Die Umrundung des Nordpols. Arved Fuchs

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Die Umrundung des Nordpols - Arved Fuchs

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eines jeden Reisenden gehören sollte. Aber mir brannte die Zeit unter den Nägeln. Die Expedition war organisatorisch, finanziell und logistisch auf den Weg gebracht worden. Ich hatte Verträge mit Sponsoren geschlossen, viel Geld für den Umbau und die Überholung der DAGMAR AAEN ausgegeben, eine erwartungsvolle Mannschaft zusammengestellt, von der jeder Einzelne ebenfalls Weichenstellungen in beruflicher wie auch privater Hinsicht getroffen hatte. Wenn ich die Genehmigung nicht erhalten würde, stünde ich da wie ein Hochstapler.

      Aber man segelt nicht so einfach in den Norden Sibiriens. Diese Erfahrung haben wir auf unseren früheren Expeditionen dorthin machen können. Naiv deshalb der Versuch eines Holländers, der im Vorjahr versucht hat, einhand und ohne jede Genehmigung nach Murmansk einzureisen, um von dort aus durch die Nordostpassage zu segeln. Höflich, aber bestimmt hat man ihn wieder nach Norwegen zurückgeschickt – wer glaubt, dass man mal so eben die Hoheitsgewässer Russlands durchqueren kann, irrt gewaltig.

      Aus diesem Grund hatte ich mich über den befreundeten Bundestagsabgeordneten Franz Thönnes ans Auswärtige Amt gewandt mit der Bitte, unser Expeditionsvorhaben bei den zuständigen russischen Behörden zu unterstützen. Gleichzeitig schrieb ich erstmals einen Brief an Herrn Chilingarov, der ihm mit diplomatischer Post seitens der Deutschen Botschaft in Moskau zugestellt wurde. Nach beharrlichem Insistieren der deutschen Botschaft kam endlich eine Antwort, die ich kaum glauben konnte: Arthur Chilingarov persönlich wolle sich um das Projekt kümmern. Danach überschlugen sich die Ereignisse. Slava telefonierte fast täglich mit den Assistenten von Herrn Chilingarov. Mit einem Mal kam Bewegung in das Genehmigungsverfahren und wie ein »Sesam öffne dich« bewegten sich wie von Geisterhand Behördentüren, die vorher trotz aller Bemühungen verschlossen blieben. Die Vorarbeit hatte zweifellos Slava geleistet. Expeditionsbeschreibungen waren von ihm detailliert ins Russische übersetzt worden, seitenlange Anträge bei den zuständigen Behörden eingereicht und endlose Telefonate geführt worden. Zusätzlich war er persönlich immer wieder vorstellig geworden – der Zeitaufwand, den er für die Expedition betrieb, war gigantisch. Und jetzt endlich der Durchbruch!

      •

      Wir werden vorgelassen. Das Büro, geräumig und edel ausgestattet, ist ebenfalls mit Landkarten und Fotos von Arktis und Antarktis geschmückt. Eine Kartenprojektion, bei der jeweils der Nordpol bzw. der Südpol sozusagen in der Draufsicht im Mittelpunkt einer Karte liegt, ist im Normalfall eher selten anzutreffen. Wer sich solche Karten an die Wand hängt, muss vom Polarvirus befallen sein. Dazwischen Urkunden, die ihn als Mitglied des Explorer Club, der Royal Geographical Society und anderen namhaften Institutionen ausweisen.

      Arthur Chilingarov, ein großer vollbärtiger Mann, kommt auf mich zu und schüttelt mir die Hand. Mit der anderen Hand weist er uns einen Platz an dem Besprechungstisch zu. Er hält sich nicht lange mit Floskeln auf, sondern kommt sofort zur Sache. Über einen Dolmetscher lässt er fragen, warum ich diese Expedition durchführen möchte, worin meine Qualifikationen bestehen, was für ein Schiff wir einzusetzen gedenken und über welche Erfahrung die Crew verfügt. Ohne Umschweife beantworte ich seine Fragen genauso direkt wie sie kommen. Ich erzähle ihm unter anderem von meiner Nordpol-Expedition wie auch von der Durchquerung des antarktischen Kontinents. »You did that? When was it?« Zum ersten Mal spricht er mich direkt auf Englisch an. Zur gleichen Zeit, zu der wir damals auf Ski unterwegs waren, durchquerte eine internationale Expedition die Antarktis mit Hundeschlitten, und kein geringerer als Herr Chilingarov war seinerzeit der Schirmherr der Expedition gewesen. Es gibt direkte Anknüpfpunkte. Als ich ihm über die Durchsegelung der Nordwestpassage mit der DAGMAR AAEN sowie über einige andere meiner vorangegangenen Expeditionen berichte, ist das Eis gebrochen. Der Tonfall wird lockerer, ungezwungener.

      »Ich müsse verstehen«, wird mir vom Dolmetscher übersetzt, »dass Herr Chilingarov sich schon eingehend über eine geplante Expedition informieren müsse, bevor er die Schirmherrschaft übernehmen könne«. Habe ich richtig gehört? Sagte er Schirmherrschaft? Aber der Dolmetscher übersetzt fleißig weiter ins Englische und immer wieder fällt dabei das Wort Patron oder Patronage. Das ist weit mehr, als ich je zu hoffen wagte. Herr Chilingarov fordert mich auf, den Verlauf meiner früheren Expedition auf den Landkarten zu zeigen. Er schaut mir dabei über die Schulter, gibt mir zu verstehen, dass er hier oder dort auch gewesen sei und zeigt sich überaus interessiert an allem, was ich zu berichten habe. Slava schaut dem Treiben mit maßlosem Erstaunen zu. Später sagt er mir, dass ihm das wie in einem Traum vorgekommen sei. Er konnte und kann es nicht fassen, dass sich die Probleme plötzlich aufzulösen scheinen. Keiner von uns sitzt mehr, wir gehen durch das geräumige Arbeitszimmer, bleiben mal hier vor einer Karte stehen oder sehen uns an anderer Stelle Fotos an. Dann eine kurze Anweisung an den Assistenten, eine Flügeltür wird geöffnet, dahinter ein weiterer großer Raum mit einem gedeckten Tisch. Slava lächelt mich an: »Five drops, Arved – you know, it’s an old Russian tradition.« Der unvermeidliche Vodka wird großzügig ausgeschenkt, wir stoßen an, Herr Chilingarov wünscht jetzt unserem Projekt gutes Gelingen und Erfolg auf ganzer Linie. Die Vodkagläser leeren sich, ein Stück Brot und Gurke werden gereicht, um den Schnaps zu neutralisieren – die Atmosphäre wird immer ungezwungener und freundschaftlicher. Der Assistent wird aufgefordert, Fotos von ihm und mir zu machen. Arm in Arm, mit den Zeigefingern auf der Landkarte mal am Nordpol, mal am Südpol, dazwischen immer wieder kräftiges Händeschütteln und die Zusicherung, uns nach besten Möglichkeiten zu unterstützen. Ob wir bereit wären, im Verlauf der Expedition Wetterdaten zu sammeln und sie nach Moskau zu schicken? Spontan sichere ich ihm das zu, zweimal täglich werden wir von unterwegs alle verfügbaren Daten an ihn weiterleiten. Sollten wir Probleme mit lokalen Behörden haben – er sagt dies zu Slava auf Russisch –, möge er sich umgehend per E-mail oder Telefon mit ihm in Verbindung setzen. Darüber hinaus wolle er die oberste Militärverwaltung von dem Projekt unterrichten und ihnen sein Engagement in dieser Sache mitteilen. Zusätzlich würde er auch die Deutsche Botschaft darüber informieren.

      »›Ich müsse verstehen, dass Herr Chilingarov sich schon eingehend informieren müsse, bevor er die Schirmherrschaft übernehmen könne‹. Habe ich richtig gehört? Sagte er Schirmherrschaft? Das ist weit mehr, als ich je zu hoffen wagte.«

      Wir sind schon eine gute Stunde bei ihm. Schließlich ein letztes Foto, abermals kräftiges Händeschütteln, Visitenkarten werden ausgetauscht und dann sind wir entlassen. Slava und ich schauen uns an, so richtig glauben können wir beide nicht, was wir eben erlebt haben. Das muss gefeiert werden! Ich bin wieder in Russland!

      Am

      Eintrittstor

      der Passage

      MURMANSK

      68° 57‘ N; 33° E

      04

      15. Juli 2002: Zum zweiten Mal läuft die DAGMAR AAEN diesen Hafen am Eingang der Nordostpassage an.

      Der Anruf über UKW kommt nicht überraschend: »This is russian coastguard. Ship in position 69° 35’ N; 033° 30’ E. What is your name and destination, present course and speed?« »This is the sailing vessel DAGMAR AAEN, DIXX, we are bound for Murmansk, our course is 180°, our speed is 5 knots«. Überraschend ist lediglich der Umstand, dass der Anruf auf Englisch erfolgt. Bislang wurde erwartet, dass jedes Schiff, das nach Murmansk einlief, auch der russischen Sprache mächtig war. Wenige Minuten später taucht am Horizont die graue Silhouette eines Patrouillenbootes auf, das mit schäumender Bugwelle direkt auf uns zuhält. Kurze Zeit später dann über UKW die Aufforderung zu stoppen und abzuwarten, man wolle die Papiere überprüfen und zu diesem Zweck zwei Offiziere übersetzen. Das dauert.

      Eigentlich müsste die Coast Guard genau wissen, wer wir sind, denn unser Auftauchen kann nicht überraschend für sie kommen. Den Vorschriften gemäß

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