Heinrich der Seefahrer. João de Barros

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Heinrich der Seefahrer - João de Barros Edition Erdmann

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des Seefahrers70 mit diesem Ziel unternommen hatten, erscheinen erst dann im rechten Licht, wenn man Folgendes berücksichtigt: Der Glaube, um Afrika herum auf dem Seeweg nach Indien gelangen zu können, setzte voraus, dass man das ptolemäische Weltbild über Bord geworfen hatte, wonach der Indische Ozean gänzlich von Land umgeben, also ein Binnenmeer war, das folglich mit dem Schiff nicht erreicht werden konnte. Gestützt wurde der Glaube an einen möglichen Seeweg nach Indien vor allem dadurch, dass der Landweg nach dem Orient seit der Mitte des 14. Jahrhunderts zunehmend erschwert war. Dazu beigetragen haben verschiedene historische Entwicklungen: die aufstrebende Macht der Mamelucken in Ägypten, der Aufstieg des Osmanischen Reichs und das Vordringen der Türken auf dem Balkan, der Zerfall des Mongolenreichs, insbesondere die Beendigung der Mongolenherrschaft in China durch die neue nationalchinesische Dynastie der Ming im Jahr 1368. Unter den Ming-Kaisern wurde China systematisch von der Außenwelt abgeschottet, was im Ost-West-Handel zu schweren Einbrüchen führte. Ein weiteres Moment kam hinzu: Angeregt von dem Mythos des Priesters Johannes und der Vorstellung eines großen Christenreichs im Osten, machte sich die abendländische Christenheit, voran der Papst, auf die Suche nach einem christlichen Verbündeten jenseits des islamischen Herrschaftsbereichs, der sich bereits von Nordafrika bis nach Mittelasien erstreckte. Aus all diesen Gründen war das Abendland sehr darauf aus, einen möglichen Seeweg nach Indien ausfindig zu machen.71

      Der Fall Konstantinopels 1453 und

      der portugiesische Kreuzzug gegen

      Marokko im Jahr 1458

      20 Jahre hatte Prinz Heinrich warten müssen, ehe er die Schmach von Tanger wettmachen konnte.72 Diese Gelegenheit verdankte er einem historischen Ereignis, das für die abendländische Christenheit zum Trauma wurde. Die Rede ist von der Eroberung Konstantinopels durch die Türken im Jahr 1453. Angesichts dieser ernsten Bedrohung für die abendländische Zivilisation beschwor Papst Calixtus III. die christlichen Monarchen Europas, gemeinsam einen Kreuzzug gegen die Osmanen zu unternehmen mit dem Ziel, die Hauptstadt der Ostkirche wieder dem wahren Glauben zurückzugewinnen. Der Aufruf des Papstes stieß bei den Herrschern indes mehr oder weniger auf taube Ohren. Kaum einer von ihnen machte ernsthafte Anstrengungen, dem bedrohten Byzantinischen Reich zu Hilfe zu eilen, zumal die meisten europäischen Länder mit eigenen Problemen genug beschäftigt waren. England hatte, nachdem gerade der Hundertjährige Krieg gegen Frankreich beendet worden war, durch den Ausbruch eines Bürgerkriegs, des Kriegs der Rosen73, alle Hände voll zu tun; der französische König musste sich zu der Zeit ebenfalls der Machtansprüche einiger seiner Vasallen erwehren; und die italienischen Stadtstaaten waren an einem Kreuzzug gegen die Türken insofern nicht interessiert, als sie darauf hofften, mit dem aufstrebenden Osmanenreich besser ins Geschäft zu kommen als mit Byzanz jemals zuvor.

      Als einer der wenigen folgte Portugals jugendlicher König Alfons V. dem Ruf des Papstes. Er erklärte sich bereit, dem Kreuzzug eine Armee von 12000 Mann zur Verfügung zu stellen. Daraufhin wurde er im Februar 1456 von Calixtus ermächtigt, zur Finanzierung des Türkenkriegs eine Kreuzzugssteuer zu erheben, worauf Alfons aus afrikanischem Gold eine neue Goldmünze prägen ließ, den cruzado mit dem Kreuzfahrerkreuz. Nach dem Tod von Papst Calixtus im August 1458 zerschlugen sich die Kreuzzugspläne jedoch endgültig.

      Unterdessen hatte es Prinz Heinrich – ganz im Sinne seiner oben beschriebenen Doppelstrategie – mit großem diplomatischem Geschick verstanden, den Blick seines Neffen Alfons auf Marokko zu lenken und den König zu überzeugen, anstelle eines Feldzugs nach Konstantinopel einen Entlastungsangriff gegen die Ungläubigen in Marokko zu führen. Als Angriffsziel wurde schließlich die zwischen Ceuta und Tanger gelegene Küstenstadt Alcácer Ceguer auserkoren, damals ein Stützpunkt des maurischen Piratenunwesens und das Textilzentrum Marokkos. Ende September 1458 brach die portugiesische Armada – 220 Schiffe mit insgesamt 25000 Soldaten – auf und landete am 21. Oktober vor besagter Stadt. Obgleich schon 64 Jahre alt, übernahm Prinz Heinrich das Kommando über dieses militärische Unternehmen. Weitaus besser gerüstet als bei der misslungenen Eroberung Tangers, gelang es den Portugiesen innerhalb von zwei Tagen, die Stadt trotz heftiger Gegenwehr des Sultans von Fes einzunehmen.

       Afrikakarte von Sebastian Münster, 1550

      Nach der Rückkehr aus Marokko schien Heinrich zu spüren, dass sich sein ereignisreiches Leben dem Ende zuneigte. Aber noch war sein Entdeckergeist nicht erloschen. Kurz vor seinem Tode schickte er eine weitere Expedition aus, die unter dem Kommando von Pedro de Sintra bis nach Sierra Leone gelangte. Von diesem Erfolg, dem weitesten Vorstoß portugiesischer Seefahrer nach Süden bis dahin, erfuhr Prinz Heinrich allerdings nichts mehr. Er hatte bereits am 13. November 1460 für immer die Augen geschlossen. Über seinen Tod schreibt Diogo Gomes, einer von Heinrichs Kapitänen: »Im Jahre 1460 erkrankte der Infant in seiner Stadt am Kap São Vicente und starb am 13. November desselben Jahres, einem Donnerstag. Noch in der Nacht brachten wir die Leiche nach Lagos, in dessen kleiner Kirche sie beigesetzt wurde. Der König und das ganze Land trauerten wegen des Todes dieses edlen Herrn, der seine gesamten Einkünfte und allen Gewinn, den er aus Guinea bezog, für Entdeckungsfahrten und – um des christlichen Glaubens willen – für die Bekämpfung der Sarazenen verwandt hatte. Ende des Jahres schickte mir König Alfons Befehl, ich solle nachsehen, ob die Leiche verwest sei, weil er sie nach dem schönen Kloster Batalha zu überführen wünsche. Doch als ich den Sarg öffnete, war sie trocken und mit Ausnahme der Nasenspitze völlig unversehrt. (…) Ja, unser Infant führte ein jungfräuliches Leben und stiftete so viel Gutes, dass man es nicht aufzählen kann. Bischöfe und Grafen geleiteten seine Leiche zu dem erwähnten Kloster, wo sie neben den Eltern und den fünf Brüdern begraben worden ist. Sein Andenken wird ewig gepriesen werden. Möge er im heiligen Frieden ruhen. Amen.«74

      Heinrichs Lebenswerk

      Wie wurde Heinrich von der Nachwelt eingeschätzt? Zunächst einmal war das Bild, das die nachfolgenden Generationen sich von dieser herausragenden Persönlichkeit der portugiesischen Geschichte machten, im Laufe der Zeit vielen Wandlungen unterworfen. Das 16. Jahrhundert, das Zeitalter der Renaissance und des Humanismus, sah in Heinrich in erster Linie den Humanisten, der aus den Fesseln scholastischer Dogmatik ausgebrochen war; im 19. Jahrhundert, in einer Zeit also, in der die Menschen an die Allmacht positivistischer Wissenschaft glaubten, wurde Heinrich zum Vorläufer moderner, auf Empirie beruhender Wissenschaft. Und im Zeitalter des Kolonialismus erschien er vielen als Symbol kolonialer Errungenschaften. Von manchen Historikern, wie z.B. dem Portugiesen Joaquim Bensaúde75, wird das Schwergewicht auf Heinrichs christliches Sendungsbewusstsein gelegt. Da erscheint er als der große christliche Stratege, der versuchte, den Islam zurückzudrängen.

      Die vier hier erwähnten Aspekte von Heinrichs Persönlichkeit sind sicherlich allesamt zutreffend; keinesfalls aber darf Prinz Heinrich auf einen davon reduziert werden, vielmehr sollte immer eine gewisse Widersprüchlichkeit seines Charakters herausgehoben werden. Auf der einen Seite sind da seine höfische Erziehung und sein Festhalten an altmodischen ritterlichen Idealen, die ihn in wichtigen Lebenssituationen, z.B. bei dem Komplott gegen seinen Bruder Pedro, »zu Fehleinschätzungen und falschen Beurteilungen verführten«.76 Seine rastlose Neugier und sein Wille, seinem und der Menschheit Wissen neue Horizonte zu erschließen, weisen ihn auf der anderen Seite als modernen, wissenschaftlich denkenden Menschen aus – wäre er anders doch gar nicht in der Lage gewesen, geografische Entdeckungen und Neuerungen auf dem Gebiet der Kartografie und Nautik systematisch zu fördern.77 Vermittelt wurde das Zusammenspiel der beiden Komponenten – höfische Lebenswelt und sein Enthusiasmus für Entdeckungen – von einer tiefen Religiosität. Aus dieser bezog er die Rechtfertigung für seine Feldzüge gegen Marokko, die Sklavenjagd und die von ihm gelenkten Vorstöße entlang der westafrikanischen Küste. So gesehen war Heinrich ein Kind seiner Zeit, des Umbruchs vom Mittelalter zur Neuzeit. Ebendiese historische Nahtstelle

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