Die Umrundung des Nordpols. Arved Fuchs

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Umrundung des Nordpols - Arved Fuchs страница 7

Автор:
Серия:
Издательство:
Die Umrundung des Nordpols - Arved Fuchs

Скачать книгу

Bummeln? Wir machen ausgiebig davon Gebrauch. Wir genießen die Zeit, verholen uns in die Stadt, um uns dort umzusehen, und über allem thront die Sonne 24 Stunden am Tag. Ein ungewöhnlich warmer Sommer. Das Eis auf Flüssen und Seen soll unverhältnismäßig früh aufgebrochen sein. Uns soll das nur recht sein.

      Vorboten für ein günstiges Eisjahr? Die Frage stellen wir uns täglich immer wieder. Und da wir mit dem Ärgsten rechnen, genießen wir umso mehr die Ruhe und die Gelassenheit des norwegischen Nordens. Der schwache Wind trägt das Seinige dazu bei, dass wir nicht in Stress geraten. Wir setzen jeden Fetzen Segel, der zur Verfügung steht – und schleichen trotzdem dahin. Voll beladen, wie die DAGMAR AAEN derzeit ist, liegt sie tief im Wasser und braucht deshalb schon eine etwas kräftigere Brise, um in Schwung zu kommen. Aber spielt es eine Rolle? Auf dem Weg nach Hammerfest werden wir von ein und derselben Schnellfähre gleich mehrmals in beide Richtungen passiert. Uns ist es egal. Wer nicht auf Wache ist, liegt an Deck und liest, Elise überbietet sich selbst jeden Tag mit neuen kulinarischen Kreationen, Frank ist pausenlos am Testen und Einrichten irgendwelcher elektronischer Geräte. Die elektronischen Seekarten von Transas laufen hervorragend. Ich bin bei derartigen Neuerungen zunächst immer skeptisch und führe deshalb auch den gesamten Satz Seekarten mit – sicher ist sicher.

      Wo es uns gefällt, bleiben wir, wie etwa in Hammerfest oder aber in Hjelmsøy im Akkarfjord. Letzteres ist eine alte verlassene Siedlung, die wie eine Geisterstadt aus einem alten Wildwestfilm wirkt. Eingefallene Häuser, im Wind quietschende Fensterläden, eine völlig verfallene Holzpier und das alles in einer wunderschönen Fjordlandschaft. Es ist der erste Tag mit Regen, aber irgendwie passt das Wetter zu diesen maroden Gebäuden. Wir stöbern ein wenig in Ruinen herum, klettern auf die umliegenden Berge und genießen die Stille und Einsamkeit.

      Am nächsten Tag passieren wir das Nordkap. Rainer Ullrich, von allen Ulli genannt, steht an Deck und malt. Ulli ist Kunstmaler und Grafiker. Seit Jahren hatte mich der Gedanke beschäftigt, einen Maler auf eine Expedition mitzunehmen. Alle historischen Expeditionen hatten einen Maler dabei. Solange man nicht fotografieren konnte, lag das nahe. Aber auch später, als es schon längst Film und Foto gab, wurden Maler mitgenommen. Die Kunst stellt eine eigene Form der Dokumentation dar und erlaubt einen völlig anderen Zugang zu der Materie, als es die Fotografie vermag. Jede Dokumentationsform hat ihre eigene Charakteristik, und ich war immer gespannt, wie ein Künstler die Begegnung mit der polaren Landschaft umsetzen würde. Das Problem war nur, dass ich keinen Maler kannte, der unter Expeditionsbedingungen leben und arbeiten konnte, Wache gehen und dabei auch noch Spaß haben würde. Bis ich Rainer Ullrich traf. Wir kennen uns vom Museumshafen Flensburg, und irgendwann fasste ich mir ein Herz: »Ulli, hast du nicht Lust, mit auf die nächste Expedition zu kommen?« Pause. »Meinst du das im Ernst?« »Ja klar, sonst würde ich nicht fragen!« Pause. »Wenn du meinst«, strahlte er mich an, »dann bin ich dabei!« So schnell kann das gehen. Seit Tromsø ist Ulli an Bord und malt auf Teufel komm raus. Er ist kaum zu bremsen. Daneben geht er Wache, ist immer gut gelaunt und hilft, wo immer es etwas zu tun gibt. Wir anderen schauen ihm ehrfurchtsvoll über die Schulter und sind fasziniert, wie scheinbar mühelos etwas aus ein paar Strichen entsteht. Er scheint dabei bisweilen völlig gedankenverloren. Katja sichert ihn fürsorglich und packt die Kästen mit Farben beiseite, damit sie nicht über Bord gehen. Wenn er malt, vergisst er Wind und Wetter und Kälte, wir passen dann auf unseren Maler auf! Ulli ist in jeder Hinsicht eine Bereicherung in der Mannschaft.

      An anderen Stellen ankern wir, um zu tauchen. Das hat seinen Grund. In den Sechzigerjahren hatten sowjetische Wissenschaftler vom Pazifik Krabben nach Murmansk gebracht und sie dort im Fjord ausgesetzt. Bei den Krabben handelte es sich um die so genannten Kamchatka-Krabben, besser bekannt unter dem Namen King Crabs. In Alaska werden sie schon seit Jahrzehnten gefangen und sehr profitabel überwiegend nach Japan verkauft. Die Krabbeltiere schmecken vorzüglich und können es diesbezüglich mit dem Hummer aufnehmen – und sie werden riesig groß. Ein einziges ausgewachsenes Exemplar kann daraus für die gesamte Mannschaft reichen. Das Experiment der sowjetischen Wissenschaftler übertraf alle Erwartungen. Die Krabben vermehrten sich explosionsartig in der Barentssee, offenbar gefielen ihnen die Lebensbedingungen dort ausgezeichnet. Inzwischen verbreiten sie sich entlang der gesamten norwegischen Küste und wandern immer weiter nach Süden.

      » Es ist der erste Tag mit Regen, aber irgendwie passt das Wetter zu diesen maroden Gebäuden. Wir stöbern ein wenig in Ruinen herum, klettern auf die umliegenden Berge und genießen die Stille und Einsamkeit.«

      Ulli ist in jeder freien Minute am Malen. Die Pfahlbauten von Vardø haben es ihm angetan.

      Doch wie immer bei solchen Experimenten gibt es auch hierbei einen nicht zu unterschätzenden Nachteil: Kamchatka-Krabben haben außer dem Menschen keine natürlichen Feinde – und sie sind überaus gefräßig. Wenn sie nicht entsprechend befischt werden, werden sie den Meeresboden ratzekahl leer fressen. Für die norwegischen Fischer hat sich damit ein ganz neuer Erwerbszweig aufgetan, obgleich die Quoten streng reglementiert werden.

      Die Krabben, die wir unter Wasser zu sehen bekommen, sind gemessen an denen, die ich aus Alaska kenne, eher klein. Ein Fischer klärt uns auf, dass sich die Krabben während der Sommermonate in tiefere Gewässer zurückziehen. Im Winter kommen sie dann wieder in küstennahe Gewässer, wo sie wie eine Invasion einfallen. Sie werden in Körben gefangen, in die man Heringe als Köder legt. Die großen Krabben können zwölf Kilogramm schwer werden – sagt man. Die Bewohner einzelner Siedlungen fangen sie für den Eigenbedarf – in der Regel braucht man ja nur ein Tier zum Sattwerden –, indem sie von einem Ponton Netze ins Wasser hängen. Die Krabben klettern dann ganz allein an die Oberfläche und können dort abgesammelt werden.

      Wo immer wir unter Wasser abtauchen, treffen wir auf King Crabs. So lecker sie sind, auch hier hat der Mensch in das Regulativ der Natur eingegriffen. Die Krebse gehören dort einfach nicht hin. Bleibt zu hoffen, dass sich daraus nicht auch eine biologische Zeitbombe entwickelt. Ich denke, man tut gut daran, die Tierchen kräftig zu befischen. Sollten sie dort oben einmal wieder verschwunden sein, wäre lediglich der Normalzustand wiederhergestellt.

      Vardø soll unser letzter Hafen in Norwegen sein. Das schöne Wetter hält an, wir segeln raumschots unter Vollzeug immer in Sicht der Küste. Die Schiffe der Hurtigrouten passieren uns, gelegentlich treffen wir auf Fischkutter, ansonsten gehört das Meer uns. Die Schären, die Vardø vorgelagert sind, kommen in Sicht, wir beginnen die Ansteuerung, und da der Wind weiterhin günstig kommt, laufen wir unter Segel in den Hafen ein. Dort machen wir einen Aufschießer, werfen die Fallen der Vorsegel los und fieren das Großsegel. An Land sehen uns Fischer auf ihren Booten zu, es muss ein schöner Anblick gewesen sein, unsere alte Dame in der Abendsonne unter Segel einlaufen zu sehen. Nachdem wir die Segel eingepackt und das Deck aufgeklart haben, machen wir an einer alten Holzpier zwischen Fischereischiffen fest.

      Von hier an wird es ernst! Am nächsten Tag kommen Brigitte und Achim an, damit sind wir vollzählig. Wir bunkern Diesel, füllen die Wassertanks auf, ergänzen Proviant, füllen die Benzinkanister für den Außenborder und nehmen die einzige öffentliche Duschgelegenheit in Anspruch. Zusammen mit Brigitte lasse ich in einem Restaurant bei einer Flasche Wein die letzten Wochen Revue passieren. Während ich mich seit meiner Ankunft an Bord bestens eingelebt habe und mich fühle, als wäre ich nirgendwo anders gewesen als auf diesem Schiff, kommt Brigitte direkt aus ihrem turbulenten Architekturbüro. Während sie mir von den Vorgängen von zu Hause berichtet, werde ich wieder von der Wirklichkeit eingeholt. Für mich gibt es zwei Wirklichkeiten – die auf dem Schiff und die zu Hause im Büro, wo das Leben nach ganz anderen Vorgaben abläuft. Mit einem Mal bin ich wieder mitten drin in der Organisation. Einmal mehr fühle ich mich in Gedanken als Wanderer zwischen den Welten.

      Vardø vorgelagert liegt eine Vogelinsel, auf der Papageitaucher und Kormorane brüten.

      Die Hafenausfahrt von Vardø. Es ist kurz nach Mitternacht, in wenigen Stunden werden wir auslaufen. Von hier aus ist es nicht mehr weit

Скачать книгу