Im Sonnenwinkel Staffel 4 – Familienroman. Patricia Vandenberg
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Otto Behrend gab zu, dass er sich niemals hätte träumen lassen, dass es ihnen noch einmal so gutgehen würde, besser als jemals zuvor, denn er hatte von seinen bäuerlichen Vorfahren viel Landbesitz geerbt, der dann von Wohnbaugesellschaften zu immensen Preisen aufgekauft worden war. Aber nun, da er reich war, war er auch allein, und er war misstrauisch geworden.
Die Menschen suchten die Gesellschaft des reichen Mannes nicht um seiner selbst willen. Das war seine Meinung, und er mochte recht haben.
Er war ein eigenartiger, kauziger Mensch, aber Herbert Kerst mochte ihn dennoch. Er tat ihm leid. Mit all seinem Geld tat er ihm leid.
Da sie nun am Ziel waren, bat er ihn nochmals, nicht mit der Tür ins Haus zu fallen.
»Es ist schon zu viel auf Sabine eingestürmt in diesen Tagen«, meinte er bedächtig.
»Das kann man wohl sagen.« Otto Behrend nickte. »Es ist ungeheuerlich, was man mit diesem Kind getrieben hat. Wenn ich darüber nachdenke, dass meine Enkelin neun Jahre herumgestoßen wurde und in Armut leben musste …«
»Denken Sie nicht nach«, entgegnete Herbert Kerst. »Da ist Sabine, mit meiner Frau!« Es klang ein Staunen in seiner Stimme. »Überlassen Sie bitte alles mir«, fügte er rasch hinzu.
Das hätte er nicht zu sagen brauchen, denn Otto Behrend war ohnehin keines Wortes fähig. Seine Augen hingen an dem Kindergesicht und schlossen sich, als Sabine Herbert Kerst in die Arme fiel.
»Nun bist du wieder da, Onkel Herbert!«, jauchzte sie. »Tante Norma hat sich so gesorgt.«
Geschimpft wird sie haben, dachte er, und ein wenig verlegen küsste er seine Frau zu Begrüßung auf die Wange.
»Sabine, sag doch bitte Anschi Bescheid, dass ich einen Freund mitbringe«, bat er dann rasch.
Sabine nickte und lief ins Haus. Herbert Kerst hatte seine Hand um Normas Arm gelegt.
»Das ist Herr Behrend aus Köln, Norma«, stellte er vor.
Normas Augen weiteten sich, und ein Schein von Angst flackerte in ihnen.
»Mit einiger Sicherheit können wir annehmen, dass er Sabines Großvater ist«, fuhr Herbert Kerst mit belegter Stimme fort.
»Du lieber Gott!«, entfuhr es Norma. Sie musterte den kleinen, mageren Mann nachdenklich, und ihr Blick schien zu fragen: Musste das sein?
»Onkel Herbert hat einen Freund mitgebracht, Anschi«, informierte Sabine indessen die junge Frau. »Ein netter kleiner Mann. Er ist schon ziemlich alt.«
Was soll das nun wieder bedeuten, dachte Anschi, und eine jähe Angst erfüllte sie.
»Sicher hat er mit ihm Geschäfte gemacht«, sagte Sabine eifrig. »Soll ich den Tisch decken?«
»Das wäre lieb, Binchen.«
Ein unbestimmtes Gefühl trieb Anschi dazu, ihren Vater allein zu interviewen, und sie war fassungsloser als ihre Mutter, als ihr Herr Behrend vorgestellt wurde.
»Ich werde Binchen schnell zum Bäcker schicken«, bemerkte sie atemlos. »Bitte, Paps, sag jetzt nichts.«
*
Sabine dachte sich nichts dabei. Mit einem wehen Gefühl blickte Anschi ihr nach. Ihr Herz klopfte wie ein Hammer, als sie sich dem alten Herrn zuwandte.
»Ich habe gehört, dass Sie die Tochter meines Sohnes sehr liebevoll aufgenommen haben, gnädige Frau«, sagte Otto Behrend stockend.
Anschi schossen die Tränen in die Augen.
»Wie konntest du das tun, Paps!«, schluchzte sie auf.
»Kindchen, nun weine doch nicht!«, bat er. »Klarheit mussten wir doch schaffen. So habe ich es mir ja auch nicht vorgestellt, und außerdem ist bis jetzt noch nichts erwiesen.«
»Doch«, behauptete Otto Behrend, »das ist meine Enkelin! Ich bin ganz sicher. Mein Sohn ist tot. Er ist schon so lange tot, wie Sabine auf der Welt ist. Er hat bestimmt nie etwas von der Geburt des Kindes erfahren, sonst hätte sie nicht so zu leben brauchen. Gewiss nicht.«
»Sie können doch nicht einfach kommen und sie uns wegnehmen!«, begehrte Anschi auf. »Nein, Sie täuschen sich. Ich bin überzeugt, dass Sabine die Tochter meines Mannes ist. Ja, ich glaube es ganz bestimmt.«
Herbert Kerst war fassungslos.
»Anschi«, sagte er flehend, »sei doch vernünftig.«
Sie legte den Kopf in den Nacken. Mit flammenden Augen sah sie ihren Vater an.
»Stefan wollte nur mit Rücksicht auf euch nichts sagen«, sprudelte es über ihre Lippen. »Ich habe immer gewusst, dass Sabine sein Kind ist. Sie gehört zu uns! Niemand darf sie uns wegnehmen!«
»Reg dich nicht auf, Liebes«, flüsterte Norma Kerst. »Komm, beruhige dich!« Und sie führte Anschi hinaus.
»Meine Tochter erwartet ein Baby«, erklärte Herbert Kerst mit müder Stimme. »Jede Aufregung schadet ihr.«
»Aber wenn sie selbst ein Kind haben wird, warum will sie dann Sabine auch behalten?«, fragte Otto Behrend hilflos.
»Wie kann man es erklären? Ich weiß es auch nicht. Ich möchte das Kind ja auch behalten.«
*
»Das hat Paps nur getan, weil du ihn beeinflusst hast!«, warf Anschi ihrer Mutter vor. »Du warst gegen Sabine!«
Norma war sehr blass. »Es tut mir entsetzlich leid, Kind, aber das habe ich wirklich nicht gewollt. Wie hätte ich auch auf den Gedanken kommen sollen, dass Herbert in der Weltgeschichte herumreist, um Sabines Vater zu finden.«
»Stefan ist ihr Vater!«, erklärte Anschi trotzig.
»Meinetwegen könnt ihr sagen, was ihr wollt. Das Kind muss jedenfalls herausgehalten werden. Es ist ein starkes Stück, dass Herbert den Mann gleich mitbringt. Denkst du, mir gefällt das?«
»Mutti, bitte hilf mir doch!«, flehte Anschi. »Halt zu mir! Sprich du mit Herrn Behrend. Was soll Binchen denn bei diesem alten Mann?«
Ja, wem sollte man es recht machen? Norma machte sich Vorwürfe, fühlte sich schuldig, diese Situation heraufbeschworen zu haben.
»Ich werde Stefan entgegengehen. Er kommt mit dem Bus«, flüsterte Anschi. »Sag, dass ich mich ein bisschen hingelegt habe, Mutti, und sieh zu, dass dieser Behrend wieder verschwindet.«
Anschi war bereit, Otto Behrend als ihren größten Feind zu betrachten. Sie dachte gar nicht daran, ihm auch nur das geringste Verständnis entgegenzubringen.
*
Sabine hatte unterwegs Bambi und ein paar andere Kinder aus dem Sonnenwinkel getroffen, die sie aufhalten wollten.
»Ich muss schnell zum Bäcker und wieder heim«, erklärte sie. »Wir haben Besuch bekommen.«
»Ihr habt jetzt aber viel Besuch«, stellte Bambi