Heimatkinder Staffel 4 – Heimatroman. Kathrin Singer
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Vor dem Klinikum parkte bereits Maries Wagen. Stefan sprang heraus und stürmte direkt in die Arme eines Polizeibeamten. »Meine Tochter wurde eingeliefert!«, rief er ihm entgegen. »Ich habe jetzt keine Zeit! Ich gebe alles zu! Schicken Sie mir die Anzeige!«
»Baron …, die kleine Baroness war ohne Helm unterwegs! Aber sie lebt!«
Stefan rannte weiter. Die Dame in der Pförtnerloge schickte ihn in den ersten Stock. Er nahm drei Stufen auf einmal, und als er den Gang erreichte, sah er Marie. Sie stand mit hochgezogenen Schultern am Fenster des Ganges, als fröstele sie. Er zog sie in die Arme.
»Sie lebt, Marie! Wo ist sie?« Aber dann lehnte er seine Stirn an ihre und stöhnte nur noch auf.
»Du siehst sie gleich, Stefan.« Er fühlte ihre kühle Hand an seiner Stirn. »Sie hat einen Schutzengel gehabt. Er hat die Polizei benachrichtigt, und die riefen bei Wilma an …«
Da atmete er tief durch. Reserl hatte einen Schutzengel gehabt! Seine Älteste, die Aufmüpfige, die sich über ihre Eltern beklagte und nur noch Haarspangen tragen wollte, blieb ihnen erhalten.
Gegenüber öffnete sich eine Tür. Ein junger Arzt trat zu ihnen. Sein gutmütig lächelndes Gesicht machte Stefan zunächst wütend, aber bevor er sich es anmerken ließ, verriet der gute Mann: »Sie hat schon nach Ihnen gefragt. Fünf Minuten vertraue ich Ihnen meine kleine Patientin an. Aber nicht länger! Der Arm wurde geröntgt und versorgt. Es ist die Gehirnerschütterung, die uns zwingt, sie noch einige Tage zur Beobachtung hierzubehalten.«
Marie schien gefasster. Sie bedankte sich, obwohl Stefan diesem jungen Mann noch gern einige Fragen gestellt hätte. Aber seltsam, noch saß ihm der Schrecken wie ein Kloß im Hals.
»Ja, und der Kollege, der Ihre Tochter hergebracht hat, erwartet Sie für etwaige Fragen im Klinik-Café. Vorerst steht er noch den Polizeibeamten Rede und Antwort.«
»Warum?«, konnte Stefan da endlich keuchen. Aber Marie zog ihn schon mit sich ins Zimmer.
»Mami … Papi!«, flüsterte Reserl. Sie lag da mit ihrem verbundenen Arm und mit einem dick gepolsterten Reif um den Kopf. Aber sie lächelte, wenn auch schwach.
Stefan hatte plötzlich auch noch weiche Knie. Er setzte sich einfach auf ihr Bett, während Marie sie erst mal küsste und sich dann einen Stuhl heranschob. Und Marie bemerkte auch gleich die rote Seidenschleife, die ein humorvoller Mensch um den bandagierten Arm geschlungen haben musste.
»Die anderen sind wieder schmutzig«, erklärte Reserl mit schwacher Stimme. »Aber Frank hat sie von der Straße eingesammelt. Wilma soll sie noch mal waschen …«
»Frank?«, fragte Marie, ohne dass Stefan es beachtete.
»Die Seidenbändchen für Lucie!«, fiel ihm heiß ein. »Du bist also ohne Helm losgefahren, um sie ihr zu bringen?«
»Du hast mich ja nicht mitgenommen, Papi!«, verteidigte Reserl sich schwach. »Ich wollte doch mit nach Altendorf!«
»Papi musste ja unbedingt zu Anette!«, verriet Marie mit einem vorwurfsvollen Blick in seine Richtung. »Da konnte er dich wohl nicht brauchen.«
»Wusst’ ich doch, dass ihr Rabeneltern seid!«, stellte Reserl fest, verdrehte den Blick nach oben zu ihrem seltsamen Reif um den Kopf und seufzte. »Der Doktor hat mir einen Tee zum Schlafen gebracht …, damit mein Kopf Ruhe hat.« Ihre Augen wollten schon zufallen, da sah sie ihre Eltern doch noch dankbar an. »Und bitte …, nicht die Bändchen vergessen. Die hat Frank.«
Ein Schweigen legte sich über die drei. Stefan und Marie tasteten beide nach Reserls unverbundener Hand, bis sich ihre Hände berührten. Sekundenlang verbanden sich ihre Blicke voller Erleichterung und Dankbarkeit. Reserl war eingeschlafen und atmete ganz ruhig.
»Kannst du mir verraten, was du schon wieder bei Anette wolltest?«, flüsterte Marie plötzlich.
Stefan bedeckte seine Augen mit der freien Hand. Das war mal wieder so typisch. Konnte sie mit diesem Verhör nicht warten, bis er sich vom Schock erholt hatte?
»Eure Freundschaft kitten!«, murrte er kurz angebunden.
»Und wieder hinter meinem Rücken!«
Er nickte. »Es war sowieso sinnlos. Ich hab’s mir jetzt auch endgültig mit ihr verdorben.«
Atmete Marie da etwa auf? »Das hätte ich mir denken können! Anette ist doch nicht glücklich, wenn sie sich und anderen keine Probleme bereiten kann!«
In diesem Augenblick betrat die Krankenschwester den Raum, schaute prüfend nach der kleinen Patientin und bat ihre Eltern, sie nun schlafen zu lassen.
Stefan und Marie standen auf dem Korridor. Sie sahen sich trotz allem mit einem Blick der tiefen Liebe und des innigen Vertrauens an, wie Eltern, deren Herzen in der Sorge um ihre Kinder den gleichen Rhythmus gefunden haben.
»Rabeneltern!«, wiederholte Stefan. »Das sind wir nicht, Marie. Sowie wir Reserls Lebensretter im Café getroffen haben, fragen wir nach ihren bunten Bändern.«
Da küsste sie ihn schnell auf die Wange. »Vorher verzeihe ich dir noch schnell, dass du wieder hinter meinem Rücken mit Anette gesprochen hast! Und nun komm!«
Hand in Hand betraten sie das Café. Es war kein besonders schöner Raum und nur spärlich besetzt. An einem Tisch in der Mitte lehnte sich ein Mann gerade zurück und streckte die Arme, als müsse er sich entspannen. Er hatte dunkle Haare und trug einen flotten Anorak. Und aus der Seitentasche lugten die Enden von bunten Seidenbändern.
Stefan umgriff Maries Arm ganz heftig und deutete hinüber. »Reserls Bändchen. Das ist er!«
Zwei Minuten später wussten Marie und Stefan, dass es sich um Doktor Frank Bahring handelte, der Zeuge von Reserl Sturz geworden war, sie sofort versorgt, dem Ehepaar in dem anderen Wagen noch nahegelegt hatte, die Polizei zu benachrichtigen und dann mit dem kleinen, so stürmischen und leichtsinnigen Mädchen zurück nach Traunstein in die Klinik gerast war.
»Nein, nicht gleich!«, gab er lächelnd zu. »Ihre Tochter hat einen dicken Kopf, wie sich zeigte. Aber auch einen starken Willen. Sie bestand darauf, dass ich die Bändchen, die neben der Straße lagen, noch einsammle und gut aufbewahre.« Er grinste.
»Sie sind Doktor Bahring, Kardiologe aus München!«, platzte es aus Stefan heraus. Der Mann war ihm doch gleich bekannt vorgekommen. Ob er ihm verriet, woher er ihn kannte? Oder bekam er dann ein weiteres Problem mit Anette?
»Sie verbringen einige Ferientage bei uns?«, hörte er Marie fragen. »Dann bleibt hoffentlich Zeit geng, damit wir uns bei Ihnen erkenntlich und dankbar zeigen können.«
»Ich habe nur das getan, was jeder Vater auch geschafft hätte!«, meinte er lächelnd. »Ich war in Traunstein beim Notar, um den Kaufvertrag mit den Erben von Doktor Huber zu unterschreiben. Ich habe das Haus des verstorbenen Landarztes erworben und werde mich hier in einigen Monaten niederlassen. Aber jetzt muss ich zurück nach München.«
»Erst nach einem zweiten Cappuccino!«, bestimmte Stefan sofort.