Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band. Оноре де Бальзак

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band - Оноре де Бальзак страница 222

Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band - Оноре де Бальзак

Скачать книгу

Goriot und sein Stumpfsinn unvereinbar mit größerem Vermögen und irgendwelchen Fähigkeiten. Über die Frauen, die er seine Töchter nannte, teilten alle die Ansicht der Madame Vauquer, die mit der banalen Logik, mit der Schwätzerinnen Verdächtigungen ausstreuen, erklärte:

      »Wenn Vater Goriot Töchter hätte, die so reich sind, wie die Damen es wohl sein müssen, die ihn besucht haben, so würde er nicht im dritten Stock meines Hauses wohnen, für 45 Francs im Monat, und er würde nicht wie ein Bettler gekleidet herumlaufen.«

      Nichts konnte diese Argumentation entkräften, und so hatte gegen Ende November 1819, zur Zeit, wo unsere Geschichte beginnt, jeder in der Pension seine feststehenden Vorstellungen von dem armen Greis. Er hatte niemals eine Tochter oder eine Frau gehabt; seine Ausschweifungen hatten ihn zu einem schneckenartigen Wesen gemacht, zu einem Wesen, halb Mensch, halb Molluske – wie sich ein Beamter des naturwissenschaftlichen Museums ausdrückte, der auf das Diner abonniert war. Poiret war ein Adler, ein Gentleman neben Goriot! Poiret plauderte, äußerte Meinungen, antwortete! In Wirklichkeit sagte er freilich nichts, denn er hatte die Gewohnheit, in anderen Wendungen das zu wiederholen, was sein Gegenüber bereits gesagt hatte. Aber er trug doch zur Unterhaltung bei, er war lebendig und schien Gefühle zu haben, während Vater Goriot, wie sich derselbe Museumsbeamte ausdrückte, ständig auf null Grad Reaumur stand.

      Eugen de Rastignac war aus seinen Ferien in einer Geistesverfassung zurückgekehrt, wie sie bei jungen, höher veranlagten Menschen recht häufig ist und die sich auch bei denen findet, denen eine zeitweilig schwierige Lage die Eigenschaften der Elitemenschen verleiht. Während seines ersten Jahres in Paris hatte das geringe Maß von Arbeit, das für die Anfangsexamen der juristischen Fakultät erforderlich ist, ihm die Freiheit gelassen, die sichtbaren Reize der großen Stadt kennenzulernen. Ein Student hat nicht allzuviel Zeit, wenn er das Repertoire eines jeden Theaters kennen, wenn er das Labyrinth von Paris studieren, wenn er die besonderen Gebräuche und den Jargon der Hauptstadt lernen und sich an deren spezielle Vergnügungen gewöhnen will. Er muß gute und schlechte Lokale kennen, amüsante Vorlesungen hören und sich unter den Schätzen der Museen umsehen. Ein Student pflegt sich im allgemeinen für Torheiten zu begeistern, die ihm gleichwohl großartig vorkommen. Er hat seinen großen Mann – vielleicht einen Professor des Collège de France –, der dafür bezahlt wird, daß er sich auf der geistigen Höhe seines Auditoriums hält. Er zupft an seiner Krawatte und wirft sich für die Damen auf dem ersten Rang der Opéra Comique in Positur. Bei diesen Bemühungen wird er allmählich zu einem neuen Menschen, er erweitert seinen Horizont und lernt schließlich die Schichtungen der menschlichen Gesellschaft verstehen. Wenn er zunächst noch die Equipagen auf den Champs-Élysées an einem schönen Sommertag bewundert, so wird er bald ihre Insassen beneiden.

      Eugen hatte diese Lehrzeit unbewußt absolviert, als er nach seinem Bakkalaureat in die Ferien fuhr. Seine Kindheitsillusionen, seine Provinzideen waren dahin. Sein geschärfter Blick, sein gesteigerter Ehrgeiz öffneten ihm vollends die Augen, als er sich auf seinem väterlichen Gut im Schoße seiner Familie wiederfand. Auf der kleinen Besitzung der Rastignacs lebten sein Vater, seine Mutter, seine beiden Brüder, seine beiden Schwestern und eine Tante, die eine kleine Pension bezog. Die Besitzung warf ein Einkommen von etwa 3000 Francs ab, aber da das Geld zum größten Teil aus dem Weinbau hereinkam, waren die Einnahmen schwankend. Und doch mußten jedes Jahr 1200 Francs für ihn aufgebracht werden. Der Anblick dieser ständigen Not, die man ihm voller Großmut niemals eingestanden hatte, der Vergleich zwischen seinen Schwestern, die ihm in seiner Jugend so schön vorgekommen waren, mit den Frauen von Paris, die die Gestalten seiner Träume verwirklichten, die ungewisse Zukunft seiner großen Familie, die von ihm abhing, die ängstliche Sparsamkeit, zu der seine Angehörigen gezwungen waren, die sich ihren Haustrank selbst aus den Überresten der Kelter herstellten – kurz, eine ganze Reihe anderer Umstände, die aufzuzählen unmöglich ist, entwickelten in ihm den Drang, vorwärtszukommen und sich auszuzeichnen. Wie alle großen Naturen wollte er alles nur seinem eigenen Verdienst verdanken, aber er war ein richtiger Südfranzose. Wenn es zu handeln galt, war er Hemmungen ausgesetzt, die junge Menschen so oft befallen, wenn sie sich gleichsam auf offenem Meer befinden und nicht wissen, wohin sie steuern, wohin, sie ihre Segel stellen sollen. Wenn er sich anfangs verzweifelt in die Arbeit stürzte, so sah er bald ein, daß er Verbindungen nötig habe. Er erkannte den Einfluß der Frauen auf das soziale Leben, und er beschloß, die große Gesellschaft aufzusuchen, um Protektion zu finden. Wie konnte sie einem kühnen, geistreichen jungen Mann fehlen, dessen feuriger Sinn durch ein elegantes Auftreten und durch eine Art nervöser Schönheit unterstützt wurde, der die Frauen so leicht zum Opfer fallen!

      Diese Gedanken beschäftigten ihn oft, wenn er lange Spaziergänge mit seinen Schwestern machte. Die Mädchen fanden ihn sehr verändert. Seine Tante, Madame de Marcillac, die früher am Hofe verkehrte, hatte noch einige Bekanntschaften unter dem hohen Adel. Mit einem Schlage erkannte der ehrgeizige junge Mann in diesen Erinnerungen seiner Tante die Grundlagen für zukünftige Eroberungen in der Gesellschaft, die mindestens ebenso bedeutend werden konnten wie die, die er sich für die Universität vornahm. Er unterzog jetzt die alte Dame einem Kreuzverhör über alle verwandtschaftlichen Verbindungen, die sich wieder anknüpfen ließen. Nachdem man alle Zweige des Stammbaumes geschüttelt hatte, kam die Tante zu der Ansicht, daß unter der ganzen egoistischen Clique der reichen Verwandtschaft allein die Vicomtesse de Beauséant in Frage käme, um ihrem Neffen zu helfen. Sie schrieb einen Brief an diese junge Frau im Stil des ancien régime, gab ihn Eugen und versicherte ihm, daß er, wenn er bei der Vicomtesse Glück habe, mit ihrer Hilfe auch seine anderen Verwandten auffinden könne. Einige Tage nach seiner Ankunft in Paris sandte Rastignac den Brief seiner Tante an Madame de Beauséant. Die Vicomtesse antwortete mit einer Einladung zum Ball am nächsten Tage.

      Dies waren die Verhältnisse in der Familienpension Ende November 1819. Einige Tage später kehrte Eugen vom Ball der Madame de Beauséant nach Hause zurück; es war gegen 2 Uhr nachts. Beim Tanz hatte sich der junge Mann vorgenommen, bis zum Morgen durchzuarbeiten, um die verlorene Zeit wieder einzuholen: Es war das erstemal, daß er eine ganze Nacht in diesem stillen Viertel wachend zubringen wollte. Er stand ganz im Banne einer trügerischen Energie, die beim Anblick der glänzenden Gesellschaft über ihn gekommen war. Er hatte an dem Abendessen bei Madame Vauquer nicht teilgenommen, die Pensionäre konnten daher annehmen, daß er erst am nächsten Morgen bei Tagesgrauen zurückkehren würde, wie er gelegentlich von einem Fest im Prado und einem Ball im Odéon zurückgekehrt war, mit schmutzbespritzten Seidenstrümpfen und schiefgetretenen Lackschuhen. Der Hausdiener Christoph, der die Tür abriegeln wollte, hatte sie noch einmal geöffnet, um auf die Straße zu sehen. Rastignac benutzte diesen Augenblick und konnte auf sein Zimmer eilen, ohne Geräusch zu verursachen, gefolgt von Christoph, der dafür um so mehr machte.

      Eugen zog sich um, holte seine Pantoffeln hervor und hüllte sich in einen abgetragenen Überrock. Dann zündete er sein Torffeuer an und setzte sich hurtig an die Arbeit, während Christoph durch sein Getrampel es unmöglich machte, daß man im Hause etwas von diesen Vorbereitungen hören konnte. Bevor Eugen sich auf seine juristischen Bücher stürzte, gab er sich einige Minuten dem Nachdenken hin. Er hatte in der Vicomtesse de Beauséant eine der Modeköniginnen der Pariser Gesellschaft kennengelernt, deren Haus als eines der angenehmsten des Faubourg St-Germain galt. Sowohl ihr Name wie ihr Vermögen machten sie zu einer der Spitzen der Aristokratie. Dank seiner Tante de Marcillac war er, der arme Student, in diesem Hause gut aufgenommen worden, ohne daß er sich der ganzen Bedeutung dieser Gunst bewußt geworden wäre. In diesen goldüberladenen Salons zugelassen zu sein, bedeutete soviel wie ein hoher Adelsbrief. Dadurch, daß er sich in dieser exklusiven Gesellschaft zeigen konnte, hatte er das Recht erlangt, sich überall zu bewegen. Die glänzende Gesellschaft blendete ihn zunächst. Aber bald, nachdem er kaum einige Worte mit der Vicomtesse gewechselt, hatte Eugen in der Menge der Pariser Gottheiten, die sich in diesem Rout drängten, eine Frau entdeckt, wie sie ein junger Mensch auf den ersten Blick anbeten muß. Die Gräfin Anastasie de Restaud galt mit ihrem schlanken Wuchs als eine der hübschesten Erscheinungen von ganz Paris. Sie hatte große schwarze Augen, wundervolle Hände, einen zierlichen Fuß, ihre Bewegungen waren feurig, kurz, sie war eine Frau, die der Marquis de Ronquerolles ein »Vollblut« nannte. Ihre nervöse Rassigkeit war aber nicht unweiblich, sie hatte volle

Скачать книгу