Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band. Оноре де Бальзак
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»Aber«, sagte sie, »diese Büros werden ja überhaupt nicht fertig.« Die beiden Damen stiegen nach dem Diner meist gemeinsam in das Zimmer der Madame Vauquer hinauf und hielten dort einen kleinen Klatsch, tranken Cassis und aßen Leckerbissen, die für die Herrin des Hauses reserviert waren. Madame de l'Ambermesnil billigte die Absichten ihrer Gastgeberin auf Goriot durchaus, sie seien ausgezeichnet und sie habe sie vom ersten Tage an vermutet; auch sie hielt Herrn Goriot für einen tadellosen Mann.
»Meine Liebste, er ist so gesund wie ein Fisch im Wasser«, sagte die Witwe, »ein Mann, der sich vollkommen erhalten hat und der einer Frau noch manch vergnügtes Stündchen bereiten kann.«
Die Gräfin machte in vornehmer Weise Madame Vauquer einige Bemerkungen über ihre Kleidung, die zu ihren Plänen nicht recht passe.
»Sie müssen sich kriegsmäßig ausrüsten«, meinte sie.
Nach vielem Hin- und Herreden gingen die beiden Witwen schließlich zum Palais Royal, wo sie in den Galerien einen Federhut und eine Haube kauften. Die Gräfin schleppte ihre Freundin weiter zum Kaufhaus »La Petite Jeannette«, wo man ein Kleid und einen Schal erstand. Als diese Munition nunmehr verfeuert und die Witwe kampfbereit war, glich sie vollkommen der Abbildung auf dem Schild des Wirtshauses »Boeuf à la mode«. Trotzdem fand sie sich so zu ihrem Vorteil verändert, daß sie sich der Gräfin verpflichtet glaubte, und obwohl sie nicht vom Stamme Gib war, bat sie sie, einen Hut für 20 Francs anzunehmen. Sie rechnete darauf, daß die Gräfin Herrn Goriot sondieren und sie bei ihm herausstreichen würde. Madame de l'Ambermesnil gab sich recht gern zu diesem Spiel her und belagerte den alten Nudelfabrikanten, der ihr schließlich eine Unterredung gewährte. Aber als sie fand, daß er ihren Versuchen, ihn für ihre eigene Rechnung zu verführen, tugendhaft, ja geradezu verstockt widerstand, verließ sie ihn empört über sein grobes Benehmen.
»Mein Engel«, sagte sie zu ihrer lieben Freundin, »aus diesem Mann ist nichts herauszuholen, er ist ganz lächerlich mißtrauisch, er ist ein Pfennigfuchser, ein Trampel, ein Dummkopf, der Ihnen nur Verdruß bereiten wird.«
Zwischen Herrn Goriot und Madame l'Ambermesnil waren Dinge vorgefallen, daß sich die Gräfin nicht länger mehr mit ihm unter einem Dach wissen wollte. Am nächsten Tage zog sie aus, wobei sie vergaß, ihre Rechnung für 6 Monate Pension zu bezahlen, und nur alten Plunder, den man auf 5 Francs schätzte, zurückließ. Madame Vauquer stellte verzweifelte Nachforschungen nach ihr an, aber sie konnte von der Gräfin in ganz Paris kein Lebenszeichen entdecken. Sie sprach noch oft von dieser traurigen Affäre, wobei sie sich über ihr zu großes Vertrauen beklagte – in Wirklichkeit war sie mißtrauischer als eine Katze. Aber sie hatte mit vielen Leuten den Charakterzug gemeinsam, ihrer nächsten Umgebung zu mißtrauen und sich dafür dem ersten besten auszuliefern. Diese seltsame, aber wahre moralische Tatsache hat eine Wurzel im menschlichen Herzen, die man leicht entdecken kann. Vielleicht haben manche Menschen von den Personen, mit denen sie zusammen leben, nichts mehr zu gewinnen. Nachdem sie nun die Leere ihrer Seele gezeigt haben, fühlen sie sich von ihnen insgeheim mit der verdienten Strenge verurteilt, aber da sie ein unbezwingliches Verlangen nach Schmeicheleien verspüren und gern die Eigenschaften haben möchten, die sie nicht besitzen, hoffen sie, die Achtung oder das Herz der Fremden zu gewinnen, selbst auf die Gefahr hin, dabei eines Tages hereinzufallen. Endlich gibt es sozusagen käuflich geborene Wesen, die ihren Freunden und nächsten Verwandten nichts Gutes tun, weil dies ihre Pflicht ist. Dagegen verspüren sie einen Kitzel ihrer Eigenliebe, wenn sie Unbekannten Dienste erweisen. Je näher der Kreis ihrer Beziehungen bei ihnen liegt, um so weniger lieben sie, je weiter er sich ausdehnt, um so diensteifriger sind sie. Madame Vauquer gehörte ohne Zweifel zu diesen beiden Menschenarten, die im Grunde ihres Herzens schlecht, falsch und verabscheuungswürdig sind.
»Wenn ich damals schon hier gewesen wäre«, sagte später Vautrin zu ihr, »so wäre dies Unglück nicht geschehen. Ich hätte diese Gaunerin hübsch entlarvt. Ich kenne solche Schliche.«
Wie alle engherzigen Gemüter verstand es Madame Vauquer nicht, von den Dingen Abstand zu nehmen und ihre Ursachen richtig zu beurteilen. Sie liebte es, sich für ihre eigenen Fehler an anderen schadlos zu halten. Als sie diesen Verlust erlitt, hielt sie den ehrbaren Nudelfabrikanten für die Quelle ihres Unglückes, und sie begann jetzt, wie sie sagte, sich auf seine Rechnung von ihrer zu großen Vertrauensseligkeit zu ernüchtern. Als sie die Zwecklosigkeit ihrer Liebeslockungen und ihrer Repräsentationsunkosten erkannt hatte, wußte sie bald einen Grund dafür zu finden. Sie bemerkte jetzt, daß ihr Pensionär schon immer, wie sie sich ausdrückte, so seine »Allüren« gehabt habe. Endlich wurde ihr klar, daß ihr hübsch aufgebauter Hoffnungstraum auf einer chimärischen Grundlage beruhe und daß sie nach dem kräftigen Ausdruck der sich darin offenbar auskennenden Gräfin aus diesem Mann niemals etwas herausholen würde. Wie es meist zu geschehen pflegt, ging sie in ihrer Abneigung weiter als in ihrer Freundschaft. Ihr Haß erklärte sich nicht aus gekränkter Liebe, sondern aus ihren zerstörten Hoffnungen. Wenn das menschliche Herz seine Ruhe findet, sobald es die Höhen der Zuneigung erreicht hat, so hält es selten bei dem jähen Hinabgleiten in den Abgrund des Hasses an. Aber da Goriot ihr Pensionär war, war die Witwe gezwungen, die Ausbrüche ihrer verletzten Eigenliebe zurückzuhalten, die Seufzer zu unterdrücken, die diese Enttäuschung erregte, und ihre Rachgier in sich hineinzufressen: wie ein Mönch, der von seinem Abt ungerecht gequält wird. Kleine Geister befriedigen ihre guten oder schlechten Empfindungen durch fortdauernde Kleinlichkeiten. Die Witwe verwandte ihre ganze weibliche Bosheit darauf, heimliche Quälereien gegen ihre Opfer zu erfinden. Sie begann damit, alles Überflüssige ihrer Pension einzuschränken.
»Keine Pfeffergurken und keine Anchovis mehr, das ist bloß dummes Zeug«, sagte sie zu Sylvia an dem Morgen, als sie ihren alten Küchenzettel wieder in Kraft setzte.
Herr Goriot war recht genügsam. Die Sparsamkeit, welche für Leute, die ihr Vermögen selbst erwerben wollen, notwendig ist, war bei ihm zur Gewohnheit geworden. Suppe, ein Stück Fleisch und etwas Gemüse waren immer seine Lieblingsspeisen gewesen und waren es geblieben. Es war daher für Madame Vauquer sehr schwer, ihren Pensionär zu quälen, denn er nahm mit allem vorlieb. Verzweifelt darüber, einen unverwundbaren Gegner vor sich zu haben, suchte sie ihn verächtlich zu machen. Sie übertrug ihre Abneigung gegen Herrn Goriot auf ihre Pensionäre, die zu ihrer eigenen Belustigung die Rachsucht der Witwe unterstützten. Gegen Ende des ersten Jahres war die Witwe Goriot gegenüber so mißtrauisch geworden, daß sie sich fragte, warum dieser reiche Kaufmann mit seinen 7000 bis 8000 Francs Rente, mit seinem reichen Silberschatz und mit Schmuckstücken, die einer Mätresse Ehre machen konnten, bei ihr für einen Pensionspreis wohnte, der in so gar keinem Verhältnis zu seinem Vermögen stand. Während des größten Teiles dieses ersten Jahres hatte Goriot öfter ein- oder zweimal in der Woche auswärts diniert. Allmählich aber kam es dazu, daß er nur noch zweimal monatlich auswärts aß. Diese kleinen Partien Goriots entsprachen zu sehr den Interessen der Madame Vauquer, als daß sie nicht über die zunehmende Regelmäßigkeit unzufrieden werden konnte, mit der er seine Mahlzeiten bei ihr einnahm. Diese Veränderungen schrieb man ebensosehr einer langsamen Vermögensminderung Goriots zu wie seinem Wunsch, die Wirtin zu ärgern.
Es ist eine der abscheulichsten Gewohnheiten dieser kleinen Geister, ihre eigene Kleinlichkeit auch bei anderen vorauszusetzen. Unglücklicherweise rechtfertigte Goriot dieses Gerede gegen Ende des zweiten Jahres, indem er auf die zweite Etage zog und nur noch 900 Francs Pension zahlte. Er schränkte sich so sehr ein, daß er den Winter über nicht mehr heizen ließ. Frau Vauquer wollte nun im voraus bezahlt werden. Hierauf ging Monsieur Goriot, den Madame Vauquer von nun an Vater Goriot nannte, ein. Man konnte sich die Gründe für diesen Abstieg nicht erklären. Wie die falsche Gräfin so richtig bemerkt hatte, war Vater Goriot ein Heimlichtuer und Schweiger. Nach der Logik der Leute mit leeren Köpfen, die alle redselig sind, weil sie nur Nichtigkeiten zu erzählen haben, muß es um die Leute, die nichts von ihren Geschäften erzählen, schlecht stehen. So wurde der angesehene Kaufmann zu einem Lumpen, der Lebemann zum alten Eigenbrötler. Bald war nach Ansicht Vautrins, der um diese Zeit in das Haus Vauquer einzog, der Vater Goriot ein Mann, der an der