Familie Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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Beeindrucken konnten sie Mary Ann damit nicht. Sie hatte sich vorgenommen, alles als eine geschäftliche Angelegenheit zu betrachten und sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Sie war es ja gewöhnt, auch mit sehr schwierigen Kunden umzugehen. Das kam ihr jedoch zugute. Man merkte, daß sie nicht zu verblüffen war und scharf kontern konnte. So pendelte sich das Gespräch bald auf sehr sachliche Basis ein.
Daß ihr Vater ein Geizkragen gewesen war, hatte Mary Ann schon früher von den verschiedensten Leuten gehört, aber was sie jetzt hörte, ließ sie ihn mit Dagobert Duck vergleichen, der ihr als Inbegriff von Raffgier und Tücke in Erinnerung war.
Sie enthielt sich einer Bemerkung, aber Stanley Bratt bemerkte doch, daß Joshua anscheinend gar nicht gewußt hatte, was er alles angehäuft hatte.
»Er war so besessen, ständig etwas Neues zu erfinden, daß er den Sinn für ein zufriedenes Leben völlig verloren hatte«, stellte er vorsichtig fest.
»Da er nichts für mich übrig hatte, verstehe ich nicht, daß er mich zur Alleinerbin bestimmte«, erklärte sie.
»Vielleicht wollte er damit der Nachwelt demonstrieren, daß er auch ein fürsorglicher Vater war. Wer kann wissen, was in seinem Superhirn vor sich ging«, sagte James Stockwell zynisch.
Mary Ann überhörte es geflissentlich.
»Bleiben wir jetzt sachlich«, sagte sie kühl.
Schon bei diesem ersten Gespräch mußte sie feststellen, daß es ziemlich lange dauern würde, bis sie sich den richtigen Überblick verschafft hatte. Man hatte aber wohl auch nicht damit gerechnet, daß sie in geschäftlicher Hinsicht so sattelfest war, daß man sie ernst nehmen mußte. Eigentlich hatten die drei Herren gedacht, daß sie ohne viel zu fragen ihre Unterschriften leisten würde. Nun mußten sie sich viele Fragen gefallen lassen.
Da ihr nun jedoch ein Büro zur Verfügung stand und sie sich mit den Unterlagen befassen konnte, war sie froh, als sie an diesem ersten Tag endlich zum Ende kamen und sie sich Ruhe gönnen konnte. Sie sehnte sich nach einem Bad, und danach ließ sie sich das Essen in der Suite servieren, die für sie gebucht worden war. Wenn sie sich auch erst klarwerden mußte, was sie mit dem Nachlaß anfangen wollte, so ein paar Annehmlichkeiten konnte sie sich schon gönnen, ohne daß dies ins Gewicht fiel. Sie hätte auch ein paar Stunden mit Simon telefonieren können, aber dazu war sie nicht fähig. Sie erzählte ihm nur, wie anstrengend der Tag gewesen war und daß sie sich nur nach dem Bett sehnte.
»Wenn ich nur bei dir sein könnte«, sagte er sehnsüchtig. »Ich renne kopflos durch die Gegend und bin mit meinen Gedanken immer bei dir.«
»Ich liebe dich«, sagte sie, aber ihre Stimme klang schon sehr müde.
*
Es war gut, daß Simon während der nächsten Tage viel zu tun hatte und sehr wichtige Entscheidungen zur Debatte standen. So mußte er sich auch auf die Arbeit konzentrieren, und dann wurde er zu einer Konferenz nach Japan beordert, um die er sich nicht drücken konnte. Er sagte Mary Ann, daß er sie von Tokio aus anrufen würde, er wußte allerdings noch nicht, in welchem Hotel er wohnen würde.
»Dann werde ich sehen, daß ich hier vorankomme. Ich bin schon völlig erschöpft. Ich weiß gar nicht, was mit mir los ist«, sagte sie.
Am nächsten Tag wußte sie es, denn nach einer Kreislaufschwäche wurde sie vom Notarzt in eine Klinik gebracht.
Sie wurde gründlich untersucht von einem sehr gewissenhaften Arzt.
»Ich verstehe das nicht, ich war noch nie krank. Umgekippt bin ich erst recht nie«, erklärte sie schwach.
»Sie sind auch nicht krank, wenigstens nicht direkt, Sie sind schwanger«, stellte der Arzt fest.
»Schwanger«, wiederholte sie tonlos.
»Nicht erfreut?« fragte der Arzt beiläufig.
»Es kommt so überraschend. Ich nehme die Pille, und da ist mein Zyklus sowieso gestört.« Ihre Gedanken überstürzten sich, weil sie an Simon dachte und seine Einstellung.
»Es könnte auch eine komplizierte Schwangerschaft werden«, fuhr der Arzt fort. »Ich will Ihnen das nicht verschweigen. Das Becken ist sehr eng. Aber wir sollten erst den Verlauf der Schwangerschaft abwarten.«
»Ich möchte aber genau wissen, welche Komplikationen auftreten könnten.«
»Sie ruhen sich jetzt erst einmal aus, dann besprechen wir es später«, erklärte er. »Es besteht auch die Möglichkeit einer Fehlgeburt. Sie sollten in aller Ruhe überdenken, ob Sie das Kind zur Welt bringen wollen oder zu
einer Schwangerschaftsunterbrechung neigen.«
Sie hielt den Atem an. Der Gedanke schien ihr ungeheuerlich, Simons ungeborenes Kind umzubringen. Ihr wurde wieder schwindelig bei dem Gedanken.
Aber wie sollte sie es ihm beibringen? Würde er nicht sogar
auf einer Abtreibung bestehen? Sie konnte sich das nicht vorstellen.
Es ist unser Kind, ein Kind unserer Liebe, und er wird es auch lieben, dachte sie. Aber wenn es nun nicht so sein würde? Schon kamen ihr wieder Zweifel. Vielleicht hatte er Sabine doch so geliebt, daß er den Gedanken nicht ertragen konnte, sie und das Kind verloren zu haben.
Als sie ihn kennenlernte, war es keine Frage für sie gewesen, ob er Sabine geliebt hatte. Sie war gestorben, nicht mehr anwesend, und schon bald hatte sie auch erkannt, daß sie nicht zwischen ihnen stand und ihr Schatten auch nicht im Hause lebendig blieb. So ganz nebenbei hörte sie dann auch dieses und jenes, was doch nicht so war, als es in einer harmonischen Ehe sein sollte, vor allem der Einfluß ihrer Eltern, die allgegenwärtig waren und es auch bleiben wollten. Aber dem hatte er bald einen Riegel vorgeschoben.
Mary Ann rief sich alles in die Erinnerung zurück, was sie über Sabine wußte, aber es war nicht viel. Sie war die typische verwöhnte Tochter, die jeden Wunsch erfüllt bekam, hübsch anzusehen ohne Ehrgeiz, nach ihrer eigenen Ansicht dazu geboren, zu repräsentieren, immer mit der Mode zu gehen, überall zu sein, wo die Prominenz gesehen werden konnte und wollte. Sie hatte auch den entsprechenden Freundeskreis, der Simon auf die Nerven ging, und so hatte jeder den eigenen Interessen gelebt.
Erst durch Mary Ann war ihm bewußt geworden, wie ein Zusammenleben zwischen Mann und Frau sein sollte, und das hatte er auch gesagt. Sie hatten die gleiche Wellenlänge, die gleiche Antenne und sogar in geschäftlichen Dingen die gleichen Ansichten. Nur in bezug auf Kinder hatten sie noch keinen gemeinsamen Nenner gefunden, aber Mary Ann war ganz zuversichtlich, daß dies auch noch geschehen würde.
Sie war jetzt ganz froh, daß Simon in Japan weilte und anscheinend auch noch keine Zeit zu einem Anruf hatte.
Am Telefon wollte sie ihm ganz gewiß nichts sagen, schwer würde es ihr ohnehin werden, aber sie wollte das Kind, und sie wollte sich auch darauf freuen.
Und warum sollten Komplikationen auftreten? Sie war doch nie krank gewesen, und diese Kreislaufstörungen kamen ganz sicher durch die Zeit und Temperaturunterschiede und den Streß, dem sie doch ausgesetzt gewesen war. Sie