Gesammelte Werke von Stefan Zweig. Стефан Цвейг
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»Dein Vater erlaubt es und sieht es sogar gerne«, beeilte sich der Maler zu sagen. »Von dir allein hängt die Entscheidung ab, denn zwingen möchte und kann ich dich nicht. Willst du also, Esther?«
Er hielt ihr seine große gebräunte Bauernhand einladend entgegen. Sie zögerte einen Augenblick, dann legte sie verschämt und wortlos ihre kleine weiße Hand zustimmend in die des Malers, die sich eine Sekunde lang darum schloß, wie um eine gefangene Beute. Dann gab er sie mit freundlichem Blick frei. Der Wirt staunte über den so rasch abgeschlossenen Handel und rief einige Matrosen von den Tischen herbei, um ihnen das seltsame Geschehnis zu zeigen. Aber das Mädchen, das sich verschämt im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit fühlte, sprang plötzlich auf und schoß wie der Blitz zur Türe hinaus. Überrascht schauten ihr alle nach.
»Donnerwetter«, sagte der Wirt ganz verwundert, »Ihr habt da ein Meisterstück gemacht. Nie hätte ich gedacht, daß das scheue Ding einwilligen würde!«
Und wie zur Bekräftigung goß er wieder ein Glas hinab. Der Maler, dem es unbehaglich zu werden begann in dieser Gesellschaft, die langsam vertraulich wurde, warf Geld auf den Tisch, besprach mit dem Wirte alles nähere und schüttelte ihm dankbar die Hand, beeilte sich aber aus der Schenke zu treten, deren Dunst und Lärm ihn anwiderte, und deren saufende und gröhlende Insassen ihn mit Ekel erfüllten.
Als er auf die Straße trat, war die Sonne schon gesunken, und nur mattrosa Dämmerung umhüllte noch den Himmel. Der Abend war mild und rein. Mit langsamem Schritt ging der alte Mann heimwärts und dachte der Ereignisse, die ihm so seltsam und so begütigend dünkten wie ein Traum. Und gottesfürchtige Stimmung umfing sein Herz, das selig zu erzittern begann, wie nun von einem Turme die erste Glocke zum Gebete rief und Glockenstimmen von allen Türmen der Runde einfielen, mit hellen und tiefen, dumpfen und freudigen, klingenden und murrenden Stimmen, wie Menschen in Freude und Sorge und Schmerz. Unglaublich dünkte es ihm zwar, daß über ein Herz, das ein Leben lang schlicht im Dunkel geraden Weges gegangen, noch spät die milden Leuchten göttlicher Wunder sich entzündeten, aber er wagte nicht mehr zu zweifeln; und diesen Glanz erträumter Gnade trug er durch das Dunkel der verdämmernden Straßen heimwärts in ein seliges Wachen und einen wundersamen Traum…
Tage waren verflossen, und noch immer stand die Leinwand unberührt auf des Malers Staffelei. Nun war es aber nicht Verzagtheit mehr, die seine Hände fesselte, sondern ein sicheres inneres Vertrauen, das nicht mehr mit Tagen rechnet und zählt, das nicht hastet, sondern sich wiegt in seliger Stille und verhaltener Kraft. Esther war gekommen, scheu zwar und verwirrt, aber bald hingebender, sanfter und schlichter werdend in dem wärmenden Lichte der väterlichen Güte, das der Seele dieses schlichten und fürchtigen Menschen zu entstrahlen schien. Sie hatten diese Tage nur zusammen verplaudert, wie Freunde, die einander nach langen Jahren begegnen und sich gleichsam wieder erkennen wollen, ehe sie die alten herzlichen Worte wieder mit innigem Empfinden durchtränken und den Wert der alten Stunden erneuern. Und bald verband ein geheimes Bedürfnis diese zwei Menschen, die sich so ferne waren und doch so ähnlich in einer gewissen Einfachheit und Einfalt ihrer Empfindung: der eine ein Mensch, den das Leben gelehrt, daß es in seinem tiefsten Grunde nur Klarheit und Stille ist, ein Erfahrener, den lange Tage und Jahre schlicht gemacht. Und die andre eine, die das Leben noch nicht empfand, weil sie wie in einer Dunkelheit versponnen sich verträumt hatte und den ersten Strahl, der aus der lichten Welt zu ihr kam, im Innersten auffing und in einfarbigem stillen Leuchten zurückspiegelte. Und beide waren sie allein zwischen den Menschen; so wurden sie sich ganz nahe. Der Geschlechter Unterschied sprach nicht zwischen beiden; bei dem einen war der Gedanke erloschen und warf nur noch den Abendschein klärender Erinnerung herüber in sein Leben, und dem Mädchen war das dunkle Empfinden ihrer Weiblichkeit noch nicht bewußt geworden und wirkte nur als milde, sehr unsichere und unruhige Sehnsucht, die sich noch kein Ziel weiß. Eine leise und schon erzitternde Wand stand noch zwischen ihnen: die der Fremdheit des Volkes und der Religionen, die Zucht des Blutes, sich immer fremd sehen zu müssen und feindlich, ein Mißtrauen zu hegen, das erst ein Augenblick großer Liebe überwindet. Ohne diesen unbewußten Halt hätte sich längst das Mädchen, in der Liebe, versparte und edelste Liebe nach vorwärts drängte, weinend an die Brust des alten Mannes geworfen und ihm ihre heimlichen Schauer und werdende Sehnsucht, den Schmerz und Jubel ihrer einsamen Tage gestanden; so aber verriet sie das Geheimste ihrer Seele nur in Blicken und Verschweigungen, in unruhigen Gebärden und Andeutungen, denn immer, wenn sie fühlte, wie alles in ihr zum Lichte strömen wollte und sich in den klaren und überströmenden Worten innigster Empfindung verraten, da faßte sie wie eine dunkle unsichtbare Hand die geheime Kraft und preßte die Worte zusammen. Und auch der alte Mann vergaß nicht, daß er in seinem Leben an den Juden, wenn nicht auch gehässig, so doch mit dem Gefühl der Fremdheit vorbeigegangen sei. Ein Zögern hielt ihn zurück, mit dem Bilde zu beginnen, weil er hoffte, daß ihm dieses Mädchen nur in den Weg gewiesen worden sei, um zum wahren Glauben bekehrt zu werden. Nicht an ihm sollte das Wunder gewirkt werden, sondern er sollte es wirken. Er wollte in ihrem Blicke die tiefe Heilandssehnsucht sehen, die die Gottesmutter selbst getragen haben mußte, als sie mit seligem Erwarten seiner Erscheinung entgegenbangte. Er wünschte ihr Wesen erst mit Gläubigkeit zu erfüllen, um eine Madonna schaffen zu können, in der noch die Schauer der Verkündigung beben, aber schon vereint mit dem süßen Vertrauen der Erfüllung. Und rings dachte er sich eine milde Landschaft in Vorfrühlingsstimmung, weiße Wolken, die wie Schwäne durch die Luft wanderten, als zögen sie an unsichtbaren Fäden den warmen Frühling hinter sich, ein erstes zartes Grün, das der Auferstehung entgegendrängte und schüchterne Blumen, die wie mit dünnen Kinderstimmen die große Seligkeit verkündeten. Aber des Kindes Augen waren ihm noch zu verschüchtert und zu demutsvoll; die mystische Flamme der Verkündigung und der Hingebung an eine dunkle Verheißung wollte sich noch nicht in diesen unruhigen Blicken entzünden, in denen noch der tiefe verschleierte Schmerz des Volkes lastete und manchmal der flackernde Trotz der Auserwählten, die mit ihrem Gotte gehadert. Noch kannten sie die Demut nicht und nicht die sanfte unirdische Liebe.
Er suchte sorgfältige und vorsichtige Wege, um den Glauben ihrem Herzen näher zu tragen; denn er wußte, wenn er ihn ihr hell und in seiner ganzen Fülle erglühend entgegentrüge wie eine Monstranz, in der die Sonne tausendfarbig funkelt, daß sie nicht erschauernd niedersinken würde, sondern sich schroff und hart abwenden, um das feindliche Zeichen nicht zu sehen. In seinen Mappen ruhten viele Bilder aus der heiligen Geschichte; eigene und viele großer Meister, die er in seiner Lehrzeit und auch später noch manchesmal, von lebhafter Bewunderung überwältigt, nachgezeichnet hatte. Die suchte er nun heraus, und sie betrachteten gemeinsam, Schulter an Schulter die Bilder; bald fühlte er den tiefen Eindruck, den manches der Blätter in ihrer Seele erzeugte, an der Unruhe ihrer blätternden Hände und den raschen Atemzügen, die warm an seine Wangen wellten. Eine farbige Welt von Schönheit tauchte plötzlich vor diesem einsamen Mädchen auf, das seit Jahren nur mehr die verquollenen Gestalten der Schenke, die verrunzelten Gesichter alter schwarzgekleideter Frauen und die schmutzige Plumpheit der schreienden und sich balgenden Straßenkinder gesehn hatte. Und hier waren sanfte, in wunderbare Gewande gehüllte Frauen von bezaubernder Schönheit, traurige und stolze, begehrliche und verträumte, Ritter in Rüstungen und langen Prunkgewanden, die mit diesen Frauen scherzten oder sprachen, Könige mit langwallenden weißen Locken, auf denen goldene Kronen schimmerten, schöne Jünglinge, deren Leib von Pfeilen durchbohrt sich am Marterstamm niedersenkte oder unter Qualen verblutete. Und ein fremdes Land, das sie nicht kannte und dessen Anblick sie süß, wie eine unbewußte Heimatserinnerung berührte, tat sich auf mit grünen Palmen und hohen Zypressen, mit einem leuchtenden blauen Himmel, der über Wüsten und Berge, Städte und Fernen in gleichem tiefen Glanze lag und viel leichter und freudiger zu sein schien, als dieser nördliche, der selbst wie eine einzige graue ewige Wolke war.
Nach und nach fügte er ihr kleine Erzählungen bei. Er erklärte ihr die Bilder mit den einfachen und so dichterischen Legenden des Testamentes und sprach von den Wundern und Zeichen der heiligen Tage mit solcher Glut, daß er die eigene Absicht vergaß und das gläubige Vertrauen, welches ihm die erträumte Gnade der letzten Tage verliehen, in ekstatischen