Gesammelte Werke von Stefan Zweig. Стефан Цвейг
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Als Esther am nächsten Tage sich in gewohnter Weise niedergelassen hatte und sanft zurückgelehnt auf den Beginn der Arbeit wartete, die ihr gar nicht unwillkommen war, sondern in die Armut ihres einsamen Tages reiche Worte und freudige Minuten säte, hörte sie zu ihrer Überraschung die Stimme des Malers nebenan in freundlicher Wechselrede mit einer derben, bäuerlichen Frauenstimme, die sie nicht kannte. Neugierig horchte sie hin, ohne aber deutliches vernehmen zu können. Bald verstummte die Frauenstimme, eine Tür fiel ins Schloß und schon trat der alte Mann herein und auf sie zu, etwas Helles in den Armen tragend, das sie beim ersten Anblick nicht erkannte. Und vorsorglich legte er ihr ein kleines, nacktes, derbes Kind von mehreren Monaten in den Schoß, das sich anfänglich unruhig bewegte, dann aber unbeweglich blieb. Esther sah mit erstarrten Augen den alten Mann an, von dem sie so sonderbaren Scherz nicht erwartet hatte. Doch dieser lächelte nur und schwieg. Und als er sah, daß sich ihre ängstlich fragenden Blicke nicht von ihm abwenden wollten, erklärte er ihr ruhig und mit bittendem Tone seine Absicht, sie mit dem Kinde auf dem Schoße zu malen. Die ganze Herzlichkeit und Güte seiner Augen legte er in diese Bitte. Die tiefe väterliche Liebe, die er zu diesem fremden Mädchen gefaßt hatte und das innige Vertrauen auf ihr unruhiges und gläubiges Herz durchleuchteten seine Worte und noch sein beredtes Schweigen.
Esthers Gesicht war blutig überloht. Eine unbändige innere Scham zerquälte sie. Kaum wagte sie mit einem ängstlichen Seitenblick das kleine, blühende, nackte Kind zu betrachten, das sie auf ihren erzitternden Knieen widerwillig hielt. Die Strenge des ganzen Volkes, in dessen Abscheu der Nacktheit sie erzogen war, ließen sie dieses gesundfröhliche und jetzt ruhig schlummernde Kind mit Ekel und geheimer Furcht betrachten; sie, die unbewußt vor sich selbst ihre Nacktheit verhüllte, schauerte zurück vor der Berührung dieses weichen, rötlichen Fleisches wie vor einer Sünde. Eine Angst war in ihr, und sie wußte nicht, warum. Alle Stimmen in ihr streckten ängstlich ihre rufenden Arme aus, aber das harte, kurze Nein wollte nicht den milden begütigenden Worten dieses alten Mannes entgegen, den sie mit wachsender Liebe verehrte. Sie fühlte, daß sie ihm nichts verweigern konnte. Und sein Schweigen und die Frage seiner gespannt wartenden Blicke lasteten so schwer auf ihr, daß sie hätte aufschreien mögen, blind, tierisch, ohne Zweck und ohne Worte. Wahnsinnig packte sie der Haß gegen dieses ruhig schlummernde Kind, das in den Frieden ihrer einzig stillen Stunde hereingebrochen war und ihre träumerische Traulichkeit zerstörte. Aber sie fühlte sich schwach und wehrlos gegen die gütige Weise dieses alten geruhigen Mannes, der wie ein weißer, einsamer Stern über ihrem dunklen, tiefen Leben stand. Und wieder, wie zu jeder seiner Bitten, neigte sie demütig und verwirrt das Haupt.
Da sprach er nicht weiter, sondern machte sich daran das Bild zu beginnen. Zunächst zeichnete er nur den Umriß. Denn, um den inneren Gedanken seines Werkes darzustellen, war Esther noch viel zu unruhig und zu verwirrt. Der träumerische Ausdruck war gänzlich gewichen. In ihren Blicken lag etwas Krampfhaftes und Gezwungenes, weil sie es unausgesetzt vermied, dem Anblick des nackten schlafenden Kindes auf ihrem Schoße zu begegnen und in endloser stumpfer Wiederholung die Wandhöhe mit den ihr innerlich gleichgültigen Bildern und Zierraten fixierte. Auch in ihren Händen war dieser Ausdruck der Gezwungenheit und Steifheit von der Furcht aufgezwungen, sie möchte den Körper berühren müssen. Dazu fühlte sie die Last schwer auf den Knieen, ohne eine Regung zu wagen. Nur ein gespannter Zug in ihrem Gesichte verriet stärker und stärker die qualvolle Anstrengung, so daß der Maler schließlich selbst, obwohl er nicht ihren ererbten Abscheu, sondern nur mädchenhafte Scheu voraussetzte, ihr Unbehagen zu ahnen begann und die Sitzung unterbrach. Das Kind schlief ruhig weiter, wie ein sattes Tier, und merkte nichts, wie es der Maler mit sorgfältigen Händen von dem Schoße des Mädchens abhob und es im Nebenzimmer auf das Bett legte, wo es blieb, bis seine Mutter, eine derbe holländische Schiffersfrau, die für einige Zeit nach Antwerpen verschlagen war, es wieder abholte. Aber, ob man sie auch von der körperlichen Last befreit, fühlte sich Esther doch noch von dem Gedanken schwer bedrückt, daß Tag für Tag sie gleiche Bangigkeit erfüllen sollte.
Unruhig ging sie und unruhig kam sie wieder in den nächsten Tagen. Im geheimen hegte sie die Hoffnung, daß der Maler auch diesen Plan aufgeben würde und der Entschluß wurde drängender und überquellender, ihn mit einem ruhigen Worte darum zu bitten. Aber nie vermochte sie es; ein innerer Stolz oder eine geheime Scham hielten die Worte zurück, die schon auf ihren Lippen zuckten, so wie schwungbereite Vögel, die prüfend ihre Schwingen flattern lassen, bereit, sich im nächsten Augenblicke frei emporzustoßen in die Luft. Aber während sie Tag für Tag kam und ihre Unruhe gewissermaßen schon mit sich trug, wurde diese Scham nach und nach eine unbewußte Lüge, denn sie hatte sich schon damit vertraut gemacht, wie mit einer lästigen Selbstverständlichkeit. Es fehlte nur noch der Augenblick der Erkenntnis. Das Bild schritt inzwischen wenig fort, obwohl der Maler ihr es mit vorsichtigen Worten andeutete. In Wirklichkeit umfaßte sein Rahmen nur die leeren und unwichtigen Linien der Gestalten und ein paar flüchtige versuchende Tönungen. Denn der alte Mann wartete, bis Esther sich mit dem Gedanken ausgesöhnt hätte und suchte nicht zu beschleunigen, was er mit Sicherheit erhoffte. Vorläufig kürzte er nur die Stunden der Sitzungen und sprach viel von allerlei gleichgültigen Dingen, die Anwesenheit des Kindes und Esthers unruhige Erregung mit Absicht übersehend. Er schien heiterer und sicherer als je.
Und sein Vertrauen betrog ihn diesmal nicht. Denn einer dieser Vormittage war hell und warm, das Fenster umschnitt mit seinen Kanten eine lichte und durchsichtige Landschaft: Türme, die ferne waren und doch ihren goldglänzenden Schein wie von nahe schimmern ließen, Dächer, von denen der Rauch leise und sanftgekräuselt sich in das tiefe und wie damastene Himmelsblau verlor, weiße Wolken, die ganz nahe standen, als wollten sie sich niedersenken wie ein flaumiger flatternder Vogel in dieses dunkelflutende Meer der Dächer. Und mit vollen Händen warf die Sonne ihr Gold herein, Strahlen und tanzende Funken, rollende Kreise wie kleine klirrende Münzen, schmale schneidende Streifen wie glänzende Dolche, flatternde Formen ohne Deutung und Sinn, die mit springender Behendigung wie kleine schimmernde Tiere über die Bohlen sprangen. Und dieses flirrende und prickelnde Spiel hatte das Kind aus dem Schlafe geweckt, indem es wie mit seinen spitzigen Fingern an die geschlossenen Augenlider pochte, bis sie sich auftaten und blinzelten und starrten. Unruhig begann es sich auf dem Schoße des Mädchens zu bewegen, das es mit unwilliger Gebärde behütete. Aber es strebte nicht von ihr weg, sondern haschte nur ungeschickt mit seinen kleinen täppischen Händen nach diesen Funken, die es umtanzten und umspielten, ohne daß es sie fassen konnte und dieser Mißerfolg steigerte nur seine Aufmerksamkeit. Immer eiliger suchte es die kleinen dicken Finger zu bewegen, die vom sonnigen Lichte rötlich durchleuchtet die warme Flut des Blutes durchdämmern ließen, und dieses naive Spiel erfüllte die ganze kleine unfertige Gestalt mit wundersamem Liebreiz, der auch Esther unbewußt bezwang. Lächelnd und innerlich das vergebliche Bemühen überlegen bemitleidend, sah sie diesem endlosen Spiele zu, ohne zu ermüden oder sich ihres Widerwillens gegen dieses unschuldige hilflose Wesen zu erinnern. Zum ersten Mal webte ein menschliches und innig menschliches Leben für sie in diesem kleinen glatten Körper, dessen fleischige Nacktheit und stumpfe Sättigung sie bisher nur empfunden; und mit kindlicher Neugier folgte sie jeder Regung. Der alte Mann sah zu und schwieg. Mit Worten fürchtete er den Trotz und die vergessene Scham in ihr wieder wachzurufen, aber ein befriedigtes Lächeln eines, der die Welt und ihre Wesen kennt, wollte nicht weg von seinen milden Lippen. Nichts Sonderbares sah er in diesem Wechsel, sondern nur ein Berechnetes und Erwartetes, ein Vertrauen auf jene tiefrauschenden Gesetze der Natur, die nie versagen und vergessen, Wahrheit zu werden. Er fühlte sich wieder so ganz nahe einem jener ewigen, sich immer wieder erneuernden Wunder des Lebens, das aus den Kindern die hingebende Güte der Frauen mit einem Male erstehen läßt, die wieder hin zu den Kindern geht, von Werden zu Werden, und so eigene Kindheit nie verliert, sondern zweimal lebt, in sich und in denen, der sie begegnen. Und war dies nicht das Gotteswunder Marias, die Kind war, um nie Frau zu werden, sondern weiterzuleben in ihrem Kinde? Hatte nicht jedes Wunder seinen Spiegel in der Wirklichkeit und jeder erschaute Augenblick eines werdenden Lebens einen Glanz des Unnahbaren und ein Brausen des Ewig-Unverständlichen?
Der alte Mann fühlte wieder tief jene Wundernähe, deren göttlicher oder irdischer Gedanke ihn nun seit Wochen umpreßte, ohne ihn freizugeben. Aber er wußte, daß dies eine dunkle und verschlossene