Familie Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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Aber er dachte auch, was wohl Mary Ann empfand und ob er ihr zumuten konnte, mit ihm zusammen diese Prüfung zu bestehen. Ihm wäre es jetzt lieber, das Gedächtnis verloren zu haben als das Augenlicht. Er konnte nicht begreifen, wie das geschehen konnte, weil er der Einzige war, der das durchmachen mußte. Er konnte mit zwei anderen Kollegen, die mit ihm in einem Raum lagen, reden. Die konnten sehen. Einer von ihnen hatte allerdings einen Arm verloren und konnte damit auch nicht so recht fertig werden, aber Simon meinte, daß man einen Arm durch eine Prothese ersetzen konnte.
Immerhin konnten sie über ihr Schicksal reden und versuchten, sich gegenseitig aufzurichten. Wieso das passieren mußte, konnten sie nicht begreifen. Das Warum hatten die Untersuchungen auch noch nicht herausgefunden. Möglicherweise war es eine Materialermüdung gewesen.
Endlich bekamen sie auch Grüße und Nachrichten von ihren Verwandten übermittelt, aber wie sehr sich Mary Ann bemüht hatte, etwas um seinen Zustand zu erfahren, erfuhr Simon nicht. Fast drei Wochen vergingen, bis ihnen gesagt wurde, daß sie mit einem Sanitätsflugzeug in ihre Heimat gebracht werden würden. Die Formalitäten waren endlich abgeschlossen. Simon konnte sich vorstellen, welche Schwierigkeiten dazu überwunden werden mußten.
Für Mary Ann war es eine Erlösung, als ihr gesagt wurde, wann das Flugzeug ankommen würde. Sie hatte mit Dr. Norden schon darüber gesprochen. In welcher Klinik Simon untergebracht werden sollte, denn es mußten nicht nur seine Augen gründlichst untersucht werden, auch die anderen Verletzungen mußten noch behandelt werden. Dr. Norden hatte mit Professor Haberland gesprochen, der als Chirurg mit Professor Leine, einer Kapazität für Amaurose zusammenarbeitete. Sie wollten sich dieses schwierigen Falles annehmen, wobei natürlich auch maßgebend war, daß Geld keine Rolle dabei spielte. Daniel Norden war schon immer bestürzt, wie sehr das Geld doch bei so manchen Kollegen eine Rolle spielte, aber andererseits war es auch eine Garantie, daß sie sich ernsthaft bemühten. Fee konnte sich darüber sehr echauffieren, und Danny meinte trocken, daß sich der Papi daran doch auch mal ein Beispiel nehmen konnte. Daniel ärgerte sich nur darüber, welche Beschränkungen ihnen bei der Behandlung von Kassenpatienten auferlegt wurden, für die komplizierte Operationen unbezahlbar waren.
Er bedauerte auch, daß Dr. Jenny Behnisch nicht die Möglichkeiten in ihrer Klinik hatte, solche Patienten zu versorgen.
Er hatte Mary Ann dazu verholfen, Simon vom Flughafen abholen zu dürfen. So war sie mit dem Taxi hingefahren, um dann im Sanitätswagen mit Simon zur Klinik zu fahren. Sie war schrecklich aufgeregt und wurde unruhig, weil sie doch ziemlich lange warten mußte, bis die Maschine landete.
Simon war ruhiggestellt worden und ohne Bewußtsein, als er in den Sanitätswagen umgebettet wurde. Mary Ann hätte ihn fast nicht erkannt, wenn sie nicht gewußt hätte, daß er es war, so elend sah er aus.
Ihr kamen die Tränen, aber ein Schluchzen konnte sie unterdrücken. Sie umschloß seine dünnen Finger ganz behutsam, weil sie ihr so zerbrechlich vorkamen, aber ihr war es, als bewege er sich jetzt ganz leicht.
»Simon-Darling, ich bin jetzt bei dir. Du bist wieder in München.«
Ob er sie verstehen konnte? In seinem Gesicht regte sich nichts, aber die Wimpern zitterten leicht, und sein Herzschlag war kräftiger.
»Er wird noch einige Zeit schlafen«, sagte der Arzt. »Das ist auch besser so. Es war für alle Beteiligten anstrengend, bis die Maschine starten konnte.«
»Gab es viele Schwierigkeiten?« fragte Mary Ann.
»Die Russen scheinen in ständiger Angst zu leben, daß man ihnen an den Kragen will. Aber vielleicht dachten sie auch, daß die Ärzte mitfliegen wollten.«
»Vielleicht wollten sie das auch«, sagte Mary Ann nachdenklich. »Verdenken würde ich es ihnen nicht.«
Dann kam die Aufforderung, daß Simon in den OP zu bringen sei. Mary Ann lernte noch Professor Haberland kennen, der sehr höflich und freundlich war, eine markante Erscheinung, der seine Wirkung auf Frauen sicher nicht verfehlte, aber für Mary Ann gab es keinen anderen als Simon, wenn der auch in einem so bedauernswerten Zustand war.
Professor Haberland erklärte ihr, daß sie in den nächsten Stunden ruhig nach Hause gehen könne.
»Der Patient ist jetzt in einem stabilen Zustand, und wir werden nachprüfen, ob er bisher richtig versorgt wurde und was wir noch für ihn tun können.«
»Für ihn wird sein Augenlicht am wichtigsten sein«, sagte Mary Ann gepreßt.
»Der Kollege Leine wird alles tun, um ihm zu helfen, aber anscheinend war die Kopfverletzung schwer und ist noch nicht verheilt, das kann sich auch negativ auf das Sehvermögen auswirken. Wir wissen nicht, was in den Köpfen der Passagiere vor sich ging in den letzten Minuten vor dem Sturz, der auch sicher einen beträchtlichen Sauerstoffverlust mit sich brachte.«
»Wir konnten leider sehr wenig in Erfahrung bringen. Ich habe kein Visum bekommen, um nach Nowosibirsk zu fliegen. Wir können wohl dankbar sein, daß wenigstens Simon und seine Kollegen nach München gebracht wurden.«
»Es war allerdings mit großen Schwierigkeiten verbunden«, erklärte Professor Haberland, »und die russischen Kollegen haben einen äußerst knappen Krankenbericht geschickt. Aber wir wollen uns ja auch selbst ein Bild machen, und zumindest ist festzustellen, daß die Patienten gut versorgt wurden.«
»Ich hoffe so sehr, daß ich bald mit Simon sprechen kann«, sagte Mary Ann beklommen.
»Das wird morgen mit Sicherheit möglich sein. Dann wissen wir auch einiges mehr.«
Damit mußte sich Mary Ann zufriedengeben, beruhigt war sie nicht. Sie fuhr zu Simons Haus, um dort alles in Ordnung zu bringen. Es war alles noch so, wie sie es verlassen hatte. Es mußte durchgelüftet werden, und die Möbel waren mit Staub bedeckt. Sie wollte die Putzfrau nicht um sich haben und machte sich selbst an die Arbeit. Damit konnte sie sich die Zeit nutzbringend vertreiben. Was Mary Ann auch machte, sie machte es gründlich. Sie war so in die Arbeit vertieft, daß sie nicht aufblickte.
Plötzlich aber vernahm sie ein Räuspern, und als sie aufsah, stand jemand vor dem offenen Wohnzimmerfenster, ein weibliches Wesen mit einer auffallenden Kopfbedeckung.
Eine hohe, schrille Stimme fragte: »Wer sind Sie, was machen Sie hier?«
»Darf ich eine Gegenfrage stellen? Wer sind Sie und was wollen Sie?«
»Ich bin die Schwiegermutter von Herrn Dr. Karsten, Charlotte Zander«, kam die empört klingende Antwort.
Ach du lieber Himmel, dachte Mary Ann.
»Und nun erwarte ich eine Antwort, wer Sie sind und was Sie hier zu tun haben.«
»Sie sehen es, ich wische Staub. Mein Name ist Wilkens, ich bin eine Kollegin von Dr. Karsten.« Sie meinte, daß das ausreichte, aber sie kannte Charlotte Zander nicht, der es nicht entging, daß Mary Ann eine attraktive Frau war.
»Soso, eine Kollegin, und Sie dürfen sich allein hier aufhalten? Wo ist mein Schwiegersohn?«
Mary Ann überlegte, ob sie bei der Wahrheit bleiben oder eine Ausrede finden sollte. Sie wählte den goldenen Mittelweg. »Dr. Karsten wurde bei einem Flugzeugunglück schwer verletzt und ist erst seit heute in einer Klinik in München«, erwiderte sie, nicht ahnend, daß die Zanders zumindest über die dramatische Notlandung informiert waren.