Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger
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»Wir bleiben im Wald!« riefen jetzt mehrere Stimmen.
»Was wollt Ihr im Walde?« fragte sie Wahnfred und stieg vom Felsen nieder.
»Bleib’ oben und rede noch von Gott!« baten Einige.
»Ihr wollt’ die Stimme des Predigers wieder hören, die altbekannten, angewohnten und lange entbehrten Töne. Ich aber sage Euch, Gott ist nicht im Worte. Gott ist im Werke, und zu diesem will ich Euch führen.«
»So gehst Du mit uns?«
»Nicht ich mit Euch, Trawieser Leute, jedoch Ihr mit mir. Wehe aber,« rief Wahnfred mit gewaltiger Stimme und aus seinen finsteren Augen schoß es wie Blitzesstrahlen, so daß auch die wildesten Gesellen davor mit den Wimpern zuckten, »wehe Dem, der mir entgegen! Mit mir ist der Allmächtige. – – Steht auf, zündet die Fackeln an. Wir gehen an’s Werk.«
Und nun lautet der Bericht, daß Wahnfred die Versammlung in das Thal geführt und dort versucht habe, Ordnung, Arbeitsamkeit und Gemeinsinn zu stiften und zu fördern.
Durch seiner Worte Macht, durch die phantastischen Bilder seiner Rede, durch die Verheißungen und Drohungen, womit er auf die krankhaft erregten Seelen wirkte, gelang es ihm, daß die Todten begraben und die Sterbestädten vernichtet wurden. Er selbst war voran und scheute sich nicht, den Erkrankenden zu nahen, den Sterbenden mit Labniß und Trost beizustehen. Er war ruhelos Tag und Nacht, war Jedem Freund, Arzt und Priester – und blieb am Leben.
Für die Verstorbenen hielt Wahnfred im Walde Todtengottestdienste, indem er große Opferfeuer entzünden und an denselben alte Bußlieder singen ließ. Das vermehrte die Wehmuth des Sterbens, aber milderte die Schrecken.
Allmählich wurde die Seuche zahmer, seltener wurden die Sterbefälle, mancher Anfall ging in gewöhnlichere Krankheiten über, forderte mitunter auch noch in solchen sein Opfer, verlief aber häufiger günstig. Endlich verlosch das böse Sterben ganz.
Unter den während der Seuche Verschwundenen war auch der kleine Baumhackel. Erst in späterer Zeit, als man die alte, verfallene Kirche wieder betreten konnte, fand man am Glockenstrick ein menschliches Skelet hängen, welches für den Überrest des Fauns von Trawies gehalten wurde. –
Im Thale war es nach dem Verlöschen der Seuche ruhiger geworden, aber nur scheinbar; über die Grenze kamen immer wieder arge Geschichten. Draußen hatten sie noch lange nicht verziehen und jede Pause, die der Weltunfrieden gab, weckte von neuem den Trotz und den Haß gegen die verbannten Rotten im Walde, die freilich diesen Haß stets von neuem rechtfertigten. Wieder – und zum letztenmale – versuchte Wahnfred eine Anbahnung des Friedens.
Wie er daran denken könne! warfen ihm die Trawieser vor, ob er nicht wisse, daß die fremden Ketzer seine Lehre mitsammt dem Propheten und der Gemeinde austilgen würden? Jetzt an seiner Seite stünden sie auf festem Boden und hätten wieder einen Himmel über sich und einen vor sich – jetzt zum Kreuze kriechen? Weniger, als jemals.
Einige fingen nun an, die Felder, die seit Langem nur mehr als Weiden für Rinder, Ziegen und Schafe gedient hatten, oder gar als Unkrautwildniß dagelegen waren, wieder zu bebauen. Aber es war keine regelmäßige Arbeit möglich, sie stritten sich um die Grenzen, um die Grundstücke endlich, sie stritten sich um die Knechte und um das Samenkorn, das ohnehin auf dunklen Wegen in die Gegend gekommen war. Es fand sich kein Gesetz, das hier Recht geboten hätte, und fand sich eins – sei es auf einem alten Blatte, sei es im Haupte eines alten Mannes – so wurde es nur von Dem beachtet, dem es Recht zusprach, von dem Anderen aber verlästert und verflucht. Wahnfred, vor dem sie Achtung und eine innere Scheu hatten, war nicht immer und überall zugegen, und so entschied schließlich stets das älteste Gesetzbuch – die Faust.
Trotzdem hingen sie mit Wärme, sogar mit Leidenschaft an dem neuen Glauben vom Feuergott. Das Bedürfniß des Volkes nach religiösen Formen ist ja so groß und war zu einer Zeit, da alles Ideale fast nur im Gottescult bestand, noch viel größer als später, da die Köpfe und Sinne mit anderen Aufgaben beschäftigt wurden. Der religiöse Cultus hing damals eng zusammen mit allerlei Aberglauben, ja selbst mit dem Hexenwesen. Eines trug das Andere. Beides war das tägliche Brot der armen Seelen. Menschen, die man aus der kirchlichen Gemeinschaft stieß oder die sonstwie an derselben nicht theilnehmen konnten, verkamen gar bald, fielen einer Richtung anheim, die ihr Dasein gefährdete, schon darum, weil sie dem Scheiterhaufen zustrebte. Die keinen Gott hatten, ergaben sich dem Teufel.
Wie Wenigen gelang es, auf Grund alter Schriften, die zufällig in ihre Hände fielen, sich ein eigenes System aufzurichten, das im Einklange mit ihrem Wesen war, dem sie heimlich nachleben konnten und das sie erbaute. Aber selbst mit Solchen nahm es oft ein eigenthümliches Ende.
Wahnfred hatte in den Leuten von Trawies die volle Religionsleidenschaft zu wecken gewußt, die nun um so heftiger hervorbrach, je länger sie unbefriedigt geblieben war. Sie schwärmten jetzt für alles was leuchtete, von der Sonne herab bis zum Johanneswürmchen. Nun wußten sie, warum das Feuer so wohlthätig und fürchterlich war. Dem Feuer und der Verehrung, die für dasselbe aufgekommen war, dieser Gottesanbetung schrieben sie das Verlöschen der Seuche zu. Wie sie sonst geweihte Kreuzchen und Amulette aller Art unter ihren Kleidern mit sich getragen hatten, so gingen sie jetzt mit Lichtchen oder glimmenden Schwämmchen um. Wie sie sonst in ihren Häusern zum Gebete vor dem Hausaltar gekniet waren, so knieten sie jetzt um den Herd, schürten das Feuer und sangen. Wie sie sich sonst mit geweihtem Wasser besprengt hatten, so führten sie jetzt einen Funken gegen ihr Haupt und hielten sich für besegnet.
Etliche waren den Wahnfred angegangen, daß er an dem vom Feuerwart ihm gesandten Ahnfeuer ihre Herdflammen entzünden lasse; er hatte es verweigert. Solange sie nur einen Formgottesdienst huldigten und nicht auch ihr Leben darnach einrichteten, wären sie des heiligen Feuers nicht werth, und dasselbe sollten sie erst kennen lernen am Tage des Gerichtes, wenn die Welt zu Asche würde verbrennen.
Im waldumschatteten Hause auf dem Johannesberge glimmte fort und fort das Ämplein und Wahnfred wahrte es an geborgenster Stätte und ließ es nicht verlöschen. Er hütete es mit Angst vor Dieben. Gegen jeglichen Windhauch war es geschützt, aber eine Fliege konnte es in das Öl stoßen und dämpfen, ein Schmetterling konnte es mit seinen Flügeln ausblasen. – Sein glühendes Auge, so lange hatte es an diesem Funken getrunken, das es plötzlich auf der Welt und im Himmel nichts mehr sah als Feuer. Wie lange hatte er gegrübelt nach der Formel, um das Ungeheuer in Trawies zu beschwören! Und als er sie gefunden und ausgesprochen, war er selber in ihrem Banne. In Nebel versunken waren die Legenden und Evangelien der alten Schrift und über diesen Nebel aufgetaucht war der lodernde Flammenring; seine Seele hatte wie ein Falter die Flamme so lange umflattert, bis sie plötzlich von ihr erfaßt war ...
Und die Leute in den Thälern um Trawies, die sich zur Noth in neuen Hütten einzuleben suchten, gingen niedrigen Sinnes, frevelten an sich und Anderen und hielten dann zur Buße den Finger über die Flamme, bis sie vor Schmerz wimmerten.
Wenn die Tagen waren, daß Feld und Garten Arbeiter heischten, lagen diese auf dem Bauch um ein Feuer, das sie am Waldrande angezündet hatten, und machten sich weiters keine Sorgen. Wo Mehrere feindlich gegeneinander geriethen, da vertheidigte und schlug man sich mit Feuerbränden. Und Einen gab es dabei, der verordnete, daß, wenn er todtgeschlagen sein, man ihn nicht begraben, sondern verbrennen möge.
Das waren nicht die Schlechteren. Das ungezählte Gesindel strich und lauerte in der Gegend umher, wie vor und ehe, ihr Leben war ein Feuer