Die erste Umsegelung Asiens und Europas. Adolf Erik Nordenskiold
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Die Überfahrt von Norwegen nach Gänseland wurde anfangs von gutem Wind begünstigt, welcher jedoch, als wir uns Nowaja Semlja näherten, schwächer und spärlicher wurde. Dessen ungeachtet ging die Fahrt mithilfe des Dampfes schnell und ohne andere Abenteuer vonstatten, als dass das starke Rollen des Schiffs ein Durcheinanderschütteln verschiedener Instrumente und Bücherkisten zur Folge hatte, glücklicherweise ohne irgendwelchen erheblichen Schaden.
Am 28. Juli, um 10 Uhr 30 Min. nachmittags, bekamen wir Land in Sicht. Dies war die Landspitze, welche sich im Süden von Gänseland unter 70° 33' nördl. Br. und 51° 54' östl. L. von Greenwich in die See hinausschiebt. Das Gänseland ist eine niedrige, von Grasflächen und unzähligen kleinen Seen bedeckte Küstenstrecke, welche von dem Hauptland Nowaja Semljas hervorspringt. Der Name ist eine Übersetzung der russischen Benennung Gusinnaja Semlja und ist entsprungen aus der Menge von Gänsen und Schwänen, welche in dieser Gegend nisten.
Obgleich das Gänseland, von fern gesehen, ganz eben und niedrig zu sein scheint, hebt es sich doch von der Küste in das Land hinein langsam und wellenförmig zu einer mit unzähligen, seichten Seen überstreuten Grasebene von etwa sechzig Metern Höhe. Diese Ebene fällt beinahe überall nach dem Meer hin mit einem steilen, drei bis fünfzehn Meter hohen Absatz ab, unterhalb dessen sich im Laufe des Winters eine gewaltige Schneewehe oder ein sogenannter Schneefuß bildet, welcher erst sehr spät wieder wegschmilzt. Wirkliche Gletscher gibt es hier nicht. Auch sind keine schneebedeckten Bergspitzen vom Meer aus sichtbar, und man kann deshalb zu gewissen Zeiten des Jahres (während des ganzen Augustmonats) von Norwegen nach Nowaja Semlja segeln, dort Jagdausflüge machen und zurückkehren, ohne auch nur eine Spur von Eis oder Schnee gesehen zu haben. Dies gilt zwar nur für den niedrig gelegenen Teil der südlichen Insel, zeigt aber auf alle Fälle, wie unrichtig die allgemein geltende Vorstellung über die Naturverhältnisse Nowaja Semljas ist. Schon Ende Juni oder Anfang Juli wird der größte Teil des Gänselandes schneefrei, und kurz darauf entwickelt sich in wenigen Wochen die nordische Blumenwelt in all ihrer Farbenpracht. Trockene, günstig gelegene Stellen bedecken sich jetzt mit einem niedrigen, aber reichen, von keinem hohen Gras oder durch Gebüsche verdeckten Blumenbett. An feuchteren Stellen trifft man sogar wirkliche Grasmatten, welche, wenigstens von fern gesehen, lachenden grünen Wiesen gleichen.
Infolge des Zeitverlustes, welcher durch die Verzögerung beim Segeln längs der norwegischen Küste und durch den Aufenthalt in Masö verursacht worden war, hatten wir keine Zeit, hier zu landen, sondern setzten unsere Fahrt längs der Westküste Nowaja Semljas nach Jugor-Schar bei einem meist herrlichen, stillen Wetter fort. Das Meer war völlig eisfrei, und das Land, außer einigen in den Talsenkungen noch liegen gebliebenen Schneefeldern, war ebenfalls frei von Schnee. Hier und da sah man auch noch an den steilen Strandabsätzen einige Überreste der winterlichen Schneewehen, welche oft, da die niedrigen Luftlagen von der Sonne stärker erwärmt waren, starke Luftspiegelungen zeigten, sodass sie in der Entfernung wie gewaltige, gegen das Meer steil abfallende Gletscher aussahen. Als wir weiter nach Süden kamen, hatten wir bei klarem Wetter eine gute Aussicht über die Waigatsch-Insel. Dieselbe schien, vom Meer aus an der Westküste gesehen, eine ebene Grasfläche zu bilden, als wir uns aber Jugor-Schar näherten, sahen wir, dass sich niedrige Höhenstrecken längs der östlichen Seite der Insel hinzogen, welche wahrscheinlich die letzten Auszweigungen des nördlichen Vorsprungs vom Ural bilden.
Als wir außerhalb des Einlaufens zum Jugor-Schar waren, wurde ein Dampfboot gemeldet. Nach vielem Hin- und Herraten erkannten wir die Fraser. Ich war anfangs unruhig und fürchtete, dass ein Unglück eingetreten wäre, da sie einen Kurs dampfte, welcher ihrer Bestimmung direkt entgegen war; als aber Kapitän Nilson bald darauf an Bord kam, hörte ich, dass er nur ausgefahren war, uns zu suchen. Express und Fraser hatten seit dem 20. an dem bestimmten Sammelplatz auf uns gewartet. Sie hatten am 13. Juli Wardö verlassen und ebenso wenig wie wir irgendwelches Eis während der Überfahrt angetroffen. Die Vega und die Fraser fuhren nun gemeinsam nach dem Hafen bei Chabarowa, wo am 30. Juli abends in einer Tiefe von vierzehn Metern Anker geworfen wurde. Die Lena fehlte noch. Wir fürchteten, dass dieses kleine Dampfboot Schwierigkeiten gehabt hätte, sich in der schweren See zu halten, welche wir jenseits des Nordkaps angetroffen hatten, da selbst bei der größeren Vega eine Sturzwelle über Deck geschlagen war und eine der daselbst festgeschnürten Kisten zerbrochen hatte. Unsere Besorgnis war jedoch unbegründet; die Lena hatte ihren Konstrukteuren Ehre gemacht und sich in dem Seegang gut gehalten. Die Ursache der Verzögerung war eine Kompassabweichung, welche in diesen nördlichen Breitengraden größer gewesen war als die, welche aus den Untersuchungen gewonnen war, die man vor der Abreise zu diesem Zweck angestellt hatte. Am 31. Juli warf die Lena neben den anderen Fahrzeugen Anker, und so war denn unsere ganze kleine Eismeerflotte an dem bestimmten Sammelplatz vereinigt.
Die Kirche in Chabarowa
Chabarowa ist ein kleines Dorf, welches auf dem Festland südlich von Jugor-Schar und westlich von der Mündung eines kleineren, zu gewissen Zeiten sehr fischreichen Flusses gelegen ist. Im Sommer wird der Ort von einer Menge Samojeden [Lappen], welche ihre Rentierherden auf der Waigatsch-Insel und auf den umliegenden Tundren weiden lassen, sowie von einigen Russen oder russifizierten Finnen bewohnt, welche von Pustosersk hierher kommen, um Tauschhandel mit den Samojeden zu treiben und mithilfe derselben zu jagen und in dem umliegenden Meer zu fischen. Im Winter treiben die Samojeden ihre Herden nach südlichen Gegenden, und die Handelsleute führen ihre Waren nach Pustosersk, Mesen, Archangelsk und anderen Orten. So ist es wahrscheinlich seit Jahrhunderten zugegangen, doch sind die festen Wohnstätten erst in neuerer Zeit aufgeführt worden. Dieselben werden nämlich in der Beschreibung über die Reisen der Holländer in diesen Gegenden nicht erwähnt.
Jetzt besteht das Dorf, oder die »Samojedenstadt«, wie es die Fangmänner stattlich benennen, gleich anderen großen Städten aus zwei Stadtteilen, dem Stadtteil der Vornehmen – einigen aus Holz erbauten und mit flachem Torfdach versehenen Hütten – und dem Volksquartier, einem Haufen schmutziger Samojedenzelte. Außerdem gibt es auch noch eine kleine Kirche im Ort, bei welcher, gleich wie an mehreren Stellen des Strands, Votivkreuze aufgestellt sind. Die Kirche ist ein Holzhaus, welches durch eine Zwischenwand in zwei Abteilungen geteilt ist, von denen die innere, die eigentliche Kirche, nur wenig über zweieinhalb Meter hoch und ungefähr fünf Meter im Quadrat ist. An der östlichen Wand befinden sich während der Zeit, wo die Gegend bewohnt ist, eine Menge von Heiligenbildern, die von den Fangmännern bei Gelegenheit aufgestellt werden. Vor den Bildern hingen große verbogene alte Kupferlampen oder vielmehr Lichthalter, welche umgewendeten, an drei Ketten aufgehängten byzantinischen Kuppeln glichen. Dieselben waren mit vielen dünnen und auch einigen dicken Talglichten vollgesteckt, welche bei unserem Besuch angezündet wurden. Gleich oberhalb der Stelle, wo wir landeten, standen zahlreiche Schlitten, mit Waren beladen, welche die russischen Handelsleute hier eingetauscht hatten und die im nächsten Herbst nach Pustosersk abgehen sollten. Die Waren bestanden hauptsächlich aus Tran sowie aus Fellen von Eisfüchsen, gewöhnlichen Füchsen, weißen Bären, Wölfen, Vielfraßen, Rentieren und Seehunden. Die Bärenfelle hatten oft einen sehr dichten, weißen Winterpelz, waren aber dadurch verdorben, dass der Kopf und die Tatzen abgeschnitten worden waren. Außerdem sah ich unter ihren Vorräten Walrosszähne und Stricke aus Walrosshäuten. Bemerkenswert ist, dass die gleichen Waren schon in Otheres Bericht erwähnt werden.
Ich besuchte den Ort zum ersten Mal Anfang August 1875. Man feierte eben einen russischen Feiertag, und wir konnten schon von fern zahlreiche Gruppen von Russen und Samojeden am Strand stehen sehen. Als wir näher kamen, fanden wir sie mit verschiedenen Arten von Spielen beschäftigt, und obgleich es für sie wohl seit Menschengedenken das erste Mal war, dass europäische Herren ihre Stadt besuchten, ließen sie sich kaum mehr in ihrem Vorhaben stören, als wenn einige fremde Samojeden sich plötzlich in ihre Reihen gemischt hätten. Einige standen in einem Kreis und warfen abwechselnd ein Stück Eisen auf die Erde, das ungefähr wie eine kurze Rahe geformt war,