Pitaval des Kaiserreichs, 5. Band. Hugo Friedländer
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Der zweite Sachverständige, Oberarzt im Kreis-Irrenhaus, Dr. Holterbach, stellte bei Fräulein v. Heusler auch einen geringen Grad von Intelligenz fest; dagegen fehle es an jedem Anhaltspunkt für die Annahme von Schwachsinn. Landgerichtsarzt Medizinalrat Dr. Hoffmann: Er könne die Wagner weder für geisteskrank, noch für hysterisch, noch für trunksüchtig halten.
Die einzige Schuldfrage, die den Geschworenen vorgelegt wurde, lautete: »Ist die Angeklagte Elise v. Heusler schuldig, am 20. Juli 1902 der Krankenpflegerin Wilhelmine Wagner vorsätzlich, um sie an ihrer Gesundheit zu schädigen, Gift beigebracht zu haben?«
Es nahm alsdann am letzten Verhandlungstage das Wort Staatsanwalt Aull: Volle sieben Monate sind seit dem Tage der Vergiftung verflossen, und seitdem bis heute hat die Minna Wagner schwer zu leiden gehabt unter den Folgen der teuflischen Tat, die so freventlich in ihr Leben eingegriffen hat. Sie haben gehört, was die Wilhelmine Wagner für eine Person vordem gewesen ist: ein junges blühendes Mädchen, das den schweren Beruf der Krankenpflegerin gewählt hatte; ein Mädchen, das gespart und gesorgt hat für ihre alte, gichtbrüchige Mutter. Das Mädchen ist jetzt siech, und es liegt die Gefahr vor, daß sie dem Hungertode anheimfällt. Das arme Mädchen siecht nun seit sieben Monaten dahin, sie ist ohne Erwerb, den sie für ihre armen, alten Eltern so nötig hätte. Der Täter ist nur im Stift zu suchen. Die Stiftsdamen können nicht in Betracht kommen. Welchen Beweggrund sollten die alten Damen auch haben, einem so fleißigen, willigen, so überaus beliebten Mädchen Salzsäure in den Kaffee zu schütten. In Frage können nur zwei Personen kommen: entweder hat die Wilhelmine Wagner die Salzsäure sich selbst in den Kaffee getan, oder die Stiftsvorsteherin Elise v. Heusler war die Täterin. Wir wollen uns beide Persönlichkeiten näher ansehen, um zu betrachten, ob einer von ihnen eine solche Tat zuzutrauen ist. Wilhelmine Wagner kam als 13jähriges Mädchen zu Frau Düreck nach München in den Dienst. In der vierjährigen Dienstzeit hat sie sich dort das Zeugnis eines sehr braven, anhänglichen, fleißigen, soliden Mädchens erworben. Und von dieser Dame, die ihr ein so vorzügliches Zeugnis ausgestellt hat, ist sie zu den Eheleuten Karl gekommen. Sie haben gehört, was Frau Karl über die Wilhelmine Wagner, von der wir bisher nur Gutes gehört haben, erzählt hat. Sie sagte: Die Wagner war boshaft, lügnerisch, unsittlich. Aber Frau Karl war nicht imstande, diese Behauptungen zu beweisen, nur allgemeine Verdächtigungen konnte sie vorbringen. Ich tue doch schon recht lange mit, aber ich muß sagen: Ein frivoleres Zeugnis, ein frivoleres Auftreten, wie das dieser Frau Karl, habe ich noch nie gesehen. Wort für Wort ihrer Aussage, behaupte ich, ist erlogen. Und darum habe ich Ihnen auch den Ehemann vorgeführt. Ich weiß nicht, welchen Eindruck dieser auf Sie, meine Herren Geschworenen, gemacht hat: auf mich den allerschlechtesten. Der Mann hat das Mädchen, das bisher in sittlicher Beziehung keinen Makel hatte, in gewöhnlichster Weise verleumdet. Ich habe darum, die Wilhelmine Wagner Ihnen nochmals vorgeführt. Sie hat in offener, ehrlicher Weise Auskunft gegeben. Und da sage ich: Der Ehemann Karl hat an dem 17jährigen Mädchen nichts weiter als einen ganz gemeinen Notzuchtsversuch unternommen. Von Karl kam die Wagner auf eine andere Stelle. Dort blieb sie ein Jahr und wurde wieder als brav und gut geschildert. Glauben Sie, daß ein Mädchen, das vorher unsittlich war, so schnell sich wieder im Charakter ändert? Aus dieser Stelle entließ man sie ungern. Auch auf ihrer nächsten Stelle im Josephspital war man mit ihr zufrieden. Sie konnte dort nicht bleiben, weil sie selbst krank war, aber die Oberin empfahl sie weiter, und so kam sie ins Stift. Hier war sie auch bei allen bis auf eine beliebt. Ich glaube, das genügt. Wenn wir alles zusammennehmen, so müssen wir sagen: Minna Wagner war ein ruhiges, braves, solides Mädchen. Sie verdient, daß man ihr Glauben schenkt. Die andere Person, die in Frage kommt, ist die Elise v. Heusler. Von deren Vergangenheit wissen wir nicht viel, es interessiert uns auch wenig. Wir wissen nur von ihr, daß sie vorher Haushälterin im adeligen Stift war und dort hinausgetan wurde wegen ihres bösen Mundes, wegen dessen sie in der ganzen Ludwigstraße bekannt war. Dann kam sie ins Maximilianstift. Dieses soll alten unversorgten Damen Versorgung gewähren, beitragen, deren Lebensabend zu verschönern. Als Zweck heißt es in den Statuten: es solle den Damen ein friedliches Dasein gewähren, und die Damen sollen die Pflicht haben, in friedlicher Nachsicht und christlicher Geduld dahinzuleben. Die Angeklagte hat alle anderen als die dafür geeigneten Eigenschaften zur Leitung des Stiftes mitgebracht. Mit demselben Augenblick zog dort Verdruß ein. Sie wird von allen Seiten als boshaft, herrschsüchtig, gefühls- und gemütsroh, jähzornig, leidenschaftlich geschildert. Diese Person mit solchen Eigenschaften steht an der Spitze eines Versorgungsheims! Wie diese Versorgung war, haben wir ja gehört. Statt Frieden fanden die alten Damen eine Hölle. Sie werden schon alle die Erfahrung gemacht haben, daß solche Personen dazu neigen, nach außen den Anschein eines gottesfürchtigen, opferwilligen Lebens zu erwecken, um diejenigen, die mit ihnen nur oberflächlich in Berührung kommen, über ihren wahren Charakter zu täuschen. Die Angeklagte ging fleißig in die Kirche und hielt die Dienstboten dazu an. Aber innerhalb der vier Mauern des Stifts! Wo war da die christliche Nächstenliebe, die liebevolle Nachsicht, die christliche Geduld? Wie hat sie die Schwächen der alten Damen behandelt? Meisterhaft war sie in der Kunst des Ehrabschneidens. Allen Stiftsdamen sagte sie etwas nach. Die Protektorin des Stiftes ist eine königliche Hoheit – ich nenne den Namen nicht, er ist ja schon wiederholt erwähnt worden. Diese hohe Protektorin hat von der Angeklagten viel gehalten, auch noch, nachdem sie unter dem dringenden Verdacht, einen Giftmordversuch begangen zu haben, verhaftet war, hat sie ihr zum Zeichen des Vertrauens einen Brief und Eßwaren ins Gefängnis geschickt. Und dieser hohen Dame sagte die Angeklagte nach: »Die kümmert sich ja nicht um das Stift, die hat ja dazu keine Zeit, denn sie hält es mit ihrem Hausarzt.« Ich enthalte mich jeden Urteils. Mich ekelt der Charakter der Angeklagten an. Nach allem, was wir über die Angeklagte gehört haben, können wir sagen: Wenn je ein Indizienbeweis schlüssig gewesen ist, so ist es dieser. Es reiht sich Kette an Kette, es besteht keine Lücke. »Beten Sie nur für mich recht fleißig, damit's schön ausgeht, und wir wallfahrten nach Altötting,« sagte die Angeklagte zur Butzmann. Sie hatte das Beten auch sehr nötig. Aber wir haben hier nicht zu fragen, wie die Angeklagte vor Gott ihr Gewissen entlastet. Hier haben wir abzuurteilen über den frevelhaften Eingriff in das Leben eines armen Dienstmädchens, das der Angeklagten treu gedient hatte. Es ist ein ganz verfehlter Versuch, die Angeklagte als »saudumme« Person hinzustellen. In ihrer Verteidigung hat sie sich als ganz raffinierte Person erwiesen. Ihre Taktik war, alles abzuleugnen. Wenn sie schließlich die rohen Äußerungen zugab, so hat sie das nicht aus eigenem Antrieb getan, sie ist erst dazu gekommen nach vorhergegangener Belehrung von einer bestimmten Seite (Bewegung). Der Staatsanwalt schloß, indem er die Erwartung aussprach, daß die Geschworenen die Angeklagte der schweren Körperverletzung, begangen durch Vergiftung, schuldig sprechen werden.
Verteidiger Rechtsanwalt Dr. v. Pannwitz: Meine Herren Geschworenen! Die Anklage baut sich auf Indizien auf und benutzt die Psychologie in einer Weise zur Stütze, wie ich es noch nicht erlebt habe. Die Anklage führt als wichtigstes Indizium in erster Reihe an, daß die Angeklagte den Abort abschloß, bevor sie zur Kirche ging. Ich halte das gerade für ein entlastendes Moment. Die Salzsäure war wochenlang schon im Abort aufbewahrt. Wenn die Angeklagte nach der Tat schnell noch vor dem Weggang den Abort zuschloß, so lenkte sie ja den Verdacht auf sich. Also aus diesem Umstand des Abschließens kann bei einem normalen Menschen nichts Verdächtiges gefolgert werden. Ein weiteres Indizium ist das Motiv. Gewöhnlich ist man bei uns froh, wenn man ein Motiv hat. Die Anklage hat gleich drei, und der Staatsanwalt präsentiert sie uns zur Auswahl. Da kann man auf