Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band. Оноре де Бальзак
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Читать онлайн книгу Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band - Оноре де Бальзак страница 224
»Ja, ich habe vor einigen Tagen auf der Straße einen Herrn getroffen, der mich gefragt hat: ›Wohnt bei Ihnen nicht ein starker Herr mit gefärbtem Backenbart?‹ Da habe ich gesagt: ›Nein, mein Herr, er färbt seinen Bart nicht. Ein Mann, der so lustig ist wie der, hat dazu keine Zeit.‹ Das habe ich Vautrin erzählt, und er hat zur Antwort gegeben: ›Das hast du gut gemacht, mein Junge! Antworte nur immer so! Nichts ist schlimmer, als wenn man seine kleinen Schwächen zu erkennen gibt. Darüber kann sogar eine Heirat kaputtgehen.‹«
»Und mich hat man auch auf dem Markt herankriegen wollen. Ich sollte sagen, ob ich schon einmal gesehen hätte, wenn er sein Hemd anzieht. Solch ein Unsinn! Höre«, sagte sie, sich unterbrechend, »da schlägt es im Val-de-Grâce Viertel vor zehn, und niemand rührt sich im Hause.«
»Sie sind ja alle ausgegangen. Madame Couture und das junge Mädchen sind um acht Uhr zur Messe gegangen in Saint-Étienne. Vater Goriot ist mit einem Paket fort, und der Student kommt erst nach seiner Vorlesung zurück um zehn Uhr. Ich habe sie alle fortgehen sehen, als ich die Treppe fegte, und Vater Goriot hat mir noch einen Stoß mit seinem Paket gegeben, das war hart wie Eisen. Was treibt er bloß, der Alte? Die anderen machen sich über ihn lustig, aber er ist doch ein guter Kerl und besser als alle anderen. Er gibt zwar nicht viel, aber bei den Damen, zu denen er mich schickt, und die sind fein ausstaffiert, gibt es anständige Trinkgelder.«
»Ach, das sind die, die er für seine Töchter ausgibt. Ja? Das ist sicher ein ganzes Dutzend.«
»Ich bin nur bei zweien gewesen, bei denselben, die hier ins Haus gekommen sind.«
»Da, Madame wird munter, jetzt geht der Hexensabbat los, ich muß mich tummeln. Paß auf die Milch auf, Christoph, du weißt ja, wegen der Katze!«
Sylvia stieg zu ihrer Herrin nach oben. »Was, Sylvia, ein Viertel vor zehn, und du läßt mich wie ein Murmeltier schlafen? So was ist doch noch nicht dagewesen.«
»Das kommt vom Nebel, man kann ihn mit dem Messer schneiden.«
»Und das Frühstück?«
»Bah, Ihre Pensionäre hatten heute den Teufel im Leib, sie haben sich alle aus dem Staube gemacht. Nur Michonnette und Poiret haben sich noch nicht gerührt. Das sind die beiden einzigen im Haus, die wie Klötze schlafen – was sie ja auch sind.«
»Aber, Sylvia, du bringst die beiden zusammen, als wenn …«
»Als wenn was?« erwiderte Sylvia mit ihrem breiten, blöden Lachen, »die beiden sind ja ein richtiges Pärchen.«
»Übrigens, das ist komisch, Sylvia: Wie ist denn Vautrin ins Haus gekommen, nachdem Christoph die Tür zugeriegelt hatte?«
»Im Gegenteil, Madame. Christoph hat Herrn Vautrin gehört und ist heruntergegangen, um ihm aufzumachen. Wenn Sie gedacht hätten …«
»Gib mir meine Unterjacke und sieh nach dem Essen! Tu die Kartoffeln an den Rest vom Hammel und gib dazu gekochte Birnen, von denen zu zwei Centimes das Stück.«
Einige Augenblicke später begab sich Madame Vauquer nach unten, gerade als die Katze mit einem Pfotenhieb den Deckel von einem Milchnapf fortschlug und ihn mit aller Hast ausschleckte.
»Mistigris!« rief Madame Vauquer.
Die Katze rannte fort, kam aber bald zurück, um sich an ihre Herrin anzuschmiegen.
»So ist es recht, du alter Gauner!« rief sie.
»Sylvia! Sylvia!«
»Ja, was ist denn, Madame?«
»Siehst du nicht, daß die Katze an die Milch gegangen ist?«
»Da hat dieses Kamel von Christoph schuld, ich habe ihm gesagt, er soll die Schüssel zudecken! Aber wo ist er denn nur hin? Regen Sie sich nur nicht auf, die Milch geb' ich Vater Goriot zum Kaffee. Ich tue Wasser zu, da merkt er nichts. Er achtet ja überhaupt auf nichts, nicht einmal aufs Essen.«
»Wo ist er denn hin, der alte Chinese?« fragte Madame Vauquer, indem sie die Teller forträumte.
»Weiß man denn, was er treibt? Das ist ein Hans Dampf in allen Gassen!«
»Ich habe zu lange geschlafen«, meinte Madame Vauquer.
»Aber Madame ist dafür auch so frisch wie eine Rose …«
In diesem Augenblick ertönte die Hausglocke, und Vautrin betrat den Salon. Er sang mit seiner tiefen Stimme:
Ȇberall bin ich zu Hause,
Überall bin ich bekannt …«
Als er seine Wirtin bemerkte, schloß er sie galant in die Arme und rief: »Ah, guten Morgen, Madame.«
»Aber so hören Sie doch auf…«
»Sagen Sie nur ruhig: Sie unverschämter Kerl!« rief er. »Nur zu, sagen Sie es doch! Wollen Sie es wohl sagen! Warten Sie, ich werde Ihnen beim Tischdecken helfen. Bin ich nicht ein netter Kerl?
Ich liebe die Braune, die Blonde,
Ich liebe …
Übrigens – ich habe etwas Seltsames erlebt …«
»Was denn?« rief die Witwe neugierig.
»Vater Goriot war um halb neun in der Rue Dauphiné bei dem Juwelier, der altes Silberzeug und Uniformtressen kauft. Er hat ihm für ein gutes Stück Geld Tischgeschirr aus vergoldetem Silber verkauft, das für einen Mann, der nicht vom Fach ist, ganz hübsch zu einem Barren verarbeitet war.«
»Was? Wirklich?«
»Ja, ja. Ich wollte nach Haus zurückkehren, nachdem ich einen Freund, der ins Ausland geht, zu den Messageries Royales begleitet hatte. Ich habe auf Vater Goriot gewartet, um zuzusehen. Es gab ja doch etwas zu lachen. Er ist durch die Rue des Grès hierher ins Viertel zurückgekehrt und zu dem bekannten Wucherer Gobseck gegangen, zu diesem schweren Jungen, der mit den Knochen seines eigenen Vaters Domino spielen würde: Das ist ein Jude, ein Araber, ein Grieche, ein Mann, bei dem sich nicht einmal ein Einbruch lohnt; er hat seine Taler hübsch auf der Bank.«
»Was macht er denn bloß, der Vater Goriot?«
»Och, er macht gar nichts«, meinte Vautrin, »er macht nur alles kaputt! Dieser Trottel ist blöde genug, sich für die Weiber zu ruinieren …«
»Da kommt er!« rief Sylvia.
»Christoph!« rief Vater Goriot, »komm mit mir nach oben!«
Christoph folgte dem Vater Goriot und kam bald wieder herunter.
»Wohin gehst du?« fragte Madame Vauquer ihren Hausdiener.
»Ich mache einen Gang für Goriot.«
»Was hast du da?« rief Vautrin, indem er Christoph einen Brief entriß, der die Aufschrift trug: An Gräfin Anastasie de Restaud. »Und wohin gehst du?« fragte er, als er Christoph den Brief zurückgab.
»Rue du Helder. Ich darf den Brief nur an die Frau Gräfin persönlich abgeben.«
»Was