Pitaval des Kaiserreichs, 5. Band. Hugo Friedländer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Pitaval des Kaiserreichs, 5. Band - Hugo Friedländer страница 10

Автор:
Жанр:
Серия:
Издательство:
Pitaval des Kaiserreichs, 5. Band - Hugo Friedländer

Скачать книгу

die die Wagner empfohlen hatte, nicht zu verletzen, ein Dienstmädchen vergiftet. Das zweite Motiv soll darin liegen, daß sie Verdruß bei den Damen gefürchtet habe, wenn sie die Wagner durch Kündigung aus dem Hause schaffte. Damit kommt die Anklage mit sich selbst in Widerspruch. Denn wie ein roter Faden zieht sich durch die Anklage, daß die Angeklagte herrschsüchtig, rücksichtslos sei. Und da soll sie sich mit einem Male vor den alten Damen gefürchtet haben. Ich bin auch der Meinung, daß die Angeklagte böse, herrschsüchtig ist. Darum aber auch trifft dieses Motiv nicht zu. Als drittes Motiv wird angenommen, die Angeklagte habe sich gefürchtet, daß die Wagner ins Ministerium gehen und angeben werde, was die Angeklagte über die Liebschaften der Stiftsdamen usw. ihr erzählt habe. Ich gebe zu, daß dies Indizium ausreichend wäre, wenn die Anklage auf Mord lautete. Um zu verhindern, daß jemand etwas anzeige, muß man ihn aus der Welt schaffen. Dazu reichte aber die Dosis Gift nicht aus, und das nimmt ja auch die Anklage nicht an. Darum ist auch das dritte Motiv unlogisch. Die Indizien können weder im einzelnen noch zusammen die Anklage stützen. Sie machen knapp die Möglichkeit aus, daß die Angeklagte die Tat begangen haben könne. Diese Möglichkeit liegt aber auch für alle anderen Hausbewohner vor. Da diese Indizien gar nichts ausmachen, hat man die Psychologie angezogen, wie noch in keinem Falle. Weil der Stoff für einen Rock nicht ausreichte, hat man ein Paar Hosen daraus angefertigt. In den Lehrbüchern der Kriminalpsychologie nennt man das ein Verrennen auf einen Seitenweg. Nach der Schilderung des Staatsanwalts ist die Angeklagte ein Satan in Menschengestalt, wie er nicht scheußlicher gedacht werden kann. Ich glaube, daß sie ein Mensch war mit großen, sehr großen Schwächen, aber auch großen Tugenden. Der ganze Entlastungsbeweis ist spurlos an dem Ohr des Herrn Staatsanwalts verhallt. Ich finde es unbegreiflich vom Herrn Staatsanwalt, daß er gegen diese so gut beleumundeten Eheleute Karl die schweren Vorwürfe erhoben und abwesende Zeugen, die sich nicht verteidigen können, beleidigt hat. Hier steht Eid gegen Eid. Wer hat denn ein größeres Interesse an dem Prozeß? Die Karls oder die Wagner? Aus dem ganzen Gang der Untersuchung habe ich den Eindruck gewonnen, daß es mit der Wahrheitsliebe der Wagner nicht so einwandfrei bestellt ist, wie sie der Staatsanwalt hingestellt hat. Die Aussagen der Karls werden durch andere Aussagen unterstützt. Aber der Herr Staatsanwalt mißt mit zweierlei Maß. In dem Leben der Wagner zeigen sich so viele merkwürdige Vorkommnisse wie da ist, die Erzählung über das verschwundene Dienstbuch mit den angeblich guten Dienstzeugnissen, die Geschichte mit dem Hund, der ihr einmal erschienen, ist usw. Sie hat Geistererscheinungen, immer Erzählungen mit mystisch-religiösem Beigeschmack erwähnt, bloß um Aufsehen zu erregen und sich interessant zu machen. Nehmen wir an, das Mädchen habe die Salzsäure getrunken, um sich interessant zu machen. Ist das etwas anderes, als alle die anderen Geschichten? Sie kannte die Wirkung der Salzsäure. Das Quantum kann ein gesunder Mann ohne Nachteile mit zwei Schluck einnehmen. Sie hatte nur nicht mit ihrem schwachen Magen gerechnet. Wenn Sie die Angeklagte schuldig sprechen, trifft sie eine furchtbare Strafe, dieser Paragraph kennt keine mildernden Umstände. Mit einem Schuldspruch vernichten Sie die Existenz dieser Frau, die in Ehren grau geworden und im Leben schwer gearbeitet hat. Ich halte eine Verurteilung bei dem mangelhaften Beweismaterial für unmöglich. Wenn Sie aber der Meinung sein sollten, daß die Angeklagte es getan hat, so kommt es auf das »um« an. Sie mögen ja annehmen, daß die Angeklagte der Wagner einen Possen habe spielen wollen; wenn Sie aber verneinen, daß es in der Absicht geschehen, sie an der Gesundheit zu schädigen, so erfolgt zwar Freisprechung, die Wagner hat aber einen zivilrechtlichen Anspruch an die Angeklagte. Sie verliert damit ihr kleines Vermögen und Heim, das würde doch schon eine sehr große Sühne sein – wenn sie es wirklich getan haben sollte. (Die Angeklagte rief: Doch nicht, ich bin unschuldig, bei Gott im Himmel!)

      Die Geschworenen traten nach Mitternacht in Beratung. Nach einer halben Stunde traten die Geschworenen wieder in den Saal. Der Obmann verkündete: Die Geschworenen haben die Schuldfrage bejaht.

      Staatsanwalt Aull beantragte eine Zuchthausstrafe von 7 Jahren und 10 Jahre Ehrverlust.

      Vert. R.-A. Dr. v. Pannwitz bat um eine mildere Strafe.

      Angekl. v. Heusler: I' bitt' Sie, i' bin unschuldig.

      Der Gerichtshof verurteilte die Angeklagte zu 6 Jahren Zuchthaus und 10 Jahren Ehrverlust. Händeringend beteuerte die Angeklagte nochmals, unschuldig zu sein. Mehrere alte Damen drückten ihr zum Abschied die Hand, als sie, stolz aufgerichtet, sich abführen ließ. Die Sitzung schloß um 1/22 Uhr nachts. Vor dem Justizpalast hatten sich große Menschenmassen angesammelt, die begierig auf das Urteil warteten, das vielfach große Befriedigung erregte.

      Als die Angeklagte im verschlossenen Gefangenenwagen nach dem vom Justizpalast entfernt gelegenen Untersuchungsgefängnis transportiert wurde, johlte und pfiff die Menge und bewarf den Gefangenenwagen mit Steinen.

      Die gegen das Urteil eingelegte Revision wurde vom Reichsgericht verworfen.

      Der Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. v. Pannwitz, betrieb unablässig und schließlich auch mit Erfolg das Wiederaufnahmeverfahren. Elise v. Heusler war außerdem vom Zivilgericht verurteilt worden, an Minna Wagner 3000 Mark Entschädigung zu zahlen. Das Urteil ist aber nicht rechtskräftig geworden. Inzwischen war Minna Wagner gestorben. Auf Antrag des R.-A. Dr. v. Pannwitz wurde die Leiche der Wagner seziert. Die Sektion ergab, daß in der Leiche eine Salzsäurevergiftung nicht gefunden wurde. Die Brechanfälle, so erklärten die Ärzte, müsse die Wagner simuliert haben; von Salzsäure sei im Körper keine Spur vorhanden gewesen.

      Auf Beschluß des Bayerischen Oberlandesgerichts wurde das Wiederaufnahmeverfahren beschlossen und Elise v. Heusler im November 1905 aus dem Zuchthause entlassen. Sie hatte also 7 Monate in Untersuchungshaft und 2 1/2 Jahre im Zuchthause zugebracht. Am 25. Oktober 1906 hatte sich Elise v. Heusler im Wiederaufnahmeverfahren nochmals vor dem Schwurgericht des Landgerichts München I zu verantworten.

      Die Angeklagte war inzwischen 58 Jahre alt geworden. Sie sah stark gealtert aus. Die Spuren des zweieinhalbjährigen Aufenthalts im Zuchthause waren auf ihrem Gesicht unverkennbar. Sie war schlicht gekleidet und brach auf der Anklagebank wiederholt in Tränen aus, während sie in der ersten Verhandlung eine große Ruhe zeigte. Die Angeklagte versicherte auf Befragen des Vorsitzenden unter heftigem Weinen, daß sie unschuldig sei. Sodann äußerte sich die Angeklagte über die Minna Wagner. Die Wagner habe getrunken, obwohl sie nach ihrer eigenen Angabe einen schlechten Magen gehabt habe. Wiederholt seien viele Flaschen Bier leer gewesen, und da sie die Wagner im Verdacht hatte, die Flaschen ausgetrunken zu haben, machte sie ihr Vorhaltungen. Daß die Wagner daraufhin gedroht habe, sich im Ministerium über die Angeklagte zu beschweren, sei unwahr. Sie könne sich nicht mehr an lieblose Äußerungen erinnern, die sie über die Wagner sowie über Stiftsdamen getan haben solle. Des weiteren äußerte die Angeklagte den Verdacht, daß die Wagner im Komplott mit der Stiftsdame Lotz gehandelt habe, mit der sie (Angeklagte) verfeindet war, weil sie der Lotz verboten hatte, unanständige Gespräche bei Tisch zu führen.

      Köchin Marie Holzapfel bekundete als Zeugin: Sie war bei dem Ingenieur Lippmann bedienstet, als die Minna Wagner von diesem aus Mitleid als Dienstmädchen aufgenommen wurde. Die Wagner zeigte sich bald sehr naschhaft und verlogen. Eines Tages hatte sie einen Streit mit ihr. Nachts darauf wurde sie (Zeugin) von ihrem Dienstherrn geweckt, sie solle die Gashähne schließen, die von der Wagner geöffnet worden seien. Ein anderes Mal soll die Wagner eine Suppenschüssel mit Petroleum beschmiert haben.

      Die Feststellung des Verteidigers, daß drei Wochen vor dem kritischen Tage im Stift auf Rechnung von drei Stiftsfräuleins 241 Flaschen Bier getrunken worden seien, erregte allgemeine Heiterkeit.

      Alsdann wurde die 64 Jahre alte, sehr gebrechliche Stiftsdame Neudegger vernommen, die an das bayerische Ministerium eine Eingabe zugunsten der Angeklagten gerichtet hatte. Es hieß in der Eingabe: Es sei unerhört, daß man annehmen könne, die Oberin v. Heusler hätte die Tat begangen.

      Die Angeklagte erklärte zu der Eingabe, sie selbst habe die Zeugin gebeten, dem Ministerium alles mitzuteilen, weil sie selbst doch nicht in eigener Sache schreiben konnte. Was die Zeugin zu

Скачать книгу