Heinrich der Seefahrer. João de Barros
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Über der Tatsache, dass »die Sklavenjagd immer häufiger, lukrativer und schmutziger wurde«58, sollte nicht vergessen werden, dass die Afrikafahrten vorrangig der Entdeckung neuen Landes dienten. Von den vielen Entdeckungsreisen dieser Jahre seien hier die wichtigsten herausgegriffen:59 1443 erreichte Nuno Tristão die Inseln Gete und Garças in der Bucht von Arguim, südlich von Kap Blanco; 1444 gelangte Gonçalo de Sintra nach Arguim, und im selben Jahr stieß Dinis Dias bis zum Kap Verde vor und betrat dort als erster portugiesischer Seefahrer »das Land der Schwarzen«. Ein Jahr später, 1445, entdeckte Álvaro Fernandes 96 Kilometer südlich von Kap Verde einen weiteren Landvorsprung, dem er wegen einiger Palmen, die dort wuchsen und die durch einen Tornado ihre Wedel verloren hatten, den Namen Cabo dos Mastos (Kap der Masten) gab. Und ein weiteres Jahr später entdeckte Nuno Tristão die Mündung des Gambia-Flusses. Tristão war in dieser Phase der produktivste Seefahrer Heinrichs. Von allen Kapitänen, die im Auftrag des Prinzen segelten, spiegelte er »am deutlichsten die intellektuelle Neugier seines Herrn« wider.60 Und eben dieser Entdeckergeist und Wissensdurst sollten ihm auf dieser Fahrt zum Verhängnis werden: An der Mündung des Gambia-Flusses angekommen, beschloss Tristão, mit zwei Booten, bemannt mit rund 20 Mann, flussaufwärts zu rudern, um dort Erkundungen anzustellen. Vom dichten Uferdickicht aus wurden die Portugiesen plötzlich von Eingeborenen mit Giftpfeilen beschossen. Unter denjenigen, die der Wirkung des Gifts umgehend erlagen, war auch Tristão. Dieser dramatische Zwischenfall gab Prinz Heinrich Gelegenheit, sein ritterliches Wesen von seiner uneingeschränkt positiven Seite zu beweisen. Er setzte nämlich den Witwen und Kindern der Expeditionsteilnehmer, die bei diesem Überfall ums Leben gekommen waren, eine Rente aus.61
Heinrich war nun fast schon auf dem Zenit seines Ruhms angelangt. 1442 ließ ihn der englische König Heinrich VI. zum Ritter des Hosenbandordens schlagen und ihm dadurch die höchste Auszeichnung zukommen, die England zu vergeben hatte. Und im Februar 1446 gewährte ihm Regent Pedro in Anerkennung seiner Verdienste um die portugiesische Seefahrt und als Ausgleich für die Kosten der Entdeckungsfahrten ein Monopol über den südlich von Kap Bojador betriebenen Handel.62
Die innenpolitische Krise Portugals von 1448/49
Der Ausbruch einer politischen Krise, die 1448/49 das innere Gefüge Portugals in höchstem Maß erschütterte, sollte Heinrichs Kraft für einige Zeit voll in Anspruch nehmen, sodass er seine nautischen Ambitionen einstweilen beiseiteschieben musste.63 Ihren Ausgang nahm die Krise in den Machtkämpfen zwischen Prinz Pedro und Königin Leonore, die nach dem Tod von König Duarte im Jahr 1438 als Duumvirat die Regentschaft für den noch unmündigen Thronfolger Afonso übernommen hatten. Selbst nach dem Tod Leonores 1445 und der Thronbesteigung Afonsos im Jahr 1446 – der neue König war zu diesem Zeitpunkt gerade 14 Jahre alt – intrigierte die Partei der verstorbenen Königin, angeführt von dem Herzog von Braganza, weiter gegen Prinz Pedro und stachelte den jungen König Alfons V. regelrecht gegen diesen auf. Ein von den Gegnern Pedros angezetteltes Komplott, das in der völlig haltlosen Beschuldigung gipfelte, Pedro habe sowohl seinen Bruder Duarte als auch seine Schwägerin Leonore vergiften lassen, führte schließlich zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen König Alfons und seinem Onkel Pedro. Am 20. Mai 1449 trafen die Truppen der beiden Kontrahenten bei Alfarrobeira aufeinander, und Prinz Pedro, von einem Armbrustpfeil tödlich getroffen, war einer der Ersten, die bei dieser Schlacht fielen.
Der 20. Mai 1449 war – so John Ure – »ein trauriger Tag für Portugal, für das Haus von Aviz und für die Idee von Einigkeit und Ritterlichkeit, in der Prinz Pedro und Prinz Heinrich erzogen worden waren und die sie, jeder auf seine Weise, so lange hochgehalten hatten«.64 Dieses dunkle Kapitel der portugiesischen Geschichte wirft auch auf Prinz Heinrich, dessen Ruf durch den fehlgeschlagenen Tanger-Feldzug und die unglücklich geendete Geiselaffäre um Prinz Fernando bereits angeschlagen war, einige Schatten. Er, der bei Alfarrobeira auf der Seite von König Alfons gekämpft hatte, muss sich hier die Frage gefallen lassen, warum er seinen Einfluss am Königshof nicht stärker zugunsten seines Bruders Pedro geltend gemacht hat. Der portugiesische Historiker Oliveira Martins wirft Heinrich in diesem Zusammenhang »sein völliges Aufgehen in seinen afrikanischen Projekten und die schnöde Missachtung der Gefahren für seinen Bruder« vor.65 Andere Kritiker gehen noch weiter, wenn sie Infant Heinrich anklagen, die Vernichtung Pedros bewusst gewollt zu haben, da er hoffte, so seinen Neffen Afonso, der später den Beinamen »der Afrikaner« erhalten sollte, besser für seine Entdeckungsvorhaben einspannen zu können.66 Zur Verteidigung Heinrichs meint John Ure, dass sich die Intrigen gegen Prinz Pedro in für Heinrich fremden Kategorien bewegt hätten. Denn die Lösung dieses Problems sei für ihn »keine Ehrensache, sondern eine machtpolitische Angelegenheit« gewesen, wobei ihn »seine Erziehung im Sinne ritterlicher Ideale (…) im Stich« gelassen habe.67
Die Erkundung Guineas und der
Kapverdischen Inseln
Nach der Schlacht von Alfarrobeira zog sich Heinrich wieder nach Sagres zurück, um von dort aus neue Entdeckungsfahrten nach Afrika zu dirigieren. Zwei Ziele standen nunmehr im Mittelpunkt seines Denkens: die Eroberung der zwischen Portugal und Kastilien nach wie vor umstrittenen Kanarischen Inseln68 und weitere Erkundungen entlang der westafrikanischen Küste, dabei möglichst weit nach Süden vorstoßend. Über diesen Abschnitt der von Heinrich inspirierten Entdeckungsreisen besitzen wir in dem Reisebericht von Alvise Cà da Mosto ein ausgezeichnetes Dokument, das in diesem Buch nachzulesen ist.
Alvise Cà da Mosto, ein aus Venedig stammender Kaufmann und Seefahrer, unternahm in den Jahren 1455 und 1456 im Auftrag Heinrichs zwei Erkundungsfahrten nach Afrika. In Heinrichs Dienste war er durch einen reinen Zufall gekommen: Als das Schiff, mit dem er nach Flandern segeln wollte, im Winter 1454/55 durch Stürme daran gehindert wurde, die Fahrt von der Südspitze Portugals aus nach Norden fortzusetzen, entschloss sich der gerade 22 Jahre alte Cà da Mosto, getrieben von Abenteuerlust und der Hoffnung, durch eine Afrikafahrt zu Reichtum zu kommen, den in Sagres weilenden Heinrich aufzusuchen und sich ihm als Kapitän anzudienen.69 Heinrich willigte ein und so konnte Cà da Mosto mit einem ihm vom Prinzen zur Verfügung gestellten Schiff bereits am 22. März 1455 zu einer Reise aufbrechen. Zunächst wurde Madeira angesteuert und von dort aus Kurs auf die Kanarischen Inseln genommen. Nach einem kurzen Besuch der Inseln Gomera und Teneriffa segelte Cà da Mosto weiter die afrikanische Küste hinab, über Arguim hinaus zum Kap Blanco, dann weiter nach dem Senegal und Kap Verde, wo er einen Monat im Land von Häuptling Budomel zubrachte. Anschließend erkundete er das Gebiet um die Mündung des Gambia-Flusses. Cà da Mosto wäre gerne noch weiter in Richtung Süden vorgestoßen, aber da seine Mannschaft zu meutern drohte – man war schließlich inzwischen schon fast ein Jahr unterwegs –, entschloss er sich widerwillig, die Heimfahrt anzutreten.
Nach Portugal zurückgekehrt, brach Cà da Mosto – zusammen mit Antoniotto Usodimare – alsbald zu seiner zweiten Entdeckungsfahrt auf, die ihn zu den Kapverdischen Inseln führte und zum Geba-Fluss, an dem heute die Stadt Bissao liegt. Ebenfalls zu den Kapverdischen Inseln und zum Fluss Geba, dem südlichsten Punkt der bisherigen Entdeckungen, gelangte eine Expedition unter dem Kommando von Diogo Gomes im Jahr 1456 oder 1457.
Die Berichte von diesen Expeditionen ließen Heinrich zu dem Schluss kommen, dass nach Kap Verde die afrikanische Küste nicht mehr in südlicher, sondern in östlicher Richtung verlaufe, für ihn ein Zeichen, nun bereits ganz nahe an der Südspitze Afrikas zu sein. Der Seeweg in den Indischen Ozean und nach Indien schien offen zu liegen. Davon, dass die Küste unterhalb des Golfes von Guinea sich weiter nach Süden erstreckte, wusste Prinz Heinrich nichts. Viele Entdeckungsreisen mussten noch unternommen werden, bis es Bartolomeu Dias im Jahr 1488, 28 Jahre nach Heinrichs Tod, endlich gelang, das Kap der Guten Hoffnung zu umsegeln.
Was veranlasste Portugal und andere europäische Länder im 15.