Gesammelte Werke von Stefan Zweig. Стефан Цвейг
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Der Maler schaute plötzlich um sich, wie noch umrauscht von dem purpurnen Nebel seiner ekstatischen Worte; die Wirklichkeit wies ihm wieder ihr geordnetes kaltes Gefüge. Aber was er sah, war schön wie ein Traum.
Zu seinen Füßen saß Esther und schaute zu ihm auf. Sanft an seinen Arm gelehnt und in diese stillen, blauen, geklärten Augen blickend, in denen sich plötzlich so viel Licht gesammelt, war sie nach und nach an ihm herabgeglitten, ohne daß er es in seiner gottnahen Aufwallung bemerkte, und kauerte an seinen Knieen, den Blick zu ihm erhoben. Alte Worte aus eigener Kinderzeit rauschten wirr in ihrem Kopfe, Worte, die der Vater an manchen Tagen im langen schwarzen Feiergewand, umhangen von weißen zerfaserten Binden, aus einem alten und ehrwürdigen Buche vorgelesen hatte, und die auch so voll dröhnender Feierlichkeit waren und voll inbrünstiger Andacht. Eine Welt, die sie verloren und von der sie wenig mehr wußte, ward in dämmernden Farben wieder wach und erfüllte sie mit weher Sehnsucht, die Tränenglanz in ihren Augen erschimmern ließ. Und als der alte Mann sich zu diesen schmerzlichen Blicken niederbeugte und ihre Stirne küßte, fühlte er, wie ein Schluchzen ihre zarten kindlichen Glieder in wildem Fieber schüttelte. Und er mißverstand sie. Denn er meinte, daß das Wunder sich vollendet habe und Gott in einem großen Augenblicke seiner sonst schlichten und wortkargen Sprache die glühenden Feuerzungen der Beredsamkeit geschenkt habe, wie einst den Propheten, da sie zu dem Volke gingen. Und er meinte, dieses Schauern sei die bange und noch fürchtige Seligkeit einer, die den Heimweg zu dem wahren und aller Seligkeiten Fülle tragenden Glauben gefunden habe und die zittert und schwankt, wie einer Fackel jäh entflammte Flamme, die noch unsicher hoch in die Luft tastet und wieder in sich zusammensinkt, ehe sie sich klärt zu stillem geruhigem Leuchten. Dieser Irrtum umfing mit jubelnder Freude sein Herz, das sich mit einem Male seinen fernsten Zielen nahe wähnte. Eine Weihe überkam seine Worte.
»Ich habe dir von Wundern erzählt, Esther! Viele sagen, daß sie vor Zeiten waren, ich aber fühle und sage, daß sie noch heute sind, nur daß sie stiller geworden sind und nur in den Seelen derer erstehen, die sie erwarten. Was zwischen uns war, ist ein Wunder, meine Worte und deine Tränen, sie sind eines in einer unsichtbaren Hand, die sie aus unserem blinden Innern gestoßen, ein Wunder der Erleuchtung. Da du mich verstanden, gehörst du schon zu uns; in diesem Augenblicke, da dir Gott diese Tränen geschenkt, bist du schon Christin…«
Er hielt erstaunt inne. Denn bei diesem Wort war Esther von seinen Füßen mit abwehrenden Händen emporgefahren, wie um diesen Gedanken zurückzustoßen. Erschrecken flackerte in ihren Augen und der unbändige zornige Trotz, von dem man dem Maler gesprochen. Sie war schön in diesem Augenblick, da die Herbe ihrer Züge Trotz und Zorn wurde, die Linien um ihren Mund wie Messerschnitte so scharf, und in ihren zitternden Gliedern eine katzenhaft zur Verteidigung bereite Gebärde. Die ganze Glut, die in ihr schäumte, brach in einer Sekunde wildester Verteidigung empor…
Dann ward wieder alles ruhiger. Sie schämte sich der Gewalttätigkeit dieser wortlosen Abwehr. Aber die Wand, die schon ganz durchleuchtet gewesen war von den Strahlen einer übersinnlichen Liebe, starrte wieder schwarz und hoch zwischen beiden. In ihren Blicken war Kälte, Unrast und Beschämung, nicht Zorn mehr und nicht mehr Vertrauen, nur Wirklichkeit und nicht mehr mystisch erschauernde Sehnsucht. Und schlaff fielen die Hände an ihrem schmalen Körper herab, wie Schwingen, die auf hochrauschendem Fluge zerbrochen. Noch immer war ihr das Leben ein Rätsel von Schönheit und Seltsamkeit, aber sie wagte nicht mehr den Traum zu lieben, aus dem sie so niederschmetternd erwacht war.
Auch der alte Maler fühlte, daß ihn ein voreiliges Vertrauen betrogen hatte, aber es war nicht die erste Enttäuschung seines langen suchenden Lebens, das nur Treue und Vertrauen war. So kam ihn kein Schmerz an, sondern nur Erstaunen und dann wieder fast Freude über ihre rasche Beschämung. Sanft faßte er ihre beiden schmalen Kinderhände, in denen noch das Fieber glühte. »Esther, du hast mich beinahe erschreckt mit deiner jähen Aufwallung. Ich meine es doch nicht schlecht mit dir. Oder denkst du das?«
Sie schüttelte beschämt ihren Kopf, um sich im nächsten Momente wieder aufzurichten. Und ihre Worte wurden beinah wieder trotzig:
»Aber ich will keine Christin sein. Ich will nicht. Ich« – sie würgte an dem Worte lange, ehe sie es mit gedämpfter Stimme sagte – »Ich… Ich hasse die Christen. Ich kenne sie nicht, aber ich hasse sie. Was Ihr mir gesagt habt von der Liebe, die alle umfaßt, ist schöner, als jedes Wort, das ich in meinem Leben je erhört. Aber die Menschen um mich sagen auch, daß sie Christen sind, aber sie sind roh und gewalttätig. Und… ich weiß nicht mehr alles klar, es ist schon zu lange her… aber wenn wir zu Hause von den Christen sprachen, so war eine Angst und ein Haß in den Worten… Alle haßten sie… Und ich auch… Denn wenn ich mit meinem Vater ging, so schrieen sie uns nach und einmal warfen sie Steine nach uns… Mich selbst hat einer getroffen, daß ich blutete und weinte, aber mein Vater zog mich ängstlich fort, als ich nach Hilfe schrie… Mehr weiß ich nicht von ihnen… Doch, ich weiß noch… Unsere Gassen waren dunkel und eng, wie die hier, wo ich wohne. Und nur Juden wohnten darin… Aber drüben die Stadt war schön. Ich habe sie einmal hoch von einem Hause gesehn… Ein Fluß war darin, der so blau und klar vorüberfloß und drüben eine breite Brücke, auf der Menschen in hellen Gewandungen gingen, wie ihr mir sie auf den Bildern gezeigt habt. Und die Häuser waren mit künstlichen Figuren geschmückt und mit Gold und Giebeln verziert. Dazwischen standen hohe, ach, so hohe Türme, in denen die Glocken sangen, und die Sonne kam herab bis in die Straßen. Es war alles so schön… Als ich aber meinem Vater sagte, er möge hinübergehn mit mir in die helle Stadt, da wurde er ernst und sagte: ›Nein, Esther, die Christen würden uns töten‹… Ich erschrak bei dem Wort… Und seitdem haßte ich die Christen…«
Sie hielt inne in ihren Träumen, denn es ward wieder alles licht in ihr. Was sie längst vergessen hatte, was verstaubt und verschleiert in ihrer Seele gelegen, funkelte wieder auf. Sie ging wieder die dunklen Ghettogassen entlang bis zu dem Hause. Und mit einem Male waren Zusammenhänge da, alles wurde so klar, und sie erfaßte, daß was sie manchmal für einen Traum hielt, Wirklichkeit und vergangenes Leben war. Mühsam hasteten die Worte den klaren vorübereilenden Bildern nach.
»Und damals dieser Abend… Plötzlich riß man mich aus dem Bett… ich erkannte meinen Großvater, der mich in den Armen hielt, mit bleichem zitternden Gesicht… das ganze Haus brauste und zitterte, die Luft war voll Schreien und Lärmen… Aber jetzt dämmert es mir auf, ich höre wieder, was sie schrieen: die Fremden, die Christen… Mein Vater schrie es oder meine Mutter… Ich weiß nicht mehr… Mein Großvater trug mich hinab in die Dunkelheit durch schwarze Gassen und Straßen… Und immer das Lärmen und derselbe Schrei: die Fremden, die Christen… Wie hab’ ich das vergessen können!?… Und dann ein Mann, mit dem wir gehen… Ich weiß nicht mehr, ich glaube,