Heimatkinder Staffel 4 – Heimatroman. Kathrin Singer
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»Ja, ich habe mich entschlossen, meinem Leben einen neuen Impuls zu verleihen!«, erzählte der zukünftige Landarzt gut gelaunt. »Es sind private Gründe, aber ich habe mich auch in die Umgebung von Altendorf verliebt. Deshalb fuhr ich die Landstraße entlang. Vor mir bummelte ein Auto genauso, und plötzlich sah ich, wie ein Kind auf einem Fahrrad die enge Kurve schnitt, der Limousine im letzten Moment ausweichen musste und kopfüber mit dem Fahrrad von der Straße in eine Gruppe Bäume stürzte. Was dann geschah, wissen Sie. Reserl war benommen, aber sie konnte mir ihren Namen nennen.« Er schmunzelte. »Von dem Polizeibeamten erfuhr ich erst, wie bekannt Sie hier sind.«
Stefan nickte nachdenklich. Er sah Marie an. Wie sie den neuen Landarzt anstrahlte! Wie gut, dass sie nicht wusste, wer da vor ihr saß!
»Wir werden Sie jederzeit gern bei uns oben als Gast sehen!«, versprach sie. »Und Ihnen auch jeden anderen Wunsch gern erfüllen, wenn Sie sich hier niedergelassen haben.«
»Ja, Herr Doktor. Das werden wir!«, bestätigte Stefan. Dann blickte er auf die Uhr und erinnerte Marie daran, dass sie gewiss schon zu Hause erwartet wurde, um Wilma, Jossi und Dany von Reserls wunderbarer Rettung zu berichten.
»Und du?«
»Ich werde Telefonnummern und alles andere mit Doktor Bahring austauschen und komme dann gleich nach.«
Kurz darauf verließen sie das Klinikum. Bevor Marie in ihren Wagen stieg, fragte sie Doktor Bahring, ob sie denn die frohe Kunde von dem Landarzt verbreiten dürfe. Und da nahm er ihre Hand, hauchte galant einen Kuss darauf und versicherte fröhlich, einen netteren Dienst könne sie ihm gar nicht erweisen.
»Sie haben eine zauberhafte Frau, Baron!«, meinte er galant, als sie beide ihrem Wagen nachsahen.
»Ja. Und wenn Reserl wieder bei uns ist, sind wir restlos glücklich!«
»Sie nehmen sich viel Zeit für Ihre Familie, Baron?«
»So viel ich kann. Es gibt nichts Schöneres, als an der Seite einer geliebten Frau die Kinder aufwachsen zu sehen.«
Ohne etwas zu erwidern, griff Frank Bahring in seine Brusttasche. Er entnahm ihr eine Sonnenbrille, bemerkte die Bändchen, stopfte sie geistesabwesend tiefer in die Tasche und setzte die Brille auf. Dann blickte er nachdenklich zum Himmel, als sei er ganz allein auf der Welt.
»Sie haben bis jetzt nicht viel Zeit für Ihre Familie gehabt?«, fragte Stefan nach einer Weile.
»Nein.« Franks Stimme klang brüchig. »Als meine Frau mich verließ, habe ich versucht, wenigstens für meine Kinder da zu sein. Aber es war zu spät. Sie sind zu meiner geschiedenen Frau nach England gezogen.« Er nahm die Brille ab und sah Stefan mit wehmütigem Lächeln an. »Es hat Jahre gedauert, bis ich einen Menschen fand, für den es sich lohnte, noch mal ganz von vorne zu beginnen. Diesen Menschen will ich nicht verlieren. Deshalb werde ich mich hier niederlassen, in der Nähe dieses Menschen.«
»Dieser Mensch ist eine Frau und heißt Anette!«
»Sie kennen Anette, Baron?« Frank Bahrings Gesicht erstarrte.
»Anette ist eine enge Freundin meiner Frau. Ja, und wir wünschen ihr alles Glück der Welt. Aber zwischen Ihnen, Verzeihung, muss wohl was schiefgelaufen sein!«
»Hat sie Ihnen erzählt, was ich ihr verschwiegen habe?« Stefan konnte nicht anders als nicken. »Können Sie sich vorstellen, dass ich nur aus Furcht, sie zu verlieren, schwieg? Kennen Sie das Gefühl der Unsicherheit, das einen Mann beschleicht, der einmal an sich gezweifelt hat?«
»Haben Sie denn an Anettes Liebe gezweifelt?«
»Nicht eine Sekunde, bis zu dem Moment, als ich ihr die Wahrheit sagte.«
Stefan schob seinen Arm unter Franks. Er fragte, wo sein Wagen stehe, und begleitete ihn dahin. »Folgen Sie mir nach Altendorf. Ich werde bei Anette klingeln, um ihr von Reserls Unfall und Zustand zu erzählen. Anette liebt Reserl. Sie wird mir öffnen, und Sie werden mich begleiten!«
»Aber sie will mich nie wiedersehen! Ich habe mir vorgenommen, Sie einige Monate in Ruhe zu lassen.«
»Das war falsch, Herr Doktor!«, entschied Stefan und ging zu seinem Wagen.
*
Anette spürte schnell, dass der Abend noch lange hell blieb, aber es schnell zu kalt wurde, um sich von ihrem kleinen Schlafzimmerbalkon dem Lauschen der Amselmelodie hinzugeben. Die Amsel saß in dem einzigen Baum hinter dem Apothekerhaus und war leicht zu entdecken, weil das Laub noch nicht dicht genug war. Anette wollte ihr zuhören und sie dabei beobachten, weil sie glaubte, das könne sie beruhigen.
Nur klappte das nicht. Sie zitterte nun auch noch vor Kälte. Dagegen half auch nicht die Wolldecke, die sie von ihrem Bett raffte. Das Zittern kam aus ihrem Inneren. Es war eben eine hartnäckige Unruhe, die sie umtrieb, solange sie nicht wusste, was mit Reserl geschehen war und wie es ihr ging.
Reserl, die Älteste von Marie und Stefan Weißenberg, dieses aufgeweckte Kind mit den langen, seidigen Haaren und den blauen Augen ihres Vaters befand sich in der Traunsteiner Klinik. Ob sie dort anrief und um Auskunft bat? Aber die würde man ihr nicht geben, auch, wenn sie behauptete, eine enge Freundin der Patientin zu sein.
Sie zog die Decke fester um sich. War Reserl noch ihre kleine Freundin? Seit zwei Monaten, als sie im Internet nach einem Ehepaartner zu suchen begann, war Anette nicht mehr auf dem Weißenberg-Hof gewesen. Jetzt wusste sie plötzlich, wie sie Reserls neugierige Fragen und ihr Lächeln vermisste, wenn sie der Zehnjährigen etwas erklärt hatte. Ob Reserl immer noch so ungeduldig auf das neue Schuljahr im Herbst wartete? Hoffte sie auch noch darauf, Anette dann als Klassenlehrerin zu bekommen?
Während sie sich diese Fragen stellte, spürte Anette, wie sich der eigene Kummer von der Sorge um die Tochter ihrer Freunde Marie und Stefan verdrängen ließ. Wie gern hätte sie Marie getröstet oder den wortbrüchigen Stefan mit einigen Worten des Mitgefühls verziehen. Nur wagte sie nicht mehr, ihn anzurufen. Und was würde Marie sagen, wenn sie sich nach so langer Zeit bei ihr meldete, als sei nichts geschehen? Ob sie ihr trotz der Sorge um Reserl mit kalter Stimme das Fernbleiben bei den Chorproben vorwarf? Aber spielte das noch eine Rolle, wenn Reserl in Lebensgefahr schwebte?
Sie zog die Schultern bis fast zu den Ohren hoch, so fröstelte sie. Als sie das Tuch enger schlingen wollte, merkte sie, wie klamm ihre Hände waren. Ob die Jagd nach dem Liebesglück ihr Herz geschwächt und ihre Gefühle für andere hatte abstumpfen lassen? Musste ihr Liebling Reserl erst einen Unfall überstehen, damit sie begriff, dass auch das Eheglück der Weißenbergs den Zufällen des Lebens ausgeliefert war?
Sie zuckte zusammen, weil es so stürmisch klingelte. Tauchte etwa ihr Internet-Ganove wieder auf? Jetzt war sie allein und musste sehr stark sein. Das war leichter, als wieder einen Mann in ihr Leben und Herz zu lassen! Todesmutig drückte sie auf den Türöffner.
»Stefan …!« Es klang wie ein Jubel der Erleichterung, den sie ihm entgegenrief, als er die Treppe hochstürmte. Und er lächelte sogar und hielt eine einzelne rote Rose in der Hand. Das konnte doch nur bedeuten, dass Reserl außer Lebensgefahr war!
»Wie geht es ihr?«
»So weit ganz gut!«, entgegnete er außer Atem. »Sie schläft. Morgen besuchen wir sie wieder. In vier Tagen ist sie zu Haus.« Er sprach ganz schnell und hielt ihr die Rose direkt vor ihre blasse Nase. »Eine einzelne Rose zu verschenken, ist romantisch, kann aber auch kitschig