Pitaval des Kaiserreichs, 5. Band. Hugo Friedländer

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Pitaval des Kaiserreichs, 5. Band - Hugo Friedländer

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Sie könne einen Eid leisten, daß sie nichts angerührt habe. Die Köchin, die schon jahrlang bei uns ist, ist außerordentlich zuverlässig. Vert.: Wie charakterisieren Sie die Wagner?

      Zeuge: Ich hielt die Wagner für eine boshafte Närrin. Ich traute ihr nach meinen Erfahrungen durchaus zu, daß sie selbst die Salzsäure in den Kaffee getan hatte.

      Der praktische Arzt Dr. Decker, München, bekundete als Zeuge: Er habe Minna Wagner nach der ersten Schwurgerichtsverhandlung 23 Monate lang behandelt. Das fortwährende Erbrechen habe schließlich in ihm den Verdacht erweckt, als ob die Wagner vor den anderen Kranken mit ihrer Krankheit paradieren wollte. Durch die Magenausspülungen sei mehrfach festgestellt worden, daß sie Speisen entgegen den ärztlichen Verordnungen genossen habe; trotzdem leugnete sie es. Am 31. Januar 1905 ist sie an einer Eiterung im Unterleib gestorben. Was meine Beobachtungen über den Charakter der Minna Wagner anbetrifft, so war mir von Anfang an ihr scheuer Blick, ihr hinterlistiges und tückisches Wesen durchaus unsympathisch. Aber ich war damals viel zu fest davon überzeugt, daß sie das unschuldige Opfer einer verbrecherischen Tat war, als daß ich diesem ersten äußeren Eindruck besonderen Wert beigelegt hätte. Erst die Kenntnis des wahren Charakters der Wagner zwang mich zu einer anderen Annahme. Im Krankenhaus gab sie in der ersten Zeit zu Klagen keinen Anlaß. Erst später lernte ich ihre große Lügenhaftigkeit kennen. Ich merkte, daß sie Alkoholikerin war, die Verordnungen nicht beachtete und es ihr darauf ankam, nicht gesund zu werden. Als sie mir die Geschichte erzählte, daß ein Schutzmann sie auf der Straße wegen ihres Brechens angehalten hätte, wandte ich mich an den Polizeipräsidenten und ließ durch ihn die gesamte Schutzmannschaft befragen – keinem Beamten war von einem solchen Vorfalle etwas bekannt. Mit dem Nachweis ihrer Lügenhaftigkeit tauchte in mir der Gedanke auf, ob sie nicht auch vor Gericht einen Meineid geleistet hätte. Als ich nun die Vorfälle bei Lippmann erfuhr, das Öffnen der Gashähne und die Petroleumaffäre, da war mir das letzte Glied der Beweiskette geschlossen, daß Minna Wagner eine ganz andere sei, als sie in der vorigen Verhandlung erschienen war. Deshalb habe ich am 19. Dezember 1904 unter Darstellung aller dieser Umstände dem Staatsanwalt persönlich den Antrag auf Einleitung des Wiederaufnahmeverfahrens unterbreitet.

      Als nächster Zeuge erschien Pater Burckardt. Über das, was die Wagner ihm in der Beichte gesagt habe, verweigere er unter Berufung auf den Schutz des Beichtgeheimnisses die Aussage. Aber auch alles andere, was er mit der Verstorbenen, gesprochen habe, falle in den Rahmen des Vertrauens. Er sei nach einer Gerichtsentscheidung nicht gezwungen, darüber nähere Bekundungen zu machen.

      Staatsanwalt und Verteidiger verzichteten hierauf auf die weitere Vernehmung des Zeugen.

      Oberinspektor Georg Zapf (Pasing bei München): Er kenne die Angeklagte seit 40 Jahren. Sie sei stets gutmütig, wohltätig und opferwillig gewesen.

      Eine weitere Zeugin war Dienstmädchen Maier: Sie sei Dienstmädchen im Maximilianstift gewesen: An dem vielen Verdruß, den es im Stift gegeben, haben die Stiftsdamen selbst Schuld gehabt. Die Stiftsdamen haben alle Bemühungen der Oberin mit Undank gelohnt.

      Vors.: Wie kommt es, daß Sie das in der vorigen Verhandlung nicht gesagt haben?

      Zeugin: Als ich bei dem Herrn Untersuchungsrichter vernommen wurde, sagte mir dieser: Sie können der Heusler als Zeugin doch nicht helfen, die ist so gut wie überführt. Ich habe deshalb nicht erst viel in der vorigen Verhandlung gesagt. (Große anhaltende Bewegung und Ausrufe des Erstaunens im Zuhörerraum.)

      Im ferneren Verlauf der Verhandlung kam zur Sprache, daß das Maximilianstift »Drachenburg«, auch »Eulenburg« im Volksmunde hieß. Sodann bekundeten mehrere Zeugen, daß die Wagner viel getrunken habe; ein halbes Maß habe sie in ein bis zwei Zügen geleert. Auf Vorhaltungen, die ihr wegen des reichlichen Alkoholgenusses gemacht wurden, habe sie erwidert, sie könne alles vertragen, denn Dr. Decker habe ihr bei der Operation eine Schweinsschwarte in den Magen genäht. Ferner wurden einzelne Vorfälle erzählt, aus denen hervorging, daß die Wagner andere Leute ohne Grund ins Gerede brachte, es aber bestritt, wenn sie deswegen zur Rede gestellt wurde. Wegen ihrer Neugier und Klatschsucht gab man ihr in Schönau bei Berchtesgaden, wo sie nach dem ersten Prozeß in dem Hotel von Zeller beschäftigt war, die Beinamen »Spitzel« und »Hausreporter«.

      Eine Zeugin, die kommissarisch vernommen worden war, hatte bekundet: Die Wagner habe ihr einmal erzählt, im Krankenhaus habe sie bemerkt, daß der Arzt mit einer Schwester nähere Beziehungen habe. Sie habe deshalb lauschen wollen, ob die beiden geschlechtlich miteinander verkehren. Sie habe den Kopf zwischen zwei Latten gesteckt, dann aber beim Lauschen den Kopf nicht mehr herausbekommen, so daß man ihr zu Hilfe kommen mußte.

      Alsdann wurde erwähnt, daß die Wagner sich in einen Burschen, den »Loisl«, verliebt und versucht habe, ihn einem anderen Mädchen abspenstig zu machen.

      Gerichtsdiener Ludwig Fetzer, Oheim der Minna Wagner, bekundete: Seine Nichte sei ein fleißiges, tüchtiges und ordentliches Mädchen gewesen. Es kamen zwar hie und da Klagen von einer Dienstherrschaft, aber das sei ja immer so bei jungen Mädchen. Dagegen habe er sich über seine Nichte geärgert, als sie zum Katholizismus übertrat.

      Vors.: Sie sollen davon gar nichts gewußt haben.

      Zeuge: Ich habe keine Silbe davon gewußt. Ich kam eines Tages ins Franz-Joseph-Stift; da sagte mir die Oberin: Der Übertritt sei schon vollzogen, meine Nichte eigne sich wie kaum eine andere für eine Schwester, und Gott habe es so gewollt. Auf dem Korridor kam mir meine Nichte entgegen und rief mir zu: Onkel, ich bin schon katholisch geworden. Ich antwortete ganz bestürzt: »Mädel, dann schieße ich dich tot.«

      Vors.: Ihre Nichte hat verschiedenen Leuten erzählt, Sie hätten vor der Bonifaziuskirche auf sie geschossen und wären deshalb zu 200 Mark Geldstrafe verurteilt worden.

      Zeuge: Das habe ich auch in der Zeitung gelesen. Ich weiß natürlich nichts davon, denn auf eine solche Schießerei stehen doch ganz andere Strafen wie 200 Mark Geldstrafe. Über die Heusler hat mir meine Nichte mehrfach geklagt. Als ich sie im Krankenhaus besuchte, äußerte sie den bestimmten Verdacht, daß die Heusler ihr Salzsäure in den Kaffee getan habe. Über die Behandlung im Krankenhause führte meine Nichte ebenfalls lebhafte Klage. Sie sei wie eine Selbstmörderin behandelt worden; der Medizinalrat habe ihr gesagt, wie sie nur annehmen könne, daß eine Oberin so etwas tun werde. Dagegen war sie über die Behandlung bei Dr. Decker voll des Lobes. Vor der Operation ging ich zu Dr. Decker und fragte, ob er Gewähr dafür bieten könne, daß die Operation gelingen werde. Dr. Decker wies mich barsch ab. Ich habe deshalb meiner Nichte geraten, sich nicht operieren zu lassen. Bei der Rückkehr von Berchtesgaden war meine Nichte bis ins Herz hinein verdorben. Sie trank von da ab und äußerte sich despektierlich auch über mich. Sie sprach von Heiratsabsichten auf einen gewissen Loisl, in den sie verliebt war. Sie klagte in der letzten Zeit über brennendes Durstgefühl, sie habe Hunger wie ein Wolf, und wenn sie gegessen habe, müsse sie sich sofort erbrechen.

      Dr. Decker: Fetzer ist mir in höchst arroganter Weise gegenübergetreten. Sein Auftreten war höchst ungezogen, er roch auch nach Schnaps, das veranlaßte mich, ihm die Tür zu weisen.

      Fetzer: Ich habe noch nie Schnaps getrunken, wenn ich auch früher bei der Gendarmerie war.

      Frau Fetzer, Ehefrau des Vorzeugen: Meine Nichte kam schon vor dem Vorfall zu mir und klagte weinend, die Heusler sei so böse zu ihr, sie könne es bei ihr nicht aushalten.

      Staatsanwalt: War das lange vor dem Vorfall?

      Zeugin: Mindestens drei Monate früher. Als ich daran nach dem Krankenhaus kam, sagte die Wagner: »Tante, glaubst mir nun, daß die Heusler so bös ist? Hätte ich den Kaffee ganz ausgetrunken, so wäre ich gestorben. Es würde dann heißen: Die hat sich gewiß wegen einer Liebschaft das Leben genommen. Aber wer weiß, ob man mir glaubt, ich bin ja nur ein Dienstbote.«

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