Gesammelte Werke von Stefan Zweig. Стефан Цвейг
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Der Maler ging und ging, ohne ein Müdewerden zu fühlen. Es war ihm, als sei auch ihm ein geheimer Jubel beschieden und als sei jedes Sonnenfunkens flüchtiger Schein Gottes leuchtender Gnadenstrahl, der zu seinem Herzen ginge. Alle Bitternis war verloschen in seinem Angesicht, das so milde und begütigend durchleuchtet war, daß die spielenden Kinder aufstaunten und ihn fürchtig grüßten, weil sie einen Priester in ihm zu sehen meinten. Er ging und ging, ohne an Ziel und Ende zu denken, denn in seinen Gliedern drängte der neue Frühlingstrieb, wie in alten verknisterten Bäumen die Blüten bittend an den haltenden Bast klopfen, daß er ihre junge Kraft aufschießen lasse ins Licht. Sein Schritt war froh und leicht wie der eines Jünglings; frischer und lebendiger schien er zu werden, obgleich der Weg schon Stunden währte, und rascher geschmeidiger Takt maß die rasch zurückgelegten Strecken.
Plötzlich hielt der Maler wie versteinert inne und fuhr sich mit der Hand schützend über die Augen, wie einer, den ein blitzender Strahl verletzt oder ein schrecksames und unglaubliches Ereignis. Aufschauend zum sonneüberleuchteten Schein eines Fensters hatte er den vollen Strahl des zurückspiegelnden Lichtes schmerzhaft in den Augen gefühlt, aber durch jenen Nebel von Purpur und Gold war eine seltsame Erscheinung, ein wunderbares Trugbild auf dem wirrenden Scharlachschleier erschienen: die Madonna jenes jungen Meisters, träumerisch und leise schmerzlich zurückgelehnt, wie auf jenem Bild. Ein Schauer überlief ihn, die grausame Angst der Enttäuschung vereint mit jenem selig zitternden Rausch eines Begnadeten, dem die wundersame Vision der Gottesmutter nicht im Dunkel eines Traumes, sondern in Tageshelle erschienen, ein Wunder, das viele bezeugten und wenige wirklich erschaut hatten. Noch wagte er den Blick nicht zu erheben, weil er sich nicht stark genug fühlte, um den niederschmetternden Augenblick unseliger Entscheidung auf seinen zitternden Schultern tragen zu können, weil er fürchtete, daß diese eine Sekunde sein Leben noch grimmiger zerstampfen könnte, als die unerbittliche Selbstqual seines verzagten Herzens. Erst als seine Pulse langsamer und ruhiger gingen und er nicht mehr schmerzvoll ihren Hammerschlag in der Kehle spürte, raffte er sich auf und sah langsam, unter der überschattenden, zitternden Hand zu jenem Fenster auf, in dessen Rahmen er das verführerische Bild gesehn.
Er hatte sich getäuscht. Es war nicht das Mädchen von des jungen Meisters Marienbild. Aber die erhobene Hand sank darum nicht verzagend herab. Denn auch das, was er erschaute, schien ihm ein Wunder zu sein, wenn auch ein viel lieblicheres, milderes und menschlicheres, als eines Gottes Erscheinung, die im glühenden Strahl einer begnadeten Stunde erscheint. Nur eine ferne und verlorene Ähnlichkeit hatte jenes Mädchen, das sich nachdenklich über die leuchtende Brüstung des Fensters lehnte, mit jenem Altarbild: auch ihr Gesicht war von schwarzen Locken umfaltet, und auch sie blühte in jener geheimnisvollen und phantastischen Blässe, aber ihre Züge waren härter, geschärfter, fast zornig, und um den Mund legte sich ein verweinter und trotziger Zorn, den nicht einmal der verlorene Ausdruck ihrer träumerischen Augen mäßigen konnte, aus denen eine alte und tiefe Trauer empordämmerte. Kindischer Mutwille und vererbtes vergrabenes Leid funkelten zusammen in dieser mühsam gebändigten Unrast. Eine Stille war in ihrem Ruhen, die sich jeden Augenblick in einer jähzornigen Bewegung lösen konnte, etwas Phantastisches und Abenteuerliches, über das kein sanftes Träumen hinwegtäuschen konnte; und der Maler fühlte an einem gewissen gespannten Ausdruck ihrer Züge, daß in diesem Kinde schon eine jener Frauen zu wirken beginne, die ihre Träume leben und mit ihren Sehnsüchten verwachsen, deren Seele sich an die Dinge klammert, die sie lieben, mit allen ihren Fibern und Fasern, und die sterben, wenn sie Gewalt von ihnen löst. Mehr aber als alle diese Sonderbarkeit und Fremdheit in ihrem Gesichte erstaunte ihn das Wunderspiel der Natur, das hinter ihrem Haupte im bespiegelten Fenster die sonnige Glut aufstrahlen ließ wie einen Heiligenschein, der sich um ihre Locken sammelte und sie funkeln ließ, wie schwarzen Stahl. Und in diesem Spiel meinte er deutlich die Hand Gottes zu spüren, die ihm den Weg wies, sein Werk wohlgefällig und würdig zu vollenden.
Ein Karrenführer stieß derb an den in Schauen versunkenen Maler an, der verloren inmitten der Straße stand. »Gottes Zorn! Könnt ihr nicht achtgeben oder hat es Euch alten Kerl die schöne Jüdin da angetan, daß ihr gafft wie ein Lümmel und den Weg versperrt?«
Der Maler fuhr auf, erschreckt, aber nicht verletzt durch den groben Ton, den er überhört hatte über der Kunde, die ihm dieser übelgekleidete und ruppige Genosse brachte. Und ganz erstaunt richtete er das Wort an ihn.
»Das ist eine Jüdin?«
»Ich weiß nicht, aber man sagt es. Jedenfalls ist es nicht der Leute Kind, sie haben es wo gefunden oder bekommen. Was schert’s mich, meine Neugierde hat’s nie geplagt und wird’s auch nicht sobald. Fragt den Meister selbst, wenn ihr’s wissen wollt, der weiß sicherlich besser als ich, wieso er dazu gekommen ist.«
Der »Meister«, auf den er wies, war ein Wirt, der Besitzer einer jener dumpfen, verrauchten Schenken, in denen nie ganz das Leben und Lärmen erstirbt, weil Spieler und Matrosen, Soldaten und Müßiggänger sich dort einquartieren, um sie nur selten wieder zu verlassen. Breit, mit aufgequollenem, aber gutmütigem Gesicht stand er in der schmalen Türe, wie ein einladendes Schild. Ohne viel Besinnen trat der Maler auf ihn zu. Sie traten ein in die Schenke; der Maler setzte sich in eine Ecke an einen der beschmierten Holztische, ein wenig unruhig und erregt, und als der Wirt ihm das geforderte Glas vorsetzte, bat er ihn, einen Augenblick mit ihm den Platz zu teilen. Und leise, um ein paar Matrosen, die am Nebentische, schon ein wenig betrunken, vor sich hingröhlten, nicht aufmerksam zu machen, sprach er sein Anliegen aus. Er erzählte ihm in fliegenden, aber innerlich bewegten Worten von dem Wunderzeichen, das ihm erschienen und bat schließlich den Wirt, der erstaunt zuhörte und sich anscheinend bemühte, mit seinem langsamen, vom Wein verqualmten Fassungsvermögen dem Maler zu folgen, – er möge gestatten, daß ihm seine Tochter als Folie eines Marienbildes diene. Er vergaß nicht zu erwähnen, daß durch die gegebene Verstattung auch der Vater teilhaftig werde an dem gottesfürchtigen Werk und merkte wiederholt an, daß er bereit sei, den Dienst in barem Gelde zu vergüten.
Der Wirt antwortete nicht gleich, aber er wühlte mit seinem dicken Finger unablässig in den breiten, aufgeblähten Nasenlöchern. Endlich begann er.
»Ihr müßt mich nicht für einen schlechten Christen halten, bei Gott nicht, aber das Ding ist nicht so einfach, wie ihr denkt. Denn wäre ich der Vater und könnte zu meinem Kind sagen, geh hin und tu so, wie ich dir’s befehle, ich sag’ Euch, unser Handel wäre schon erledigt. Mit diesem Kind ist’s aber eine eigene Sache… Donnerwetter, was gibt’s denn dort!«
Er war aufgesprungen, in hellem Zorn, denn er ließ sich ungern in der Rede stören. Am andern Tische hämmerte einer wie toll mit dem leeren Krug auf der Bank und begehrte neue Füllung. Unwirsch riß ihm der Wirt den Humpen aus der Hand und besorgte mit unterdrücktem Fluch die frische Ladung. Gleichzeitig nahm er auch ein Glas und die Flasche mit, stellte sie zum Tisch des Gastes und schenkte beide Gläser voll. Mit einem Ruck war das seine hinabgespült, und wie erfrischt wischte er sich den struppigen Schnauzbart ab und begann.
»Ich will Euch sagen, wie ich zu der Judendirne kam. Ich war Soldat, in Italien drunten und dann in Deutschland. Ein schlechtes Handwerk sag’ ich Euch, nie schlechter als heute und damals. Ich hatt’s auch über und wollt’