Familie Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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Die Verletzten waren ins Krankenhaus gebracht worden. Es war ein alter Bau, düster und nicht auf dem neuesten Stand, den man in den großen Kliniken in Europa und Amerika gewöhnt war, aber die Ärzte waren ausgezeichnet geschult und bemühten sich mit wirklicher Hingabe um alle Verletzten. Sie wollten zeigen, daß auch sie fähig waren, selbst in schlimmsten Fällen das Menschenmögliche zu tun. Sie wußten nicht, ob es sich um hochangesehene Manager oder Wissenschaftler handelte oder um Passagiere, die zufällig mit dieser Maschine geflogen waren, weil noch Plätze frei waren. Sie konnten auch noch nicht wissen, daß die junge Frau mit dem dreijährigen Kind die Ehefrau des Chefingenieurs war, der zu den Schwerstverletzten gehörte und außerdem die Tochter eines amerikanischen Diplomaten. Sie und das Kind waren wie durch ein Wunder nur leicht verletzt, wenn auch unterkühlt, aber beiden ging es schon bald besser. Im Grunde war es sowieso ein Wunder, daß es keine Toten gegeben hatte, wenigstens bisher noch nicht. Der Pilot und seine Crew hatten eine Meisterleistung bei der Notlandung vollbracht.
Sally Lesson, die sehr tapfere Stewardeß, konnte sogar Auskunft über die Passagiere geben und die meisten Namen nennen. So wurde auch zum ersten Mal der Name Simon Karsten registriert, als deutscher Staatsangehöriger, leitender Direktor, wohnhaft in München.
Als Verletzungen wurden aufgeführt: eine Kopfverletzung, die eine Erblindung nach sich gezogen hatte, die noch von Spezialisten untersucht werden mußte. Dazu ein rechtsseitiger Schlüsselbeinbruch, mehrere Rippenbrüche. Nur zwei weitere Passagiere waren noch schwerer verletzt als er.
Mary Ann wurde es allerdings ganz schonend beigebracht, dennoch war es schlimm genug für sie und es deprimierte sie zusätzlich, daß sie nicht sofort bei ihm sein konnte.
Eiskalt wurde es ihr, als ihr in den Sinn kam, was es für Simon bedeuten würde, blind zu sein, während es für sie nur wichtig war, daß er lebte. Sie wünschte nichts so sehr, als daß er auch weiterleben würde, aber wollte er das, wenn er nicht mehr sehen konnte, wenn er ständig auf die Hilfe anderer angewiesen war?
Sie machte sich selber Mut, redete sich ein, daß man jetzt sehr viel machen konnte bei schlimmen Behinderungen, warum nicht auch bei einer Erblindung? Vielleicht war sie überhaupt nur vorübergehend. Sie wollte positiv denken, wie sie es immer getan hatte, aber vor allem wollte sie so schnell wie nur möglich bei ihm sein.
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Stanley Bratt gab sich alle Mühe, ein Visum für Mary Ann zu bekommen, aber er wurde vertröstet mit der Erklärung, daß eine Ausnahme nicht gemacht werden könnte, weil es nicht sicher sei, wie lange die Verletzten in Nowosibirsk bleiben würden, da sie aus fünf verschiedenen Nationalitäten stammten. Die diplomatischen Vertreter dieser Länder hätten bereits Eingaben gemacht, daß ihre Landsleute in die jeweiligen Heimatstädte geholt werden konnten.
So entschloß sich Mary Ann, umgehend nach München zu fliegen, um dort neue Nachrichten abzuwarten und etwas zu unternehmen. Die Nachlaßangelegenheiten waren in den Hintergrund getreten. Sie erteilte Stanley Bratt die notwendigen Vollmachten, und er versprach ihr, daß sie sich auf ihn verlassen könne.
Sie hatte die Gewißheit, über soviel Geld verfügen zu können, wie sie möglicherweise für Simon brauchen würde.
In ihrem Kopf herrschte ein so gewaltiges Durcheinander, daß sie keine klaren Gedanken fassen konnte. Sie war so nervös, wie nie zuvor in ihrem Leben, dachte aber nicht daran, daß die Schwangerschaft dabei auch eine Rolle spielen konnte. In der Angst um Simon war alles andere nebensächlich geworden.
Bratt hatte ihr einen Flug gebucht und brachte sie auch zum Airport. Er war sehr besorgt um sie, denn sie war sehr blaß und unkonzentriert.
»Sie können sich auf mich verlassen, Mary Ann«, versicherte er nochmals. »Sie können mich jederzeit erreichen, und wenn es nötig sein wird, komme ich auch nach München. Natürlich bekommen Sie ausführliche Berichte über die Abwicklung, die selbstverständlich ganz in Ihrem Sinne erfolgen wird. Ich hoffe, daß alles sich zum Guten für Sie und Mr. Karsten entwickelt.«
Er meinte es gut, aber es rauschte an ihren Ohren vorbei.
Teilnahmslos saß sie dann im Flugzeug und winkte nur ab, wenn die Stewardessen sich nach ihren Wünschen erkundigten.
Übermüdet, wie sie nach den durchwachten Nächten war, schlief sie dann glücklicherweise ein, so daß die Zeit für sie schneller verging. Nur die letzten drei Stunden des Fluges war sie wach. Sie aß auch einen Toast, trank Tee und hörte Radio.
Es kam auch eine Meldung, daß alle bei der Notlandung verletzten Passagiere außer Lebensgefahr wären, und sie konnte endlich aufatmen.
Ihre Maschine landete überpünktlich in München. Da sie nur Handgepäck dabei hatte, war sie schnell abgefertigt, setzte sich in ein Taxi und ließ sich zu ihrer Wohnung bringen. Sie war froh, daß sie die noch nicht aufgelöst hatte, denn plötzlich hatte sie Hemmungen, in Simons Haus zu wohnen, solange er nicht anwesend war.
Dann kamen ihr auch seine Schwiegereltern in den Sinn, die über die Notlandung möglicherweise besser informiert waren als sie.
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Besser informiert waren Alfred und Charlotte Zander nicht, aber sie waren tatsächlich unterrichtet worden, daß Simon sich in der Unglücksmaschine befunden hatte und schwer verletzt war.
Sie hatten bereits darüber diskutiert, daß sie möglicherweise die Erben sein könnten, wenn er sterben würde, und sie bemühten sich schon darum, Zutritt zu seinem Haus zu erhalten, was ihnen aber nicht gelang.
So kalt und berechnend, wie sie die Heirat ihrer Tochter eingefädelt hatten, dachten sie auch jetzt eher an Simons Tod als an seine Genesung.
Davon hatte Mary Ann glücklicherweise keine Ahnung. Sie fühlte sich nicht wohl in ihrer Wohnung. Alles war ihr fremd geworden, und Simon fehlte ihr überall.
Sie meinte schließlich, daß es besser für sie war, wieder ihrer Arbeit nachzugehen, bis Simon nach München gebracht wurde, und rief Dr. Mattes an, was er dazu meinte.
Natürlich wäre er froh, wenn sie ihren Posten wieder übernehme, meinte er. Es sei sowieso ein wenig aus den Fugen geraten und es wäre ja nicht damit zu rechnen, daß Simon in absehbarer Zeit zurückkam.
So erschien Mary Ann anderntags wieder im Büro und konnte von vertrauten Gesichtern ablesen, wie bestürzt man war über die Veränderung, die mit ihr vorgegangen war. Aber sie nahm sich zusammen und fand sich auch bald wieder zurecht, um festzustellen, daß Arbeit auch eine gute Medizin sein konnte.
Es war nur bedrückend, daß so spärliche Nachrichten aus Nowosibirsk eintrafen, aber Dr. Mattes und ihre Kollegen teilten ihre Sorgen und versuchten sie aufzumuntern. Geahnt hatten es die meisten schon lange, daß die Beziehung zwischen Simon und Mary Ann bedeutend enger war, als sie gezeigt hatten.
So durchsichtig Mary Ann auch wirkte, sie überwand die Schwäche und fand zu gewohnter Tatkraft zurück. Es half ihr, die schweren Tage zu überwinden, und auch die Sympathie, die ihr entgegengebracht wurde, half ihr.
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Währenddessen begriff Simon langsam, was mit ihm geschehen war, daß er sich kaum rühren und vor allem nichts sehen konnte. Er verstand nur ein bißchen Russisch, aber eine Ärztin sprach recht gut Deutsch und klärte ihn dann