Mann und Weib. Уилки Коллинз

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style="font-size:15px;">      Es vergingen fernere fünf Jahre seit dem Tage, wo die verlassene Frau begraben worden war. Es war im Jahre 1866.

      An einem Tage dieses Jahres las man zwei bemerkenswerthe Nachrichten in den Blättern, die Nachricht einer Erhebung zum Pair, und die Nachricht von einem Selbstmord.

      War es Mrs Delamayn schon in seiner Laufbahn als Advocat gut gegangen, so erreichte er doch noch größere Erfolge im Parlament. Er wurde eines der hervorragendsten Mitglieder des Hauses; er sprach klar, verständlich und bescheiden, – und niemals zu lang, wußte das Haus zu fesseln, wo noch begabtere Männer es langweilten. Die Häupter seiner Partei sprachen ihre Anerkennung offen in der Erklärung aus, daß etwas für Delamayn geschehen müsse. Die Gelegenheit bot sich dar, und die Parteiführer hielten ihr Wort. Ihr Staatsanwalt wurde zu einer höheren Stelle befördert, und sie machten Delamayn zu seinem Nachfolger. Unter den ältern Advokaten rief diese Ernennung große Aufregung hervor. Das Ministerium aber antwortete: »Wir brauchen einen Mann, dem man im Hause der Gemeinen zuhört, und wir haben ihn gefunden.« Die Zeitungen sprachen sich zu Gunsten der neuen Ernennung aus. Bei einer bald darauf entstehenden großen Debatte rechtfertigte der neue Staatsanwalt die Wahl des Ministeriums und die Unterstützung der Zeitungen. Seine Feinde sagten spöttisch: »Der wird in ein bis zwei Jahren Lordkanzler werden«, und seine Freunde machten in seinem häuslichen Kreise harmlose Scherze, die auf dieselbe Prophezeiung hinausliefen. Sie warnten seine beiden Söhne, Julius und Geoffrey, die damals im college waren, mit ihren Bekanntschaften vorsichtig zu sein, da sie jeden Augenblick Söhne eines Lords werden könnten.

      Der Verlauf der Ereignisse schien der Prophezeiung Recht geben zu wollen. Der nächste Schritt, den Mr. Delamayn auf der Stufenleiter hoher Staatsämter machte, war seine Ernennung zum Kronanwalt. Ungefähr um dieselbe Zeit – so wahr ist es, daß nichts den Erfolg so sehr befördert, wie der Erfolg –, starb ein kinderloser Verwandter Delamayn’s und hinterließ ihm sein Vermögen. Im Sommer 1866 wurde die Stelle eines Oberrichters vacant. Das Ministerium hatte eine Wiederbesetzung dieser Stelle beabsichtigt, die allgemeines Mißfallen erregte. Als dasselbe daher einen Ersatzmann für die Stelle des Kronanwalts fand, offerirte es Delamayn die Stelle des Oberrichters. Er zog es aber vor, im Hause der Gemeinen zu bleiben und lehnte die angebotene Stelle ab. Das Ministerium seinerseits aber weigerte sich, die ablehnende Erklärung anzunehmen. Man fragte vertraulich bei ihm an, ob er die Stelle unter Erhebung zum Pair aceeptiren würde. Delamayn berieth die Sache mit seiner Frau und acceptirte die Stelle mit einer Erhebung zur Pairswürde. Die »London Gazette« verkündete der Welt seine Erhebung unter dem Namen eines Barons Holchester of Holchester. Und die Freunde der Familie rieben sich vergnügt die Hände und sagten: »Seht Ihr, haben wir es Euch nicht vorausgesag!? Jetzt sind unsere beiden jungen Freunde, Julius und Geoffrey, die Söhne eines Lords!«

      Und wo war Mr. Vanborough während dieser ganzen Zeit? Genau da, wo wir ihn fünf Jahre früher verlassen haben.

      Er war noch ebenso reich, vielleicht noch reicher, als zuvor. Er hatte noch dieselben einflußreichen Verbindungen; er war noch ebenso ehrgeizig, wie vordem, aber das war auch Alles. Seine Stellung im Hause der Gemeinen und seine Stellung in der Gesellschaft blieben unverändert, mit dem einzigen Unterschied, daß der verbitterte Mann noch verbitterter, sein graues Haar noch grauer und sein reizbares Temperament noch unerträglichen als zuvor geworden waren. Seine Frau bewohnte ihre eigenen Gemächer im Hause und er die seinigen, – und die Kammerfrau und der Kammerdiener sorgten dafür, daß sie sich niemals auf der Treppe begegneten. Sie hatten keine Kinder und sahen sich nur bei den großen Diners und Bällen, die sie von Zeit zu Zeit gaben. Die Leute aßen an ihrem Tische und tanzten auf ihrem Parquetboden und unterhielten sich nachher darüber, wie langweilig es gewesen sei. Während der Mann, der einst Vanborough’s Advokat gewesen war, eine Staffel nach der anderen auf der Leiter der Staatsämter emporstieg, bis er in’s Oberhaus gelangte und nicht höher steigen konnte, blieb Vanborough am Fuß der Leiter stehen und sah den Andern vor sich aufsteigen, ohne trotz all’ seines Reichthums und seiner vornehmen Familie mehr Aussicht zu haben, ihm in’s Haus der Lords zu folgen, als der Geringste aus dem Volk.

      Die Carriere des Mannes war zu Ende, und an dem Tage, wo die Ernennung des neuen Pairs verkündet wurde, endete auch das Leben des Mannes.

      Er legte die Zeitung, ohne irgend eine Bemerkung zu machen, bei Seite und fuhr aus. Er verließ den Wagen da, wo im Nordwesten von London noch heute grünes Weideland liegt, in der Nähe des Fußsteiges, der nach Hampstead führt. Er ging allein nach der Villa, in der er einst mit der Frau gelebt, die er so grausam behandelt hatte. Neue Häuser waren um dieselbe her emporgestiegen, selbst ein Theil des alten Gartens war verkauft und bebaut worden. Einen Augenblick zauderte er, dann trat er an’s Gitter und zog die Glocke. Er händigte dem Diener seine Karte ein. Dem Herrn des Hauses war der auf der Karte befindliche Name als der eines sehr reichen Mitgliedes des Parlaments bekannt. Er empfing den Fremden mit der höflichen Frage, welchem glücklichen Umstände er die Ehre dieses Besuches verdanke. Vanborough antwortete kurz und einfach: »Ich habe vor Jahren hier gewohnt, und knüpfen sich für mich Erinnerungen an diesen Platz, mit deren genauerer Mittheilung ich Sie nicht zu behelligen brauche. Sie müssen entschuldigen, wenn ich mich mit einer sehr sonderbaren Bitte an Sie wende; ich möchte gern das Eßzimmer einmal wieder sehen, wenn ich Niemanden störe und Sie nichts dagegen haben.«

      Die »sonderbaren Bitten« reicher Leute genießen des Vorrechts einer freundlichen Aufnahme, aus dem sehr triftigen Grunde, daß man bei ihnen sicher ist, nicht um sein Geld gebracht zu werden.

      In das Eßzimmer geführt ging Vanborough direct auf einen Fleck auf dem Teppich zu, in der Nähe der in den Garten führenden Glasthür, der Eingangssthür ungefähr gegenüber. Auf diesem Fleck blieb er, das Haupt auf die Brust gesenkt, schweigend und nachdenklich stehen. Tsar das vielleicht die Stelle, auf der er sie an jenem Tage, wo er das Zimmer auf immer verließ, zum letzten Male gesehen hatte? Ja, sie war es. Nachdem er so eine Zeitlang in Gedanken versunken dagestanden hatte, schien er wieder zur Besinnung zu kommen, sah aber noch immer träumerisch und abwesend aus. Er äußerte, es sei ein hübscher Landsitz, dankte dem Besitzer, blickte noch einmal um sich, bevor sich die Thür hinter ihm schloß und ging dann wieder seines Weges. An derselben Stelle, wo er seinen Wagen verlassen hatte, bestieg er ihn wieder. Er fuhr bei dem neuen Lord Holchester vor, gab seine Karte ab und kehrte dann nach Hause zurück. Hier erinnerte ihn sein Secretär daran, daß er in zehn Minuten Jemanden zu empfangen habe. Er dankte dem Secretair in demselben träumerisch abwesenden Tone, in welchem er dem Besitzer der Villa gedankt hatte und ging in sein Ankleidezimmer. Die Person, die er zu sich beschieden hatte, kam, und der Secretair schickte den Kammerdiener hinauf, bei dem Herrn anzuklopfen. Es erfolgte keine Antwort. Als man mit einem Schlüssel zu öffnen versuchte, fand sich, daß das Zimmer von innen verschlossen sei. Man erbrach endlich die Thür und fand Vanborough auf dem Sopha liegen. Man trat näher heran und fand, daß er sich selbst das Leben genommen hatte.

      VIII

      Seinem Ende rasch entgegengehend hat das Vorspiel noch zu zeigen, wie die beiden Mädchen, Anne und Blanche, die verflossenen Jahre verlebt hatten. Lady Lundie löste das feierliche Wort, das sie ihrer Freundin gegeben hatte, voll ein. Sorgfältig vor jeder Versuchung bewahrt, die das Verlangen, dieselbe Laufbahn wie ihre Mutter zu betreten, in ihr hätte erwecken können, mit allen für Geld erreichbaren Mitteln für das Leben einer Erzieherin vorbereitet, durfte Anne ihre ersten und einzigen Versuche auf dem Felde der Erziehung unter Lady Lundie’s eigenem Dach, an Lady Lundies eigenem Kinde machen. Die Verschiedenheit des Alters der beiden Mädchen, sieben Jahre, und ihre gegenseitige Liebe, die mit jedem Tage zuzunehmen schien, Begünstigten diesen ersten Versuch. In der zwiefachen Eigenschaft einer Lehrerin und Freundin der kleinen Blanche flossen die Mädchenjahre Anne Silvester’s sicher, glücklich und ereignißlos, in dem stillen Heiligthum einer bescheidenen Häuslichkeit dahin. Ein schärferer Contrast zwischen ihrem und ihrer Mutter Jugendleben war nicht denkbar. Niemand, der das Leben dieses Mädchens beobachtete, hätte in der schrecklichen Frage, welche die Mutter in ihren letzten Augenblicken gemartert hatte: »Wird sie auch enden wie ich? etwas Anderes als das Wahngebilde einer

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