Heinrich der Seefahrer. João de Barros

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Heinrich der Seefahrer - João de Barros Edition Erdmann

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Biograf John Ure schreibt zu dieser Frage über den Infanten: »Er hatte wirklich viel zu verantworten. Er war es gewesen, der auf dem tollkühnen Unternehmen bestanden hatte, er war es gewesen, der seinen Instruktionen und dem gesunden Menschenverstand zum Trotz gehandelt und Verderben und Erniedrigung auf die portugiesische Armee herabbeschworen hatte; und er hatte sich zur Übergabe seines Bruders Fernando bereitgefunden und später das Herz seines Bruders Duarte so zu verhärten verstanden, dass dieser nicht in Unterhandlungen um die Freilassung Fernandos eintrat. Duarte und Fernando waren nun beide tot. Aber Katastrophen und Tragödien hatten Prinz Heinrichs Charakter nicht weicher werden lassen; er sollte auch weiterhin solche Ziele mit Hartnäckigkeit verfolgen, die seine beträchtliche Einbildungskraft reizten. Und diese Ziele sollten, seiner besonderen Natur entsprechend, zwischen mittelalterlichem Rittertum und aufgeklärter Renaissance die Mitte halten.«41

      Die Erforschung der westafrikanischen

      Küste in den Jahren 1440–1448

      Nach dem Fehlschlag von Tanger und dem Märtyrertod Fernandos zog sich Heinrich nach Sagres, der Halbinsel an der äußersten Südwestspitze Portugals, zurück. An diesem Ort der Provinz Algarve, über die er seit 1419 als Gouverneur regierte, wurden unter seiner Leitung in den folgenden Jahren intensive Studien auf den Gebieten der Mathematik, der Navigation und Kartografie, also Grundlagenforschung für die weiteren portugiesischen Entdeckungsreisen entlang der westafrikanischen Küste, betrieben. Ob man in diesem Zusammenhang von einer besonderen »Schule von Sagres« sprechen kann, wie dies im 19. Jahrhundert üblich war, ist nach neuesten Forschungen nicht mehr so einfach zu beantworten.42 Auch findet sich in zeitgenössischen Dokumenten keine Bestätigung für die Behauptung, Heinrich selbst sei auf den genannten Forschungsgebieten ein herausragender Wissenschaftler gewesen.43 Fest steht John Ure zufolge aber, dass in Sagres »gründliche und erfolgreiche Studien im Schiffsbau, in der Navigation und Kartografie durchgeführt worden sind und dass Prinz Heinrich bei ihrer Leitung jene Eigenschaften klar und deutlich unter Beweis stellte, die wir gewöhnlich einem empirisch vorgehenden Renaissance-Denker zuschreiben«.44 Heinrichs größter Beitrag zur theoretischen Seite der Entdeckungsreisen war, dass er entsprechend seiner Neigung zum Wissenschaftlichen verschiedene renommierte Gelehrte nach Sagres holte und diese dort in ihren Studien förderte. Einer von ihnen war der Jude Jaime Cresques, der aus der berühmten Kartografischen Schule von Mallorca stammte und in Sagres zu einem der führenden Kartografen seiner Zeit wurde.45 Bei der Wahl seiner Mitarbeiter verhielt sich Heinrich geradezu kosmopolitisch: Rassen- oder Glaubenszugehörigkeit spielten keine Rolle, sodass Heinrichs Hof ein buntes Bild verschiedener Nationalitäten bot. Die weltoffene Toleranz, die hierin zum Ausdruck kam, unterschied sich sehr deutlich von jenem »starren Kreuzfahrergeist«46, den Heinrich bei den Feldzügen gegen Ceuta und Tanger an den Tag gelegt hatte. Sein »forschender Intellekt« manifestiert sich auch in dem Titel »Beschützer der Universität von Lissabon«, den er seit 1431 in Anerkennung seiner Verdienste um diese Universität führte.47

      Nach seiner Niederlassung in Sagres ging Prinz Heinrich tatkräftig daran, die vier Jahre lang unterbrochene Entdeckertätigkeit entlang der westafrikanischen Küste wieder aufzunehmen. Dass sich in seiner Person all die Kräfte konzentrierten, die auf Expansion drängten, verdeutlicht der Chronist Zurara, wenn im 7. Kapitel seiner Crónica da Guiné »fünf Gründe« angeführt werden, die den »Herrn Infanten bewogen, die Lande von Guinea suchen zu lassen«.

      1441 gelangte ein Schiff unter Kapitän Antão Gonçalves zum Rio d’Ouro, im selben Jahr stieß Nuno Tristão bis zum Kap Blanco vor, zum bislang südlichsten Punkt portugiesischer Entdeckungsfahrt (20°46’ N). Tristão hatte ausdrücklichen Befehl, bei dieser Fahrt möglichst viele Eingeborene einzufangen und als Sklaven nach Portugal zu bringen. Diffie ist der Ansicht, dass der psychologische Effekt der Gefangennahme und anschließenden Verschleppung von schwarzen Sklaven – mit Tristãos Schiff kamen die ersten Farbigen nach Portugal – für die weitere Entwicklung der portugiesischen Seefahrt größer gewesen sei als die Erstumrundung von Kap Bojador.48 Viele Abenteurer und eher zwielichtige Figuren wurden nämlich nun von der Aussicht auf den Plan gerufen, beim Handel mit Sklaven profitable Geschäfte machen zu können. Um sich solche Konkurrenz vom Leibe zu halten, ließ sich Prinz Heinrich im Oktober 1443 von seinem Bruder Pedro, der für den noch minderjährigen König Afonso die Regentschaft ausübte, das exklusive Recht einräumen, dass nur in seinem Auftrag die afrikanische Küste befahren werden durfte. Auch Handelsgeschäfte aller Art durften von nun an nur noch getätigt werden, wenn Heinrich hierzu eine Lizenz erteilt hatte. Dieses Recht, das ihm vom Papst ausdrücklich bestätigt wurde, verschaffte dem Infanten eine Art Monopolstellung im Westafrikahandel, die zur finanziellen Grundlage für die künftigen, von Heinrich ausgerüsteten Entdeckungsfahrten wurde.49

      Die zahlreichen Schiffsexpeditionen, die nun in den Jahren 1443–1446 entlang der westafrikanischen Küste unterwegs waren, dienten nicht zuletzt der Gefangennahme von Sklaven.50 Das Bestreben, von solchen Fahrten möglichst viele Sklaven nach Portugal mitzubringen, war Heinrichs Kapitänen mittlerweile – so John Ure – »zur zweiten Natur geworden«.51 G.G. Kinzel hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass mit dem Aufschwung des Sklavenhandels die für die portugiesische Volkswirtschaft »sich später so verhängnisvoll auswirkende Einfuhr billiger Arbeitskräfte« begann, die dann im 16. Jahrhundert zur Verachtung der Handarbeit führte – mit der Konsequenz, dass die handwerklichen Fertigkeiten der Portugiesen allmählich verkümmerten.52 Fragt man sich nun, warum Prinz Heinrich diese grausame Verschleppung von Menschen zuließ, dann ist dabei zunächst zu berücksichtigen, dass er die Entdeckungsfahrten entsprechend seinem religiösen Eifer und als Oberhaupt des Christusordens auch als Weiterführung der christlichen Reconquista gegen die Ungläubigen verstand. Er glaubte, in einem gerechten Krieg zu stehen, woraus er das Recht ableitete, Gefangene zu machen. Und es passte zusätzlich in das Bild vom christlich motivierten Vorgehen Heinrichs, dass fast alle der nach Portugal verschleppten Sklaven getauft wurden.53 Zurara berichtet auch, dass er »nie einen dieser Gefangenen in Eisen gesehen« habe.54 Für John Ure sind die genannten christlichen Motive nicht überzeugend. Man müsse Prinz Heinrich zwar von der Anklage freisprechen, den Sklavenhandel an sich in Gang gebracht zu haben, doch könne man ihn andererseits nicht einfach damit entlasten, dass er das in seinem Zeitalter Übliche getan habe. Vielmehr müsse man fragen, wie es dazu kommen konnte, »dass dieser engagierte christliche Kreuzfahrer, der in mancher Hinsicht ein aufgeklärter Denker war, dem ersten Sklavenmarkt in Europa Vorstand«? Ure kommt zu dem Schluss, dass Heinrich in diesem Punkt »ein Opfer jener Verzerrung der Wirklichkeit« geworden sei, die man »als eine der Illusionen des Zeitalters des Rittertums« bezeichnen könne. Er habe in einer ritterlichen »Traumvision« gelebt und von daher Kämpfe mit afrikanischen Stämmen »als ritterliche Geniestreiche aufgefasst«.55

      Ure zufolge spielten hierbei auch handfeste materielle Gründe eine gewichtige Rolle: »Als die Entdeckungsreisen immer weiter führten, war es nicht mehr wie früher möglich, Kapitäne nur aus dem Hofstaat von Prinz Heinrich zu rekrutieren. Eine neue Schicht von Abenteurern musste dafür gewonnen werden, in jene entfernten Gewässer aufzubrechen. Während aber Gold auch weiterhin ein Trugbild blieb, waren Sklaven zu einer Realität geworden, die den Zustrom an solchen Abenteurern förderte. Mit jedem neu entdeckten Vorgebirge stieg Prinz Heinrichs Hunger nach Entdeckungen; mit jeder neuen Sklavenladung wurde es einfacher, Kapitäne und Mannschaften für Entdeckungsreisen aufzutreiben. Die beiden Vorgänge – Entdeckungen und Sklavenhandel – ergänzten einander nunmehr. Und der Markt für Sklaven in der unterbevölkerten Algarveregion schien unerschöpflich zu sein.«56 Ures kritisches Fazit zu diesem dunklen Kapitel in Heinrichs Leben lautet: »Aber die Tragödie des Sklavenmarktes in der Stadt Lagos lag darin, dass Prinz Heinrich seine christliche Nächstenliebe von seinen verzerrten ritterlichen Idealen und seinem Entdeckerehrgeiz niedertrampeln ließ. Als er auf seinem stolzen Ross das Auseinanderreißen afrikanischer Familien überwachte und sich über die Rettung ihrer Seelen freute, bemerkte er anscheinend gar nicht, wie unchristlich das war, was er tat.

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