Gesammelte Werke. Джек Лондон
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»Die Erklärung scheint mir etwas gesucht.«
Sie sah ihn an, und er fühlte in ihrem Blick und ihrer Haltung einen Vorwurf. Aber er war von der Richtigkeit seines Standpunktes überzeugt.
»Alle Denker, die sich mit allgemeinen Gegenständen beschäftigen – also die größten Geister der Welt –, beziehen sich auf die Spezialisten. Auch Herbert Spencer tat das. Er zog seine Schlüsse aus dem, was Tausende von Forschern beobachtet hatten. Um alles selbst zu tun, hätte er sein Leben tausendmal leben müssen. Und ebenso ging es Darwin. Er zog Nutzen aus allem, was er von Gärtnern und Tierzüchtern gelernt hatte.«
»Sie haben recht, Martin«, sagte Olney. »Sie wissen, was Sie wollen, und das tut Ruth nicht. Sie weiß nicht einmal, was sie in bezug auf sich selber will.«
»... O doch,« fuhr Olney fort, ohne ihre Einwände zu beachten, »ich weiß, Sie nennen das allgemeine Bildung. Aber es ist ganz gleich, was man studiert, wenn man allgemeine Bildung sucht. Man kann Französisch oder Deutsch studieren, oder auch beide Sprachen lassen und Esperanto lernen, dadurch erhält man doch dasselbe Gepräge von Bildung. Zu demselben Zweck kann man Griechisch oder Latein studieren, obwohl man nicht den geringsten Nutzen davon hat. Aber es verleiht eben Bildung. Sehen Sie, Ruth hat einmal Angelsächsisch studiert und war sehr tüchtig darin – das war vor zwei Jahren, und jetzt weiß sie nichts mehr davon als diesen oder jenen Vers. Stimmt das nicht?«
»Aber deshalb hat es ihr doch ein Gepräge von Bildung verliehen«, lachte er und schnitt wieder ihre Einwände ab. »Ich weiß es. Wir besuchten dieselben Vorlesungen.«
»Sie sprechen von Bildung, als wäre sie ein Mittel, dies oder jenes zu erreichen«, rief Ruth. Ihre Augen blitzten, und sie hatte rote Flecken auf den Wangen. »Bildung ist selbst ein Ziel.«
»Aber nicht das, welches Martin sucht.«
»Woher wissen Sie das?«
»Was suchen Sie, Martin?« wandte Olney sich direkt an ihn.
Martin war sehr unbehaglich zumute; er blickte Ruth flehend an.
»Ja, was suchen Sie?« fragte Ruth. »Das ist eben das Entscheidende.«
»Selbstverständlich suche ich Bildung«, stammelte Martin. »Ich liebe alles, was schön ist, und Bildung wird mir einen edleren und lebendigeren Schönheitssinn schenken.«
Sie nickte und sah Olney triumphierend an.
»Das ist Unsinn, und das wissen Sie auch«, sagte der junge Mann. »Martin ist nach einer Karriere aus, nicht nach Bildung. Es trifft sich nur gerade, daß die Karriere für ihn Bildung bedeutet. Wollte er Chemiker werden, so brauchte er keine Bildung. Martin will schreiben, aber er fürchtet sich, es zu sagen, weil er damit beweisen würde, daß Sie unrecht haben.«
»Und warum will Martin schreiben?« fuhr er fort. »Weil er nicht im Gelde wühlt. Warum füllen Sie sich den Kopf mit Angelsächsisch und allgemeiner Bildung? Weil Sie es nicht nötig haben, sich heraufzuarbeiten. Dafür hat Ihr Vater gesorgt. Er kauft Ihnen Kleider und alles andere. Was haben wir von unserer morschen Erziehung, Sie und ich und Arthur und Norman? Wir sind von allgemeiner Bildung durchsäuert, und wenn unsere Väter heute verkrachten, würden wir morgen in einem Lehrerexamen durchfallen. Das Höchste, was Sie, Ruth, erreichen könnten, wäre eine Dorfschule oder eine Stellung als Musiklehrerin in einem Pensionat für junge Mädchen.«
»Und was würden Sie machen?« fragte sie.
»Gar nichts. Ich könnte mit meinen Händen anderthalb Dollar den Tag verdienen, könnte vielleicht Lehrer an Hanleys Presse werden – ich sage vielleicht, beachten Sie das – und würde vielleicht, ehe die Woche um ist, wegen Untauglichkeit hinausgeworfen werden.«
Martin folgte der Diskussion gespannt, und wenn er auch überzeugt war, daß Olney recht hatte, so mißbilligte er doch die etwas überlegene Art und Weise, wie er Ruth behandelte. Eine neue Auffassung von Liebe bildete sich in ihm, während er lauschte. Vernunft hatte nichts mit Liebe zu tun. Es war ganz gleichgültig, ob die Frau, die er liebte, richtig dachte oder nicht. Liebe stand über aller Vernunft. Erfaßte sie zufällig nicht richtig, wie notwendig es für ihn war, sich einen Weg in der Welt zu bahnen, so machte sie das nicht im geringsten weniger anbetungswürdig. Was sie dachte, hatte in dieser Beziehung nichts zu bedeuten.
»Wie bitte?« antwortete er auf eine Frage Olneys, die plötzlich seinen Gedankengang unterbrach.
»Ich sagte, Sie wären hoffentlich nicht so dumm, sich mit Latein abzugeben.«
»Aber Latein bedeutet mehr als Bildung«, fiel Ruth ihm ins Wort. »Es ist notwendiger Ballast.«
»Nun, so wollen Sie sich also mit Latein abgeben?« fuhr Olney fort.
Martin wußte weder ein noch aus. Er konnte sehen, daß Ruth seine Antwort mit Spannung erwartete. »Ich fürchte, daß ich keine Zeit dazu habe«, sagte er schließlich. »Ich möchte sehr gern, aber ich habe keine Zeit.«
»Sie sehen, daß es Martin nicht um Bildung zu tun ist«, triumphierte Olney. »Er will ein Ziel erreichen, etwas ausrichten.«
»Aber es ist Geistestraining, Denkübung. Es diszipliniert den Geist.« Ruth sah Martin erwartungsvoll an, als dächte sie, daß er anderen Sinnes würde. »Sie wissen doch, daß Fußballspieler für den Wettkampf trainieren müssen. Und das bedeutet Latein für den denkenden Menschen. Es trainiert ihn.«
»Unsinn! Das hat man uns erzählt, als wir Kinder waren. Aber etwas hat man uns damals nicht erzählt. Das mußten wir später herausfinden.« Olney machte, um seine Worte wirkungsvoller zu machen, eine Pause und fügte dann hinzu: »Was man uns nicht erzählte, war, daß jeder Gebildete Latein hätte lernen sollen, daß aber kein Gebildeter Latein kann.«
»Nein, das ist kein ehrliches Spiel!« rief Ruth. »Ich wußte, daß Sie das Gespräch auf eine andere Bahn bringen würden, um Gelegenheit zu haben, eines ihrer Paradoxe anzubringen.«
»Es ist zwar ein Paradox,« antwortete er, »aber dabei doch ein vollkommen ehrliches Spiel. Die einzigen Menschen, die Latein können, sind Apotheker, Juristen und die Lateinlehrer. Und ich würde mich sehr wundern, wenn Martin zu einem dieser Berufe Lust hätte. Aber was hat das übrigens mit Herbert Spencer zu tun? Martin hat soeben Spencer entdeckt und ist ganz wild auf ihn. Warum? Weil Spencer ihn zu einem Ziele führt. Wir haben kein Ziel, auf das wir losgehen. Sie verheiraten sich natürlich eines Tages, und ich brauche nur die Anwälte und Agenten, die das mir von meinem Vater hinterlassene Geld verwalten, an den Ohren zu halten.«
Olney erhob sich, um zu gehen. Aber in der Tür wandte er sich noch einmal um und schoß den letzten Pfeil auf Ruth ab.
»Lassen Sie Martin nun in Frieden, Ruth! Er weiß selbst, was ihm not tut. Sehen Sie, was er schon erreicht hat! Er macht mich manchmal ganz elend und schamvoll – elend und schamvoll über mich selbst. Er weiß tatsächlich von der Welt und dem Leben, dem Platz der Männer im Leben und alledem weit mehr als Arthur und ich, ja, auch als Sie, und das trotz all unserm Latein, Französisch, Angelsächsisch und unserer allgemeinen Bildung.«
»Aber Ruth ist meine Lehrerin«, antwortete Martin ritterlich. »Das wenige, das ich weiß, habe ich ihr zu verdanken.«
»Unsinn!« Olney sah Ruth boshaft an. »Schließlich wollen Sie mir noch erzählen, daß Sie Spencer auf Ruths Empfehlung gelesen haben – aber