Gesammelte Werke von Stefan Zweig. Стефан Цвейг
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Wie Ihr sie jetzt gesehn, so ist ihr ganzer Tag. Sie gafft zum Fenster in die Luft hinaus, spricht niemand an und gibt nur scheue Antwort, gleichsam geduckt, als ob sie einer schlagen wollte. Mit Männern spricht sie nie. Anfangs dacht’ ich, sie würde hier in meiner Schenke helfen und so mir manchen Gast anlocken, wie es drüben des Wirten junge Tochter tut, die mit den Gästen scherzt und sie anfeuert, daß sich ein Glas nach dem andern leert. Doch die ist zimperlich: faßt sie mal einer an, so schreit sie auf und saust zur Tür hinaus wie ein Wirbelwind. Und suche ich sie dann, so sitzt sie sicherlich irgendwo in einem Winkel zusammengeknäult und heult, daß einem das Herz brechen könnte und man dächte, es sei ihr, weiß Gott was für Leid geschehn. Ein sonderbares Volk!«
»Und sagt«, unterbrach der Maler den Erzählenden, der immer nachdenklicher in seiner Rede zu werden schien, »ist sie noch Jüdin oder schon zum Glauben bekehrt?«
Der Wirt kratzte sich verlegen den Kopf. »Wißt Ihr«, hub er dann an, »ich war ein Soldat und weiß von meinem Christentum selber nicht viel. Selten war ich in der Kirche und bin’s auch jetzt nicht, so sehr mich’s reut; und um das Kind da zu bekehren, schien ich mir immer zu töricht. Ich hab’s nie recht versucht, weil mir so schien, als sei’s bei diesem trotzigen Ding verlorne Liebesmüh. Einmal hat man mir schon die Priester auf den Hals gehetzt und mir die Hölle heiß gemacht; ich habe sie vertröstet, bis das Ding vernünftig werde. Doch damit hat’s wohl noch lange Zeit, obwohl sie heute schon ihre fünfzehn Jahre hinter sich hat, denn sie ist ganz versponnen und trotzig. Wer kennt sich aus mit diesem Judenvolk, es sind so seltsame Menschen; der Alte schien mir gut, und die ist auch kein übles Ding, so schwer man auch an sie herankommt. Und was dann Eure Sache anlangt, die mir nicht übel gefällt, weil ich meine, daß ein ehrlicher Christ nie genug für sein Seelenheil tun kann und jedes Bemühn dereinst gewogen wird… ich sage Euch offen, ich habe keine rechte Gewalt über das Kind, denn wenn sie einen mit ihren großen schwarzen Augen anschaut, hat man nicht rechten Mut, ihr was zuleide zu tun. Doch Ihr werdet ja sehn. Ich will sie rufen.«
Er stand breitspurig auf, schenkte sich noch ein Glas voll, das er stehend hinuntergoß und stapfte dann durch die Schenke, in die eben wieder einige Matrosen eingetreten waren, die einen undurchdringlichen Qualm aus ihren kurzen weißen Tonpfeifen emporstießen. Vertraulich schüttelte er ihnen die Hände, füllte ihre Gläser und scherzte derb mit ihnen. Dann erinnerte er sich seiner Absicht, und der Maler hörte ihn langsam und mit schweren wuchtigen Schritten die Treppe emporstampfen.
Ihm war sehr seltsam zumute. Das selige Vertrauen, mit dem ihn diese glückliche Bewegung beschenkt hatte, begann sich zu trüben in dem schwellenden Lichte dieser Schenke. Straßenstaub und dunkler Qualm legte sich über das schimmernde Bild seiner Erinnerung. Und immer und immer wieder die dunkle Angst vor der Sünde, diese feiste und viehische Menschheit, die sich überall mit den Gestalten der irdischen Trägerinnen so erlauchter Gedanken vermengte, emporzutragen zu dem Thron seiner frommen Träume. Ihm schauderte, aus welchen Händen er die Gabe empfangen sollte, zu der ihm geheime und offenbare Wunderzeichen den Weg gewiesen.
Der Wirt trat wieder ein in die Stube, und in seinem schweren breiten schwarzen Schatten zeichnete sich die Gestalt des Mädchens ab, das unschlüssig und wie erschreckt von dem gröhlendem Qualm an der Schwelle stehen geblieben war und sich mit den schmalen Händen wie hilfesuchend an den Türpfosten festhielt. Ein derbes Wort des Wirtes, das sie eintreten hieß, scheuchte ihren flüchtigen Schatten eher noch mehr in das Dunkel des Treppenganges zurück, doch schon war der Maler aufgestanden und auf sie zugetreten. Mit seinen beiden alten, derben, aber doch so milden Händen faßte er die ihren und fragte sie leise und vertraulich, indem er ihr voll in die Augen schaute: »Willst du dich nicht einen Augenblick zu mir setzen.«
Das Mädchen sah ihn erstaunt an, im tiefsten überrascht durch diesen tiefen Glockenton der Milde und geklärten Liebe, der ihr zum ersten Mal aus dem verräucherten Dunkel der Schenke entgegenschlug. Und sie fühlte die Milde seiner Hände und die zärtliche Güte seiner Augen mit dem süßschauernden Erschrecken derer, die Wochen und Jahre nach Zärtlichkeit hungern und sie eines Tages mit staunender Seele empfangen. Ihres toten Großvaters Bild erstand jäh in ihrem inneren Blick, als sie die schneeige Milde dieses Hauptes umfaßte, und vergessene Glocken schlugen an in ihrem Herzen und schlugen so laut und jubelnd durch alle Adern und bis in die Kehle hinauf, daß sie kein Wort der Antwort wußte. Sie errötete nur und nickte heftig, fast wie im Zorn, so eckig und hart in der plötzlichen Bewegung. Bangend und erwartend folgte sie ihm an seinen Platz und setzte sich halb an seine Seite, ohne die Bank recht zu berühren.
Der Maler beugte sich zärtlich zu ihr nieder, ohne zu sprechen. Vor dem klaren Blick des alten Mannes glühte jäh die Tragödie der Einsamkeit und stolzen Fremdheit auf, die so früh schon in diesem Kinde kämpfte. Am liebsten hätte er sie an sich gezogen und ihr einen segnenden, beruhigenden Kuß auf die Stirne gedrückt, aber er fürchtete sie zu erschrecken und fürchtete die Augen der andern, die einander lachend die seltsame Gruppe zeigten. Er verstand dieses Kind so ganz, ohne ein Wort von seinen Lippen zu wissen, und ein brennendes Mitleid stieg in ihm empor, wie eine heiße strömende Flut, denn er kannte die Schmerzlichkeit jenes Trotzes, die nur so hart und jähzornig und drohend ist, weil er Liebe ist, eine große und unfaßbare Fülle der Liebe, die sich verschenken will und sich verstoßen fühlt. Sanft fragte er sie: »Wie heißt du, Kind?«
Sie sah vertrauend, aber verwirrt zu ihm auf. Noch war ihr alles zu seltsam, zu fremd. Und ein schüchternes Zittern lag in ihrer Stimme, als sie leise und sich halb abwendend sagte »Esther.«
Der alte Mann aber fühlte dennoch, daß sie Vertrauen zu ihm hege, es nur noch nicht zu zeigen wage. Und sanft begann er:
»Ich bin ein Maler, Esther, und ich will dich malen. Es wird dir nichts Übles geschehen, und du wirst manches Schöne bei mir sehen und manchmal werden wir vielleicht zusammen sprechen, wie gute Freunde. Nur eine oder zwei Stunden wird es jeden Tag dauern, so lange, als es dir behagt. Willst du zu mir kommen, Esther?«
Das