Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band. Оноре де Бальзак

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Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band - Оноре де Бальзак

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ganze alte Liebesmythologie, mit der das Dandytum nichts mehr zu tun haben wollte. Für Rastignac war jedoch Anastasie de Restaud nichts als die begehrenswerte Frau. Zwei Tänze hatte er sich in der Liste der Kavaliere, die sie auf ihren Fächer schrieb, gesichert, und es gelang ihm, beim ersten Contre einige Worte mit ihr zu wechseln.

      »Wo kann ich Sie wiedersehen, Madame?« hatte er sie brüsk, mit der Kraft der Leidenschaft gefragt, die den Frauen so sehr gefällt.

      »Überall«, hatte sie erwidert, »im Bois, im Theater, bei mir zu Hause.«

      Der abenteuerdurstige Sohn des Südens hatte sich alle Mühe gegeben, der reizenden Gräfin näherzutreten, sosehr ein junger Mann nur mit einer Frau während eines Contres und eines Walzers in Verbindung kommen kann. Da er sich als Vetter der Madame de Beauséant ausgab, wurde er von seiner Tänzerin, die er für eine große Dame hielt, eingeladen. Nach dem letzten Lächeln, das sie ihm zuwarf, glaubte Rastignac, daß sein Besuch dringend gewünscht und notwendig sei. Dann hatte er das Glück gehabt, einen Mann zu treffen, der sich einmal über seine Unwissenheit nicht lustig machte. Sonst war Naivität der schlimmste Fehler bei dieser Lebewelt, bei den Maulincourt, Ronquerolles, de Trailles, de Marsey, Ajuda Pinto, Vandenesse, die im ganzen Glanz ihrer Einbildung strahlten und an deren Seite die elegantesten Frauen erschienen. Lady Brandon, die Herzogin, de Langeais, die Gräfin Kergarouet, Madame de Sérizy, die Herzogin de Carigliano, die Gräfin Ferraud, Madame de Lanty, die Marquise d'Aiglemont, Madame Firmiani, die Marquise de Listomère, die Marquise d'Espard, die Herzogin de Maufrigneuse und die beiden Grandlieus. Glücklicherweise stieß der Student auf den Marquis de Montriveau, den Liebhaber der Herzogin de Langeais, einen General, der schlicht war wie ein Kind und von dem er erfuhr, daß die Gräfin de Restaud in der Rue du Helder wohnte. Wenn man jung ist, nach der großen Welt dürstet, nach einer Frau hungert – welch ein Ereignis ist es dann, wenn sich einem zwei Häuser öffnen! Er konnte im Faubourg St-Germain bei der Gräfin Beauséant ein und aus gehen, und er durfte in der Chaussee d'Antin sein Knie vor der Gräfin de Restaud beugen. Mit einem Blick konnte er die ganze Reihe der Salons von Paris erfassen, und er durfte sich für hübsch genug halten, um bei einem Frauenherzen Hilfe und Gunst zu finden. Er war ehrgeizig genug, um das straff gespannte Seil des Lebens mit unfehlbarer Sicherheit zu betreten, nachdem er in einer entzückenden Frau die beste Balance dafür gefunden hatte. Wer hätte nicht mit solchen Gedanken und mit dem Bild einer solchen Frau vor Augen, auch neben einem armseligen Torffeuer, zwischen den Pandekten und in der grauen Not wie Eugen von der Zukunft geträumt, wer hätte sich nicht die zukünftigen Erfolge ausgemalt? Sein schweifender Geist sah so deutlich seine zukünftigen Freuden vor sich, daß er sich schon an der Seite der Madame de Restaud glaubte.

      Da störte plötzlich ein schwerer Seufzer das Schweigen der Nacht. Er fand seinen Widerhall im Herzen des jungen Mannes. Es klang wie das Röcheln eines Sterbenden. Rastignac öffnete leise die Tür. Als er auf dem Korridor war, sah er unter der Tür von Vater Goriots Zimmer einen Lichtstreifen. Eugen fürchtete, daß sein Nachbar krank sei; er näherte sein Auge dem Schlüsselloch, spähte ins Zimmer und erblickte den Greis mit Hantierungen beschäftigt, die ihm fast verbrecherisch vorkamen. Er glaubte daher der menschlichen Gesellschaft einen Dienst zu erweisen, wenn er das nächtliche Treiben des angeblichen früheren Nudelfabrikanten weiter überwachte. Vater Goriot, der offenbar an der unteren Platte eines umgestülpten Tisches eine Schale und eine Suppenschüssel aus vergoldetem Silber befestigt hatte, band eine Art Strick um diese reichverzierten Gegenstände, um sie zu Barren zusammenzudrehen.

      Donnerwetter, ist das ein Kerl! sagte sich Rastignac, als er die sehnigen Arme des Greises sah, die mit Hilfe des Stricks das vergoldete Silber ganz geräuschlos wie Teig zusammenkneteten. Sollte Vater Goriot etwa ein Dieb oder ein Hehler sein, der sich, um sich ganz ungestört seinem Treiben zu widmen, dumm und schwach stellt und wie ein Bettler lebt, fragte sich Eugen, indem er sich einen Augenblick aufrichtete.

      Der Student näherte sein Auge erneut dem Schlüsselloch. Vater Goriot hatte den Strick abgewickelt und legte jetzt die Silbermasse auf den Tisch, über den er eine Decke gebreitet hatte. Mit erstaunlicher Leichtigkeit rollte er die Masse zu einem Barren zusammen.

      Er muß so stark sein wie König August von Sachsen, dachte Eugen, als der Barren ungefähr fertig war.

      Vater Goriot betrachtete sein Werk mit traurigen Augen. Tränen liefen ihm über die Wangen, er blies die Lampe aus, bei deren Schein er gearbeitet hatte, und Eugen hörte, wie er sich seufzend zu Bett legte.

      »Er ist sicher verrückt«, sagte der Student. Da hörte er wie Vater Goriot laut aufseufzte: »Armes Kind!«

      Nach diesem Ausruf hielt es Rastignac für klüger, Schweigen über den Vorfall zu bewahren und seinen Nachbarn nicht voreilig zu verdammen. Er wollte gerade in sein Zimmer zurückgehen, als er plötzlich ein unerklärliches Geräusch vernahm. Es hörte sich an, als ob Männer auf Filzsohlen die Treppe heraufkämen. Eugen horchte und vernahm auch bald die Atemzüge zweier Personen. Ohne daß er das Knarren einer Tür oder den Schritt eines Menschen gehört hätte, sah er plötzlich ein schwaches Licht in der zweiten Etage bei Herrn Vautrin.

      Für eine Familienpension sind das ja ganz nette Geheimnisse hier, sagte er sich.

      Er stieg einige Stufen herab und horchte. Bald vernahm er das Klimpern von Goldmünzen. Darauf erlosch das Licht. Abermals hörte er dann die beiden Atemzüge, ohne daß er das Öffnen einer Tür wahrgenommen hätte. Die beiden Männer stiegen die Treppe herab, und das Geräusch wurde schwächer.

      »Wer ist da?« rief Madame Vauquer, die ihr Fenster öffnete.

      »Ich bin's, Madame Vauquer, ich komme eben nach Hause«, sagte Vautrin mit seiner tiefen Stimme.

      Seltsam! Christoph hatte doch die Tür zugeriegelt, sagte sich Eugen, als er in sein Zimmer zurückkehrte. Man muß in Paris gut aufpassen, um zu wissen, was um einen herum vor sich geht.

      Durch diese kleinen Ereignisse in seinen Träumen von Liebe und Ehrgeiz gestört, machte er sich wieder an die Arbeit. Aber schließlich wurde er durch die Gedanken an Vater Goriot und noch mehr durch die Gestalt der Madame de Restaud abgelenkt, die ihm wie die Botin eines glänzenden Geschickes erschien. Er ging zu Bett und schlief wie ein Murmeltier. Von zehn Nächten, die junge Menschen für die Arbeit bestimmen, schlafen sie sieben. Man muß älter sein als zwanzig Jahre, um wachen zu können.

      Am folgenden Morgen herrschte in Paris einer jener dicken Nebel, die die Stadt so einhüllen und verschleiern, daß selbst die pünktlichsten Leute sich in der Zeit irren. Die Geschäftsleute verpaßten ihre Verabredungen, jeder glaubte, es sei erst acht Uhr, als es Mittag schlug. Es war schon neuneinhalb, und Madame Vauquer hatte sich noch nicht aus ihrem Bett gerührt. Christoph und die dicke Sylvia, die sich gleichfalls verspätet hatten, tranken in Ruhe ihren Kaffee und verzehrten den Rahm der Milch, die für die Pensionäre bestimmt war. Sylvia ließ die Milch dann recht lange kochen, damit Madame Vauquer von diesem unrechtmäßig erhobenen Zehnten nichts merke.

      »Sylvia«, sagte Christoph bei der ersten Schnitte, »Vautrin, der doch sonst ein ordentlicher Mann ist, hat wieder zwei Männer heute nacht bei sich eingelassen. Wenn Madame sich deshalb beunruhigt, darfst du nichts sagen.«

      »Hat er dir was gegeben?«

      »Er hat mir fünf Francs für den Monat gegeben, was heißen soll: Halt den Mund!«

      »Außer ihm und Madame Couture, die nicht auf den Sou sehen, möchten die anderen uns am liebsten mit der linken Hand das wieder nehmen, was sie uns mit der rechten zu Neujahr geben«, sagte Sylvia.

      »Aber was geben sie denn überhaupt schon?« meinte Christoph, »ein schäbiges Fünffrancstück! Es sind jetzt zwei Jahre her, daß Vater Goriot seine Schuhe selbst putzt. Dieser Knicker von Poiret nimmt keine Wichse und würde sie lieber austrinken als sie auf seine Schuhe schmieren. Und dieser Windhund von Student, der gibt nur 40

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