Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band) - Peter  Rosegger

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oder von Wölfen vertilgt werden

      Als jedoch der Baumhackel eben die Schlinge zog, fuhr der Stom wie ein gereizter Tiger auf, erfaßte den Faun und knirschte zornglühend: »Jetzt, mein feines Baumhacklein, jetzt ist der Teufel um Dich da.«

      Der kleine Gauch zitterte wie das Wildkraut daneben und flehte mit gerungenen Händen um Barmherzigkeit.

      »Du hast mich lange genug geneckt,« sagte der Stom, »hast wie ein Wiesel nach mir gebissen und wie eine Natter nach mir gestochen. Sei doch vernünftig und ächze nicht, keinen Zahn breche ich Dir aus, nicht einmal blenden will ich Dich. Ich beweise Dir, daß der Stom sich vor dem Baumhackel nicht fürchtet, aber merken will ich Dich, daß ich Dich um so leichter erkenne, wenn wir uns wiedersehen. Komm nur her da, es geschieht dir weiter nichts.«

      Er hob den zappelnden Knirps, setzte ihn zwischen seine Knie, wo er den Hals wie mit einer Zange einklemmte. Der Baumhackel starrte stumm drein, er konnte sich nicht denken, was hier geschehen sollte; als er aber sah, wie der Stom das Messer aus dem Sacke zog –

      Nein, das malt sich nicht aus. Es sei nur erzählt, wie der Stom noch sagte: »Ein ärmerer Wicht, als Du bist, ist mir noch nicht vorgekommen. Und ein so königliches Geschenk habe ich noch Keinem gemacht, als ich Dir jetzt mache. Dir schenke ich das Leben. Aber Deine Ohren sind mir zu lang.«

      Seit diesem Tage lief der Faun mit gestutzten Ohren umher, und so sehen wir ihn auch jetzt der Trach entlang rennen, fliehend vor der Seuche. Dem Hause des voreinstigen Waldhüters eilte er zu. Bei seinem Bruder hoffte er den Hunger zu stillen und Rast zu finden. Als er die Thür öffnete, sah er, das Haus war leer und auf der finsteren Erde lag sein Bruder. Er floh entsetzt über die Au. Auf der Au sah er seinen Feind, den Stom, dahergehen, er wich ihm aus, huschte ins nahe Dickicht. Der Stom schien auch erschöpft zu sein, er wankte auf seinen gewundenen Stock gestützt dem Hause des Waldhüters zu und trat in dasselbe. Das sah der kleine Baumhackel und jetzt fiel es ihm ein, er könne seine drei Jahre und seine zwei Ohren rächen. Mit Hast lief er durch das Gebüsch dem Hause zu, schlug die nach innen offene Thür in die Klinke und zog durch das an der Thür als Handhabe befestigte Holzband eine Stange. Der Ausgang war verschlossen.

      Wiehernd vor Befriedigung lief der Baumhackel davon, während von innen des Hauses bald die Stimme der Verzweiflung erscholl und ein Gepolter anhub, das erst nach Stunden ein Ende nahm.

      Der Stom wurde nicht mehr gesehen.

      Der kleine Baumhackel irrte zwischen Todten und Lebendigen um und endlich trieb ihn die Noth, die immer schwerer auf ihm lastete, zum Gebete. »Wenn auch,« so dachte er, »Trawies verdammt ist, ich kann nicht mit gemeint sein. Ich habe es niemals mit den Trawiesern gehalten, ich bin zuerst gar kein Trawieser, denn mein Vater ist von den Sanköfen herüber gekommen. Umgebracht habe ich auch Niemand; in meinem Leben, Gottlob, habe ich keinen Menschen umgebracht. Meine Seele habe ich dem Teufel nicht verschrieben, und die drei Jahre, die des Teufels gewesen, sind vorbei. So stehe ich gut mit meinem himmlischen Vater. Wenn man nur in die Kirche könnte, ich möchte beten.«

      Aber die Kirche von Trawies war vermauert und vernagelt. Die Fensterstäbe waren verwittert und an ihnen hinan stieg der rothe Holler; an der Wand hatte sich die Tünche losgeschält, und das Mauerwerk prickelte allmählich nieder. Das Dach war mit grünen Flechten überzogen, dort und da brachen die morschen Bretter ein. In den Ritzen und Spalten des Thurmdaches keimte Gras und allerlei Gezweige. Um den Bau war eine Wildniß von Schutt, Nesseln und Sträuchern, in welchen an warmen Sommertagen Nattern huschten.

      In dem Haupte des kleinen Baumhackels war es so dumpf geworden, daß er kaum mehr wußte, was er that. Verachtet selbst von den Verächtlichen, wie ein räudiger Hund davongejagt, wo er um Unterkunft bat, kroch er jetzt den Berg zur Kirche hinan. An der einst geweihten Mauer fürchtete er sich nicht mehr vor dem Teufel, nur noch vor Einem, vor dem Stom. Wohl wußte er, der Stom war gefangen bei einem der plötzlich Verstorbenen; aber er fürchtete sich doch noch. Und als er die Mauer hinankletterte, um durch das Fenster in die Kirche zu steigen, war ihm, als klammere sich der Stom an seinen Fuß. –

      Und zu jener Zeit der maßlosen Noth war es, daß die Trawieser Leute hinaufstiegen zur Wildwiesen, wo vor Zeiten das Sonnenwendfest begangen worden war.

      Nicht zu Rath und Schutz kamen sie zusammen, denn sie waren rathlos und muthlos ganz und gar. Und in Keinem, wie sie da hinaufstiegen, Mann und Weib, Jung und Alt, in Keinem fand sich die Ruhe der Ergebung. In Aller Herzen zitterte die Noth des Lebens und die Angst vor dem Sterben.

      Da hieß es, auf den Höhen sei die Luft gesünder. Unweit des Wasserfalls, hart am Felsen zündeten sie ein großes Feuer an, um das sie sich in einem weiten Halbkreis drängten. Einer wollte dem Anderen ausweichen und doch zog die Furcht vor dem Ungeheuerlichen, die Sehnsucht nach Freunden und Helfern Einen zum Anderen hin. Sprach Einer, so verhielt sich der Andere den Mund, oder kaute an einer Enzianwurzel. Wo irgend noch eine Mutter war, sie küßte ihr Kind nicht mehr. Vor dem grauen Hauche, der in kühler Luft aus dem athmenden Munde des Menschen geht, flohen sie. Und doch zog sich der Kreis eng und enger um das knisternde Feuer, denn das Feuer war die einzige Medicin. Wäre es möglich gewesen, sie hätten die Flammen getrunken. Als es in den Abend hineinging und die Felswand zu leuchten begann hinter dem Feuer, saßen und kauerten sie noch immer da, wie eine geängstigte, vom Wolf müdegehetzte Schafherde sich zusammendrängt. Die Meisten wußten auch nicht, wohin sie gehen sollten, sie waren heimatlos, ihr häuslicher Herd hatte kein Dach, er stand zwischen dem grauen Gestein des Trasankthales oder unter verwitterten Schirmtannen.

      Jetzt schlich ein Weib herbei, so abgehärmt wie alle Anderen, aber in den Augen eine leuchtende Freude. Sie erzählte, daß sie unten am Hang Biberellwurzeln gesucht habe, und dabei wäre plötzlich so ein seltsames Klingen gewesen in der Luft, und sie hätte aufgehorcht und hätte das Läuten der Trawieser Kirchenglocken gehört.

      Das Läuten der Trawieser Kirchenglocken? Da fuhren sie auf und stoben über die Höhe hin bis zum Rande, von dem man in das Thal sieht. Aber sie hörten nichts, als das Rauschen der Trach. Es war ja auch nicht möglich und so mußte das Weib wohl zugeben, daß es sich getäuscht habe.

      Etliche waren dabei, die murrten, daß es hier noch Leute gäbe, welche sich von einer Kirchenglocke aufschrecken ließen. Andere freilich und vielleicht die Meisten, senkten ihr Haupt und gedachten jener Zeit, in welcher der Schmerz und die Freude des Menschen vom Thurme gegen Himmel tönte. O glückselig jene Tage, da die Kirche ihre Kinder mit süßem, trostreichem Klange in den ewigen Schlaf sang! Es war ein betrübtes Lebewohl dieser Welt, und es war ein froher Willkommsgruß vom Himmel herab.

      Und jetzt, wie gräßlich ist das Sterben, wenn die Erde keinen Trost hat und die Ewigkeit keine Hoffnung! Ein kräftiger Mann, der wildesten einer unter den Waldleuten, streckte jetzt seine Arme aus gegen den funkelnden Sternenhimmel und schrie wild wie ein Ungeheuer auf der See: »Verlassen hast uns, verlassen, Du fürchterlicher Gott!«

      Allmählich versammelten sie sich wieder um das Feuer und brüteten hin und murmelten Flüche und Gebete, und manchmal zuckte Einer auf, als hätte die kalte Hand eines Unsichtbaren seine Achsel berührt. Sie starrten in das Feuer, das stets neu genährt und geschürt wurde und das in Funkengarben und breiten Bändern auflohte. Der glühende Rauch wölbte sich wie ein Dach um die Heimatlosen, wie ein Dom um die Gläubigen. Sie starrten in das Feuer, als wollten sie dahinein all ihren Jammer vergraben, als wollten sie, wie jener büßende Räuberhauptmann, ihre Herzen darinnen verbrennen, daß die Seele als weiße Taube auffliege gehen Himmel.

      Was ist das, dort in der Gluth? Es steigt wie aus den Flammen auf? – Die es zuerst sahen, schraken stöhnend zurück und bedeckten ihr Angesicht. Hinter dem sprühenden Feuer erhob sich, als wüchse sie aus demselben hervor, eine menschliche Gestalt, glühend im Scheine der Flammen. Auf dem Felsen stand sie – es war Wahnfred.

      Finster

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