. Auf allen Ebenen führte die Verwaltung „lebende“ Akten in ihren Registraturen und griff gelegentlich auf alte, „tote“ Akten in den systematisch ausgebauten Archiven zurück. Vor allem in den Ministerien und den großen Mittelbehörden „arbeitete“ (Lorenz von Stein) der Staat arbeitsteilig, weniger auf der personell sehr dünnen Kreisebene und in Preußen bei den klein gehaltenen Oberpräsidien. Die Behörden teilten sich in größere Abteilungen und kleinere Einheiten darunter (Unterabteilungen, Referate), was Koordination verlangte. Ab 1800 verschob sich dabei die mündliche Beratung im kleinen Kollegium zum schriftlichen „Korreferat“ eines Kollegen und erweiterte sich später zur schriftlichen Beteiligung auch weiterer Stellen. Federführung und Mitzeichnung entzerrten weiter die zeitliche Folge der Arbeitsschritte. Der jeweilige Stand einer Sache war nun am besten aus der zugehörigen Akte (und nur aus ihr) nachvollziehbar.[66]

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      Geschäfts- und Registraturordnungen

      Die deutsche Verwaltung führte Akten „selbstverständlich“ als Sachakten. Die Vorgänge wurden nicht nach Datum in zufälligen Serien abgelegt wie Prozessakten bei Gerichten oder beurkundete Verträge bei Notaren, sondern nach einer abstrahierenden Sachstruktur ihrer Themen geordnet, in der sich engere und weitere Zusammenhänge abbilden konnten. Die Aktenführung wurde in internen Ordnungen für den Geschäftsgang der Behörden und speziell für ihre Registraturen geregelt. In Baden entwickelte der Reformer Johann Brauer 1801 eine Archiv- und Registraturordnung, die in Form von „Rubriken“ schon den Versuch eines ersten sachorientierten Aktenplans enthielt. Ähnliche Regeln enthielt das Organisationsedikt von 1808 für Preußen. Eine interne Machtverlagerung zu den Präsidenten verlangte in den Regierungen 1880/81 neue, stärker monokratische als kollegiale Ordnungen. Sie wurden ihrerseits ab 1900 „zur Verminderung des Schreibwerks“ überprüft, womit ein seitdem kontinuierlicher Prozess von Verwaltungsreformen einsetzte.[67] In anderen Verwaltungskulturen können sich beim Fehlen von Regeln für Aktenführung und Registratur die Beschäftigten z. B. persönliche Aktendepots aufbauen, deren Ordnung nur sie selbst verstehen, was ihnen ein Monopol gibt und sie trotz fehlender beamtenrechtlicher Absicherung unentbehrlich macht.

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      Wissensmanagement durch Akten

      Akten sollen vollständig, nicht verzögert, lückenlos und übersichtlich sein.[68] Über die eigentliche Korrespondenz mit Vorgesetzten und Antragstellern hinaus sichern Aktenvermerke ohne Adressaten die Erinnerung einer Behörde an ihre früheren Überlegungen und Absichten. Zu häufigeren Themen legte man auch Sammlungen von Entscheidungen in Präzedenzfällen an. Akten sind damit Instrumente eines Wissensmanagements über Personen und Zeiten hinweg. Im Rahmen ihrer Zuständigkeiten haben Stellvertreter und alle Vorgesetzten bis hinauf zum Minister bis heute Zugang zu jeder Akte und sollen den Sachstand in kurzer Zeit aus der Akte erkennen können. Damit man Akten in diesem Sinne fortlaufend lesen und verstehen kann, werden neue Schriftstücke meist am Ende eingefügt. Dies entsprach auch dem „Aktennähen“ durch Lohnbuchbinder, das zudem die Vollständigkeit sicherte, bis es im 20. Jahrhundert durch die Innovation des Loseblattordners zu teuer wurde. Alternativen zur Fadenheftung waren die badische Oberrandbindung mit dem badischen Aktenknoten und die württembergische Praxis von Büscheln aus losen Blättern mit dem neuesten Vorgang obenauf. Als Kurzzeitgedächtnis der arbeitenden Verwaltungen musste die Registratur auch stets wissen, wo im Haus sich eine Akte befindet – und war bestrebt, sie auf möglichst begrenzte Zeit auf Schreibtischen im Hause zu halten.[69]

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      Regieren und Verwalten

      Die Krone teilte sich die Legislative mit den Parlamenten nur, soweit es um Freiheit oder Eigentum der Untertanen ging. Die Justiz führte nach der Einhegung königlicher Machtsprüche ein Eigenleben, gestützt auf die Unabsetzbarkeit der Richter. Die Exekutive aber war das eigentliche Vorrecht der Krone und in der Praxis ihrer Regierung.[70] Das umfasste alles, was sich unterhalb der Parlamentstätigkeit in dem weiten Raum zwischen dem Staatsministerium und dem Dorfschulzen abspielte, wenn er Anweisungen des ihm vorgesetzten Landrats empfing, ob das arbeitsteilig organisiert war wie in Ministerium und Regierung oder „unten“ in der begrenzten Arbeitszeit eines alleine arbeitenden, höchstens von einem zugewiesenen Assessor unterstützten Landrats ausgeführt wurde. Verwaltungstechnisch verfestigte sich der Anspruch der obersten Stellen auf Umsetzung schon früh in ihrer Praxis, erläuternde Ausführungsverordnungen unter verschiedenen sich überlappenden Begriffen zu erlassen. Für die Wirkungen von Verwaltung bis nach unten muss man ferner zwischen einem Regieren durch allgemeines Anweisen, auch und gerade unterhalb der Gesetze, und der Realität des ausführenden Vollzugs im Verwalten unterscheiden. Das ist besonders schwierig bei den Mittelbehörden – führten sie mehr aus, wie die Unterbehörden, oder wiesen sie selbstständig an, wie die Ministerien?[71]

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      Implementation im Vollzug

      Die von formaler Hierarchie bestimmte Perspektive erweitert sich, wenn man verwaltungsinterne Kommunikationsflüsse auch in der Gegenrichtung von unten nach oben einbezieht. Die Geschäftspraktiken der Verwaltung standen immer in einem Prozess der Verdeutlichung, Konkretisierung und punktuellen bis grundlegenden Verbesserung, der sich in einem sachorientierten und insofern hierarchiefernen Dialog zwischen den oben und unten Beteiligten entwickelte. Verwaltungsintern wurden Änderungen weniger mit Strafandrohungen durchgesetzt, sondern eher mit Aufforderungen und Vernunftüberlegungen begründet. Das eröffnete auch untergeordneten Stellen einen Freiraum zu selbstständigem Tun, unter dem übergeordneten Ziel, im eigenen Handeln den Willen des Monarchen, das Gemeinwohl und das Wohl des Einzelnen zusammenzubringen. „Bestimmt“ zu sein und so zu handeln, wurde eine grundlegende Anforderung an Beamte. Angesichts der Komplexität der Welt und deren notgedrungener Vereinfachung in Vorschriften der Regierung erwies sich ein Handlungsspielraum im Sinne eines Ermessens[72] als notwendig, wenn die Beamten „möglichst frei und selbstständig wirken“ sollten. Die langen Zeiten praktischer Ausbildung nach dem Studium dienten auch dazu, sich mit Vorbildern, in die eine oder andere Richtung, auseinanderzusetzen und spätere eigene Freiheitsräume vorauszudenken.[73] Die gelebte Beamtenethik konnte und sollte dann die Sicherheit der Stellung mit eigenständigem Urteil und initiativfreudigem Handeln verbinden. Aus der Sicht eines hohen preußischen Reformbeamten war es 1840 Sache eines jeden höheren Beamten, „den Zweck der Vorschriften niemals aus den Augen zu verlieren; eben deshalb wird neben der besonderen Geschäftsbildung auch allgemeine von ihnen gefordert, damit sie den Geist der Gesetzgebung erkennen und demselben, nicht aber bloß dem todten Buchstaben nach, ihr Amt verwalten.“[74]

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