Sophienlust Staffel 8 – Familienroman. Diverse Autoren
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»Wann fährst du zurück?« fragte Guido im Laufe des Tages.
»Ich bleibe bis morgen nachmittag. Ich werde den Zug am Spätnachmittag nehmen. Dann bin ich um Mitternacht in Frankfurt. Von dort habe ich dann noch Anschluß nach Maibach. Es ist dir doch recht, daß ich bleibe?«
»Aber ja.« Doch seine Stimme klang dabei alles andere als erfreut. Doch Ingrid ignorierte das.
Obwohl Guido behauptet hatte, er habe kaum eine freie Minute, weil er bis zu dem Prozeß am Montagvormittag noch den Akt durcharbeiten müsse, hatte er am ersten Abend und auch am nächsten Tag massenhaft Zeit für Ingrid.
Am Samstagabend führte er sie in ein hübsches Lokal, so daß die junge Frau wieder neue Hoffnung schöpfte. Er gab sich sogar ausgesprochen liebenswürdig. In bester Laune kehrte Ingrid zusammen mit ihrem Mann gegen Mitternacht in das Haus zurück. Doch als er ihr sagte, sie solle im Fremdenzimmer schlafen, sank ihre Stimmung wieder auf den Nullpunkt zurück. Die halbe Nacht lag sie wach und wartete auf ihn. Einmal hörte sie ihn sein Zimmer verlassen. Sie hielt vor Aufregung den Atem an, denn sie sehnte sich mit jeder Fiber ihres Herzens nach ihm. Aber er ging an ihrem Zimmer vorbei, stieg die Treppe hinunter und schloß dann irgendeine Tür hinter sich.
Ingrid erhob sich, öffnete die Tür und lauschte. Sie hörte seine Stimme. Also telefonierte er. Aber mit wem? Diese Frage war allerdings nicht schwer zu beantworten. Einen Klienten rief er gewiß nicht mitten in der Nacht an. Also konnte es sich nur um eine Frau handeln. Somit bestätigte sich die Vermutung, die sie nicht hatte wahrhaben wollen.
Ingrid legte sich wieder nieder. Aber sie konnte jetzt nicht warm werden. Kälteschauer rannen ihr über den Rücken, und ihre Füße waren eiskalt. War das nun das Ende ihrer Ehe, ihrer großen Liebe? Wie erstarrt lag sie im Dunkeln da und grübelte. Doch dann sah sie einen Lichtblick am Horizont auftauchen. Aber ja, Guido hatte bestimmt mit dem Klienten telefoniert, den er am Montag in dem Strafprozeß verteidigte. Jetzt saß er wahrscheinlich über den Akten, um sich für den Prozeß vorzubereiten. Anders konnte es gar nicht sein, redete sie sich ein und streckte sich entspannt aus. Kurz darauf war sie eingeschlafen.
Beim Frühstück erwähnte Ingrid das nächtliche Telefongespräch mit keinem Wort. Guido durfte auf keinen Fall den Eindruck gewinnen, daß sie ihm nachspionierte.
Aber die Harmonie, die am Abend zuvor zwischen ihnen geherrscht hatte, stellte sich nicht wieder ein. Guido war auffallend nervös und so leicht reizbar, daß Ingrid alles tat, um ihn nicht noch mehr in Harnisch zu bringen.
»Begleitest du mich zum Bahnhof?« fragte sie nach dem Mittagessen, das sie aus den vorhandenen Konservendosen zubereitet hatte.
»Wie stellst du dir das eigentlich vor!« fuhr er sie unbeherrscht an. »Ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf vor Arbeit steht, und du verlangst von mir, daß ich dich zum Bahnhof bringe!«
»Ist ja schon gut.« Zornig blitzte sie ihn an. Dabei schossen ihr heiße Tränen in die Augen. »Ich nehme mir ein Taxi!«
»Tu das. Aber du kannst auch mit der Straßenbahn direkt bis zum Hauptbahnhof fahren«, erklärte er.
»Also gut, dann nehme ich die Straßenbahn«, erwiderte sie leise.
»Ich muß mich jetzt an die Arbeit setzen«, erklärte er ungeduldig.
»Ich gehe am besten gleich.« Ingrid wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln fort. Sie wußte, daß Guido weinende Frauen nicht ausstehen konnte. Später, wenn sie allein war, würde sie genügend Zeit haben, sich ihrem Kummer zu überlassen, dachte sie bitter.
Doch es sollte noch schlimmer für sie kommen.
Ingrid zog den Mantel an und verabschiedete sich von ihrem Mann, der sich daraufhin sogleich in das Arbeitszimmer zurückzog. Er nahm sich nicht einmal die Zeit, sie zur Haustür zu bringen.
Schon wollte Ingrid die Tür hinter sich ins Schloß ziehen, da fiel ihr plötzlich ein, daß sie ihren Wecker vergessen hatte.
Guido noch einmal zu stören, das wagte sie nicht. So leise wie möglich lief sie die Treppe zum ersten Stock hinauf. Wenige Minuten später war sie wieder unten. Gerade wollte sie das Haus verlassen, da sah sie durch die Glasscheibe der Haustür ein Mädchen auf sich zukommen.
Also doch, schoß es Ingrid durch den Kopf. Schnell versteckte sie sich hinter der Portiere, als sie hörte, daß die Tür von außen aufgeschlossen wurde. Das Mädchen besaß also einen Hausschlüssel. Ganz elend wurde ihr vor Kummer und Enttäuschung bei diesem Gedanken.
Das Mädchen ging so dicht an der Portiere vorbei, daß Ingrid dessen aufdringliches Parfüm einatmete. »Hallo, Guido!« rief es fröhlich. »Wo steckst du nur?«
Ingrid hielt den Atem an, aus Angst, daß man sie entdeckte. Im Augenblick war sie einfach nicht fähig, ihren Mann zur Rede zu stellen.
Nun hörte sie Guidos Stimme. »Pia!« rief er aufgebracht. »Ich habe dich doch am Telefon ausdrücklich gebeten, auf meinen Anruf zu warten. Bist du niemandem begegnet?«
»Nein, Guido, keiner Menschenseele. Bekomme ich denn keinen Kuß?« fragte das Mädchen schmeichelnd.
Ingrids Herz schlug so laut, daß sie sicher war, die beiden müßten es hören, als sie sich küßten.
Dann vernahm Ingrid wieder die Stimme dieser Pia. »Ich habe mich so nach dir gesehnt«, sagte sie zärtlich.
»Ich auch, Pia. Fast wäre es schiefgegangen«, fügte Guido hinzu. »Meine Frau hat erst vor wenigen Minuten das Haus verlassen. Merkwürdig, daß du ihr nicht begegnet bist. Na ja, wir haben halt Glück gehabt.«
»Selbst wenn sie mich gesehen hätte, wäre es auch gleichgültig. Du willst dich doch sowieso von ihr scheiden lassen.«
»Darüber sprechen wir noch später«, wich er einer verbindlichen Antwort aus. »Komm ins Zimmer, Pia. Ich sehne mich nach dir.«
»Ich auch.« Sie lachte hellauf.
Ingrid hörte nun das Schließen der Tür. Sie war wie erstarrt. Sie stellte sich vor, wie Guido reagieren würde, wenn sie ihn und seine Geliebte in flagranti erwischen würde. Aber es widerstrebte ihr ganz einfach, als Rachegöttin aufzutreten. Viele Ehemänner hatten ein Techtelmechtel, wenn sie von ihrer Familie getrennt leben mußten. Guido war ihr Mann und der Vater ihrer Kinder! Nur das durfte ausschlaggebend für sie sein. Bevor sie etwas unternahm, mußte sie erst ruhiger werden.
Ingrid verließ ihr Versteck mit zitternden Knien. Lautlos öffnete sie die Haustür und jagte dann den Weg zum Gartentor entlang, als ob tausend Furien hinter ihr her wären. Sie hoffte sehr, daß man sie nicht gesehen hatte, winkte einem gerade vorbeifahrenden Taxi zu und sank schwer auf den hinteren Sitz. Ein Tränenstrom stieg in ihr hoch und ließ sich nicht mehr zurückdrängen. Unaufhörlich flossen ihr die Tränen übers Gesicht.
Später dann, als sie im Zug saß, der langsam aus der Bahnhofshalle rollte, war sie innerlich wie erstarrt. Alles, was sie tat, geschah wie unter Zwang. Ihre Bewegungen hatten etwas Hölzernes. Auch auf dem Frankfurter Bahnhof fiel diese Starre nicht von ihr ab.
In letzter Minute