Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band. Оноре де Бальзак

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Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band - Оноре де Бальзак

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im Hasard riskieren und gewinnen, bald machte man aus ihm einen Spitzel der Geheimpolizei; aber Vautrin behauptete, daß er nicht schlau genug sei, um »dazu zu gehören«. Schließlich wurde Vater Goriot zu einem Wucherer und zum Lotteriespieler. Man machte aus ihm alles, was nur Laster, Schande und Erbärmlichkeit an geheimnisvollen Früchten hervorbringen können. Aber so gemein auch sein Benehmen und seine Laster sein sollten, die Abneigung gegen ihn reichte nicht aus, um ihn zu verbannen: Er zahlte seine Pension pünktlich. Und schließlich war er ja auch nützlich, denn jeder ließ an ihm mit Spöttereien und kleinen Rippenstößen seine guten oder schlechten Launen aus. Die wahrscheinlichste Ansicht über ihn, die schließlich auch allgemein angenommen wurde, war die der Madame Vauquer. Wenn sie recht hatte, war dieser noch rüstige Mann, der so gesund wie ein Fisch im Wasser war und der einer Frau noch viel Vergnügen bereiten konnte, ein Wüstling mit fremdartigen Gelüsten. Und dies sind die Tatsachen, auf die die Witwe Vauquer ihre Verleumdungen stützte. Einige Monate nach dem Verschwinden der falschen Gräfin, die es verstanden hatte, sechs Monate auf ihre Kosten zu leben, hörte Madame Vauquer eines Morgens vor dem Aufstehen auf der Treppe das Rauschen eines seidenen Kleides und den leichten Schritt einer jungen Dame, die in Goriots Zimmer, dessen Tür sich wie in stillem Einverständnis öffnete, verschwand. Sofort erschien die dicke Sylvia, um ihrer Herrin mitzuteilen, daß ein junges Mädchen, zu hübsch, um anständig zu sein, »gekleidet wie eine Göttin«, in zierlichen hauchzarten Schühchen, sich wie ein Aal von der Straße zur Küche geschlichen habe, um nach der Wohnung Goriots zu fragen. Madame Vauquer und ihre Köchin zogen auf Horchposten. Sie konnten feststellen, wie während des Besuches, der geraume Zeit dauerte, zarte Worte gewechselt wurden. Als Goriot »seine Dame« hinausbegleitete, ergriff die dicke Sylvia sofort ihren Korb, um angeblich zum Markt zu gehen, in Wirklichkeit aber, um dem Liebespaar zu folgen.

      »Madame«, sagte sie bei der Rückkehr, »Goriot muß verflucht reich sein, wenn er seine Geliebte auf solchem Fuß leben läßt. Stellen Sie sich vor, daß an der Ecke der Rue Estrapade eine herrliche Kutsche stand, in die ›sie‹ eingestiegen ist.«

      Während des Mittagessens stand Madame Vauquer auf und zog den Vorhang zu, um Goriot vor einem Sonnenstrahl zu schützen, der ihm in die Augen fiel.

      »Sie werden von schönen Frauen geliebt, Herr Goriot, die Sonne sucht Sie!« sagte sie, um auf den Besuch anzuspielen. »Zum Teufel! Sie haben einen guten Geschmack, die war wirklich hübsch.«

      »Das war meine Tochter«, erwiderte er mit einer Art von Stolz; die Pensionäre sahen in seiner Antwort nur die Geckenhaftigkeit eines Greises, der das äußere Dekorum wahren will.

      Einen Monat nach diesem Besuch erschien wieder eine Dame bei Goriot. Seine Tochter, die das erstemal in Morgentoilette gekommen war, kam jetzt nach dem Mittagessen und zum Ausgehen angezogen. Die Pensionäre, die im Salon plauderten, bekamen eine hübsche blonde Dame von zarter Figur zu sehen, viel zu vornehm, um die Tochter des alten Goriot zu sein.

      »Nr. 2«, sagte die dicke Sylvia, die die Besucherin nicht wiedererkannte.

      Einige Tage später verlangte ein anderes junges Mädchen, groß und hübsch, eine Brünette mit schwarzen Haaren und lebhaftem Blick, Monsieur Goriot zu sprechen.

      »Nr. 3«, sagte Sylvia.

      Diese zweite junge Dame, die gleichfalls zuerst am Morgen gekommen war, um ihren Vater zu besuchen, kam einige Tage später am Abend wieder, mit Equipage und in Balltoilette.

      »Das ist Nr. 4«, sagten Madame Vauquer und die dicke Sylvia, die in dieser großen Dame das einfach gekleidete junge Mädchen nicht wiedererkannten, das den Besuch am Morgen gemacht hatte.

      Goriot zahlte damals immer noch 1200 Francs Pension. Madame Vauquer hielt es für ganz natürlich, daß ein reicher Mann vier bis fünf Geliebte habe, und fand es sogar sehr schlau, sie für seine Töchter auszugeben. Sie erhob auch keine Einwände dagegen, daß diese Besuche im Hause Vauquer stattfanden. Da ihr aber nun die Besuche den Gleichmut erklärlich machten, den Goriot ihr gegenüber an den Tag legte, so erlaubte sie sich, ihn zu Beginn des zweiten Jahres einen »alten Kater« zu nennen. Endlich, als ihr Pensionär auf 900 Francs herabgestiegen war, fragte sie ihn in barschem Ton, was er aus ihrem anständigen Haus zu machen gedenke, als sie wieder eine der Damen absteigen sah. Vater Goriot erwiderte, diese Dame sei seine älteste Tochter.

      »Sie haben wohl 36 von der Sorte«, erwiderte Madame Vauquer schnippisch.

      »Ich habe nur zwei«, war die Antwort des Pensionärs, die mit der ganzen Sanftmut eines ruinierten Mannes erteilt wurde, den das Unglück bescheiden macht.

      Gegen Ende des dritten Jahres schränkte sich Vater Goriot noch mehr ein, indem er auf die dritte Etage zog und nur noch 45 Francs für die Pension bezahlte. Er entsagte dem Tabak, entließ seinen Friseur und puderte sein Haar nicht mehr. Als Goriot zum ersten Male ungepudert erschien, ließ seine Wirtin beim Anblick der Farbe seiner Haare einen Ausruf der Überraschung vernehmen. Die Haare waren von einem grünlich-schmutzigen Grau; das Gesicht des Vaters Goriot, das ein geheimer Kummer von Tag zu Tag unmerklich trauriger gemacht hatte, war jetzt das trostloseste von allen denen, die den Tisch umgaben. Es konnte keinen Zweifel mehr geben: Vater Goriot war ein alter Wüstling, dessen Augen nur durch die Geschicklichkeit eines Arztes vor dem unheilvollen Einfluß der Mittel bewahrt worden waren, mit denen er seine Krankheit kurieren mußte. Die widerliche Farbe seiner Haare war eine Folge seiner Ausschweifungen und der Drogen, die er zu sich genommen hatte, um sie fortzusetzen. Der gesamte physische und moralische Zustand des Alten gab Anlaß zu diesen Redereien. Als sein Wäschevorrat verbraucht war, kaufte er Kattun für 14 Sous die Elle, um ihn zu ersetzen. Seine Diamanten, seine goldene Tabatiere, seine Uhrkette und seine Schmuckstücke verschwanden nacheinander. Er trug nicht mehr seinen kornblumenblauen Rock und seine sonstigen guten Kleider, er ging Sommer wie Winter in einem Überrock aus grobem braunem Tuch, einer Weste aus Ziegenleder und einer grauen Hose aus Buckskin. Er wurde zusehends magerer, seine Waden verloren ihre Fülle, sein Gesicht, das früher eine bürgerliche Zufriedenheit ausstrahlte, war von Falten übersät, die Backenknochen traten hervor, und die Stirn wurde runzlig.

      Als er das vierte Jahr in der Rue Neuve-Ste-Geneviève wohnte, war er nicht mehr wiederzuerkennen. Der gutgenährte Nudelfabrikant von 62 Jahren, der aussah wie ein Vierziger, der dicke Bürger mit seiner gutmütigen Miene, dessen fröhliches Wesen jedem Vergnügen machte, der beim Lächeln wirklich jung zu werden schien, wurde zu einem stumpfen, gebrochenen, fahlen, siebzigjährigen Greis. Seine so lebhaften blauen Augen nahmen eine müde graue Färbung an, sie schienen blasser zu werden, tränten nicht mehr, und ihr roter Rand schien Blut zu weinen. Bei den einen erregte er Abscheu, bei den anderen Mitleid. Junge Studenten der Medizin, die sich lange mit ihm beschäftigten, ohne aus ihm etwas herausholen zu können, erklärten auf Grund seiner herabhängenden Unterlippe und nach Messung seines Schädelwinkels, er sei von Kretinismus befallen. –

      Eines Abends nach dem Essen fragte ihn Madame Vauquer spöttisch: »Ihre Töchter kommen wohl nicht mehr auf Besuch zu Ihnen?«

      Sie wollte damit seine Vaterschaft in Zweifel ziehen. Vater Goriot fuhr zusammen, als hätte man ihn mit einem glühenden Eisen gezwickt, und antwortete: »Sie kommen noch gelegentlich.«

      »Ah, doch noch hin und wieder?« riefen die Studenten. »Bravo, Vater Goriot!«

      Aber der Greis hörte nicht auf die Spötteleien, die ihm seine Antwort zuzog, er war wieder in sein Nachdenken zurückgesunken, das oberflächliche Beobachter für greisenhaften Stumpfsinn hielten. Hätten sie ihn besser gekannt, so würden sie sich vielleicht für das Problem seines physischen und moralischen Zustandes interessiert haben. Aber es war sehr schwierig, Vater Goriot zu kennen. Wohl konnte man leicht feststellen, ob er wirklich Nudelfabrikant gewesen war und wieviel er besaß. Aber die alten Tischgenossen, deren Neugier rege geworden war, verließen das Stadtviertel nicht und lebten in der Pension wie Austern auf ihrem Felsen. Die jüngeren ließ das lebhafte Pariser Leben den alten Mann, an dem sie ihren Spott geübt

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