Die erste Umsegelung Asiens und Europas. Adolf Erik Nordenskiold
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Da Nordenskiöld durch seine enge Beziehung zur Geschichte und aufgrund seiner umfangreichen Sammlung historischer Reisebeschreibungen immer wieder historische Rückblicke auf die Erforschung der von ihm bereisten Regionen einflocht, bot sich hier noch am ehesten die Möglichkeit zur Kürzung. Die Geschichte der Nord-Ost-Passage wurde stattdessen in einer kurzen Zusammenfassung in die Einleitung übernommen. Auch die zahlreichen naturwissenschaftlichen Ausführungen, insbesondere über Flora, Fauna und Geologie, erfuhren eine Kürzung. Die Schreibweise der Namen wurde, soweit möglich, aktualisiert, die uns manchmal etwas »verschnörkelt« klingende Ausdrucksweise jedoch unter Beachtung zeitgemäßer Rechtschreibregeln beibehalten, um dem Werk nicht seine Authentizität zu nehmen. Die in eckige Klammern gesetzten Anmerkungen bzw. Ortsnamen in moderner Schreibweise sind vom Herausgeber eingefügt, eventuell unklare Begriffe sind in einem Glossar am Ende des Buches erläutert.
Hans-Joachim Aubert
AUFBRUCH INS UNBEKANNTE
Am 21. Juli war die ganze Ausrüstung der Vega an Bord, ihre Mannschaft vollzählig und alles zur Abfahrt bereit, und an demselben Tage um 2 Uhr 15 Min. nachmittags lichteten wir den Anker und traten unter lebhaften Hurrarufen einer zahlreichen am Strand versammelten Volksmenge in vollem Ernst unsere Eismeerfahrt an.
Nachdem wir Tromsö verlassen hatten, steuerten wir anfangs innerhalb der Schären nach der Insel Masö, in deren Hafen die Vega einen Aufenthalt von einigen Stunden nehmen sollte, um Briefe auf dem dortigen Postbüro, wahrscheinlich der nördlichsten Poststation der Welt, abzugeben. Während dieser Zeit erhob sich aber ein so heftiger Nordwestwind, dass wir drei Tage lang dort aufgehalten wurden.
Masö ist eine kleine, unter 71° nördl. Br., nur zweiunddreißig Kilometer südwestlich vom Nordkap, in einer fischreichen Gegend etwa in der Mitte zwischen dem Bred- und dem Magerö-Sund gelegene Felseninsel. An der östlichen Küste der Insel liegt zwischen den Felsen eine kleine Bucht, welche einen wohlgeschützten Hafen bildet. Fischfang und Hafen haben dem kleinen Ort auf dieser Insel eine gewisse Bedeutung gegeben und ihn zu einem der höchsten Außenposten nach dem Norden hin gemacht. Hier, in einer Entfernung von nur wenigen Kilometern von der Nordspitze Europas, gibt es außer zahlreichen Fischerhütten auch eine Kirche, einen Handelsladen, ein Postbüro, ein Krankenhaus usw., und ich brauche wenigstens für diejenigen, welche das nördlichste Norwegen bereist haben, wohl kaum hinzuzufügen, dass man hier auch verschiedene gastfreundliche Familien findet, in deren Kreis wir manche Stunde unseres unfreiwilligen Aufenthalts in dieser Gegend recht angenehm verplaudert haben. Die Einwohner des Ortes leben natürlich nur von Fischfang, da jeder Ackerbau hier unmöglich ist. Zwar haben Kartoffeln manchmal eine reichliche Ernte auf der nahegelegenen Insel Ingö gegeben, indessen misslingt ihr Anbau meistens infolge der Kürze des dortigen Sommers. Von wilden Beeren trifft man Preiselbeeren, jedoch nur in so geringer Menge, dass man nur selten ein oder zwei Liter einsammeln kann; Heidelbeeren kommen etwas reichlicher vor, und die norwegische Multbeere (eine kriechende Himbeerart), die Traube des Nordens, findet sich sogar außerordentlich reichlich.
In der Nachbarschaft des Nordkaps erstreckt sich der Wald jetzt nicht mehr bis an die Küste des Eismeers selbst, aber an geschützten, eine kurze Strecke innerhalb des Meeresbandes gelegenen Stellen trifft man schon vier bis fünf Meter hohe Birken.
Das Klima von Masö zeichnet sich nicht durch besonders strenge Winterkälte aus, aber die Luft ist beinahe das ganze Jahr hindurch rau und feucht. Die Gegend soll jedoch ganz gesund sein, bis auf den Umstand, dass der Skorbut, besonders während feuchter Winter, die ganze Bevölkerung heimsucht, sowohl die Gebildeten wie die Ungebildeten, die Reichen wie die Armen und alte Leute wie Kinder. Nach Angaben einer im Orte wohnenden Frau wird sehr schwerer Skorbut mittels eingemachter Multbeeren mit Rum geheilt. Ich führe diese Art der Anwendung der Multbeeren, dieses alten, wohlbekannten Heilmittels gegen den Skorbut, hier deshalb an, weil ich überzeugt bin, dass diejenigen zukünftigen Polarexpeditionen, welche hieraus eine Lehre ziehen wollen, finden werden, dass dieses Mittel wesentlich zur Gesundheit und zum Wohlbefinden aller Leute an Bord beiträgt.
Zu dem Plan dieses Werkes gehört es ebenfalls, allmählich, je nachdem, wie die Vega vorwärtskommt, einen kurz gefassten Bericht über die Fahrten derjenigen Männer zu geben, welche den Weg, den dieselbe betritt, zuerst eröffnet und demnach in ihrer Weise zur Vorbereitung der Fahrt beigetragen haben, durch welche die Umseglung Asiens und Europas endlich vollbracht worden ist. In dieser Beziehung ist es meine Pflicht, zunächst über die Entdeckungsreise zu berichten, während welcher die Nordspitze Europas zum ersten Mal umsegelt wurde, und zwar besonders deshalb, weil der Bericht über diese Reise außerdem noch dadurch großes Interesse erweckt, dass er viele merkwürdige Aufklärungen über die frühen Bevölkerungsverhältnisse des nördlichen Skandinavien enthält.
Diese Reise wurde vor ungefähr einem Jahrtausend von einem Norweger Othere aus Halogaland oder Helgeland (die zwischen 65° und 66° liegende Küstenstrecke Norwegens) ausgeführt. Derselbe scheint weite Reisen gemacht zu haben, und auf seinen Irrfahrten kam er auch an den Hof des berühmten englischen Königs Alfred der Große. Diesem König gab er eine in einfachen, klaren Worten abgefasste Schilderung seiner Seereise, welche er von seiner Heimat aus nach Norden und Osten hin unternommen hatte.
Aus Otheres Bericht geht hervor, dass er eine wirkliche Entdeckungsreise unternommen hatte, um die nach Nordost gelegenen unbekannten Länder und Meere kennenzulernen. Diese Fahrt wurde deshalb auch besonders erfolgreich, weil während derselben der nördliche Teil Europas zum ersten Mal umsegelt wurde. Ebenso dürfte es keinem Zweifel unterworfen sein, dass Othere während dieser Fahrten bis an die Mündung der Dwina oder wenigsten des Mesenflusses vorgedrungen war. Die Erzählung lehrt uns auch, dass das nördlichste Skandinavien, wenn auch dünn, dennoch von Lappländern bewohnt war, welche ein Leben führten, das sich nicht besonders von der Lebensart unterschied, welche sie noch jetzt an der Küste führen.
BEI DEN LAPPEN VON CHABAROWA
Die Vega wurde durch anhaltenden Gegenwind, Regen, Nebel und außerdem durch schweren Seegang bis zum 25. Juli abends bei Masö aufgehalten. Trotz des fortdauernd sehr ungünstigen Wetters lichteten wir dann, ungeduldig weiterzukommen, die Anker und dampften durch den Magerö-Sund in die See hinaus. Gleichzeitig lichtete auch die Lena ihre Anker, da sie Befehl erhalten hatte, der Vega, soweit möglich, zu folgen und für den Fall, dass eine Trennung von uns unvermeidlich werden sollte, ihren Kurs nach Chabarowa in Jugor-Schar, d. h. nach der Stelle zu nehmen, welche ich als Sammelplatz für die vier Fahrzeuge der Expedition bestimmt hatte. Schon in der ersten Nacht verloren wir bei dem schweren Nebel die Lena aus den Augen und sahen sie erst am Sammelplatz wieder.
Der Kurs der Vega wurde nach dem südlichen Gänsekap abgesetzt. Obgleich ich mich schon in Tromsö dafür bestimmt hatte, in das Karische Meer durch die südlichste der dahin führenden Straßen, Jugor-Schar, einzulaufen, so wurde doch der Kurs so nördlich gelegt, weil die Erfahrung gezeigt hatte, dass zu Anfang des Sommers soviel Eis in der Bucht zwischen der Westküste, der Waigatsch-Insel und dem Festland hin- und hertreibt, dass das Segeln in diesen Fahrwassern bedeutend erschwert ist. Diese Schwierigkeiten aber vermeidet man, wenn man ungefähr bei Gänseland Nowaja Semlja anläuft und dort dem westlichen Ufer dieser Insel und der