Die Umrundung des Nordpols. Arved Fuchs

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Die Umrundung des Nordpols - Arved Fuchs

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Aber vielleicht will man sich vergewissern, ob wir alle Papiere ordnungsgemäß an Bord haben. Derer haben wir gleich einen ganzen Ordner voll. Mit qualmenden Dieselmotoren dreht das Coast-Guard-Schiff bei, und Minuten später löst sich ein Schlauchboot von der grauen Bordwand und hält auf uns zu. Zwei junge Offiziere in Uniform grüßen uns freundlich und klettern an Bord. Beide sprechen gut Englisch – es scheint sich um eine Routineuntersuchung zu handeln.

      Unter Deck bei einer Tasse Kaffee präsentiere ich die Schiffs- und Expeditionspapiere, Henryk, der fließend Russisch spricht, sitzt daneben, um den Offizieren die Konversation zu erleichtern. Endlich das Urteil: Die Papiere sind in Ordnung! Es gibt keinerlei Beanstandungen, aber – warum wir uns um Himmels Willen nicht vorher angemeldet hätten? Henryk und ich schauen uns verdutzt an. Natürlich haben wir uns angemeldet, erklärt Henryk auf Russisch und öffnet zur Beweisführung das Logbuch, wo das Fax mit Übertragungsprotokoll eingeklebt ist. Die beiden Grenzschützer überprüfen das Logbuch, Henryk zeigt ihnen auch die beiden anderen Anmeldungen, danach strahlen sie uns an. Ganz klar, die beiden suchen kein Haar in der Suppe, sondern freuen sich mit uns, dass alles seine Ordnung hat. Über Funk teilen sie ihre Erkenntnisse ihrem Kommandanten mit. Wir bereiten schon die Verabschiedung vor, als vom Schiff die Meldung kommt, wir sollten noch abwarten, da man erst in Murmansk nachfragen wolle. Der Zeitpunkt dafür ist denkbar ungünstig. Es ist 6 Uhr morgens und zudem Montag. Vor 9 Uhr würde keine Behörde und kein Büro öffnen und auch danach würde man sich nur schleppend an die Arbeit machen. Glücklicherweise ist das Wetter schön und ruhig, die See ist fast spiegelglatt. Den beiden Offizieren tut die Verzögerung Leid. Sie sind eifrig um Konversation bemüht, wir zeigen ihnen das Schiff, laden sie zum Frühstück ein und endlich kommt Elise auf die glorreiche Idee, zu angeln. Die beiden sind begeistert. Kaum dass die Angel im Wasser ist, hat auch schon der erste Dorsch angebissen, danach geht es Schlag auf Schlag. Wer soll die vielen Fische essen? Egal, die beiden angeln, Elise schlachtet, Torsten fotografiert und wir anderen machen gute Miene zum bösen Spiel.

      Auch um 9 Uhr noch keine Antwort aus Murmansk, und um 10 Uhr findet sich ebenfalls keine Lösung. Auf dem Achterdeck stapeln sich derweil die Fische, Elises Hose ist mit Schuppen und Fischblut gesprenkelt und in den Gesichtern aller spiegelt sich der Unmut über diese Verzögerung. Endlich scheint es auch dem Kommandanten zu langweilig zu werden. Er gibt Anordnung, dass einer der beiden Offiziere mit dem Schlauchboot zurückkommen solle, während der andere bei uns an Bord bleiben soll. Da unsere ETA-Meldung bislang nicht aufgetaucht ist, müsse man uns leider festnehmen. Im Klartext heißt das: Wir sind aufgebracht und verhaftet worden – trotz aller Genehmigungen. Henryk, der den Funkkontakt verfolgen kann, hört deutlich den Unmut des Kommandanten über die Schlamperei in Murmansk heraus, aber wenn der Behördenweg einmal eingeschlagen ist, gibt es kein Zurück mehr. Sobald das Schlauchboot, in das Elise schnell noch einen großen Plastiksack mit Fischen gelegt hat, an Bord genommen ist, fährt das Patrouillenboot voraus, wir laufen hinterher.

      Unterwegs überholt uns eines der großen russischen Atom U-Boote, ansonsten passieren wir jede Menge Schiffswracks, verlassene und verfallene Häuser links und rechts des Fjordes, den abgesehen von dem Verfall und den militärischen Einrichtungen eine schöne nordische Fjelllandschaft säumt. Bereitwillig gibt uns unser Offizier Auskunft über die Region. Wir passieren die verbotene Stadt Severomorsk, das große Schwimmdock, in dem angeblich das deutsche Schlachtschiff TIRPITZ gelegen haben soll und in dem noch vor wenigen Monaten die Überreste der KURSK abgewrackt worden sind. Endlich zeichnet sich hinter einer weiteren Fjordbiegung Murmansk ab.

      •

      Wir machen an einer Schwimmpier fest. Eine kleine Armee Uniformierter ergießt sich auf unser Deck, inzwischen hat sich wohl auch unsere Anmeldung eingefunden – immerhin ist es erst 14 Uhr –, und so ist die Situation nicht ganz so angespannt wie ich befürchtet hatte. Aber trotzdem! Unser Offizier von der Coast Guard wirft sich für uns ins Getümmel: Nein, die Coast Guard hätte uns gegenüber keinerlei Vorwürfe aufzuweisen, wir hätten uns absolut korrekt verhalten, man habe nur auf Weisung gehandelt und uns nach Murmansk geleitet. Ich fülle stapelweise Formulare, Zolllisten, Crewlisten et cetera aus. Irgendwann ist auch das getan. Ich schenke dem Coast Guard-Offizier ein Buch über unsere letzte Expedition, er verabschiedet sich per Handschlag von jedem von uns – und dann bleibt nur noch die Frage, wer die Schuld an dem ganzen Dilemma trägt. Eine Zivilperson mit ernster Miene erscheint wenig später auf der Pier und bittet an Bord kommen zu dürfen. Henryk übersetzt, als wir schließlich zu dritt um den Tisch in der Messe sitzen. Es ist, wie bei solchen Fällen üblich, ein Eiertanz. Jeder weiß, dass uns keine Schuld trifft, aber wollen wir wirklich eine Schuldzuweisung treffen? Er sei hier, um den Fall zu klären, teilt er Henryk mit. Er könne jetzt die Sache weiterverfolgen, was – so lässt er durch die Blume wissen – uns sicherlich bei der Bewältigung weiterer behördlicher Auflagen für die Befahrung des Nördlichen Seeweges nicht sehr dienlich sein würde. Oder wir würden die Schuld auf uns nehmen und damit alle anderen von jedweden Versäumnissen freisprechen. Das sei doch die viel bessere Lösung! Mit 2.000 Rubeln, etwa 70 Euro, sind wir dabei! Den schwarzen Peter übernehmen wir, dafür ist man uns hoffentlich gewogen, das Verfahren wird eingestellt und wir sind nun endlich offiziell eingereist. So einfach geht das!

      Abends trifft Slava ein. Er hat von dem Zwischenfall gehört und ist außer sich. Er reagiert in solchen Situationen noch viel empfindlicher als jeder andere von uns. Gerade weil er Russe ist und eben weil er selbst alle Papiere bearbeitet und eingereicht hat, trifft es seinen Stolz und seinen Gerechtigkeitssinn an einer empfindlichen Stelle.

      •

      Unsere Geduld soll auf eine harte Probe gestellt werden. Ursprünglich hatte ich drei bis vier Tage in Murmansk eingeplant – es werden insgesamt zwölf. Die Besuche im Büro der Murmansk Shipping Company gehören schon bald zur täglichen Routine wie das morgendliche Zähneputzen.

      Um Punkt 11 Uhr – vorher ist es nie genehm – sitzen Slava und ich im Büro von Sergeij Deyneka und diskutieren. Eigentlich ist nur Slava derjenige der redet, ich sitze mit stoischer Miene daneben und verstehe kein Wort. Gelegentlich darf ich einige Schiffspapiere aus meinem Aktenkoffer hervorkramen und auf den Tisch legen, bei anderer Gelegenheit mit todernster Miene den Schiffsstempel sowie meine Unterschrift unter Formulare setzen, deren Inhalt ich sowieso nicht lesen kann – ich fühle mich ausgeliefert. Wäre Slava nicht, dem ich hundertprozentig vertraue – ich wüsste nicht, was ich täte. Gegen 14 Uhr enden in der Regel die Konsultationen, um am späten Nachmittag an Bord fortgeführt zu werden.

      Der aus der Gründerzeit stammende Bahnhof von Murmansk hebt sich angenehm von den tristen Plattenbauten ab. Über der Kuppel des Gebäudes prangt noch der alte Sowjetstern.

      Bei all dem geht es primär um den technischen Zustand beziehungsweise um die Eignung der DAGMAR AAEN für den Nördlichen Seeweg. Alle Verweise auf die Icesail-Expedition einschließlich der neunmonatigen Überwinterung im Eis des Jenisseis oder gar die Durchfahrung der Nordwestpassage hinterlassen keinen Eindruck. Der Nördliche Seeweg – so lässt man uns wissen – sei nun einmal etwas Besonderes. Hinsichtlich der bürokratischen Hürden vermag ich diesbezüglich nicht zu widersprechen.

      Dann kommt ein Inspektor aus Moskau, den ich von der Hauptverwaltung des Nördlichen Seeweges aus Moskau kenne, angereist, und tatsächlich erhalten wir den behördlichen Segen. Endlich! Die DAGMAR AAEN ist für den Nördlichen Seeweg geeignet.

      Doch die erste Euphorie wird schnell gedämpft. Glaubten wir tatsächlich, wir hätten den behördlichen Spießroutenlauf beendet? Keineswegs. Jetzt geht es um die Frage des Eislotsen. Laut Vorschrift muss jedes Schiff – egal wie groß oder klein – einen staatlichen Eislotsen an Bord nehmen. Das Problem: Woher nehmen? Wir erkundigen uns, tatsächlich gibt es einige interessierte Lotsen, von denen aber keiner abkömmlich ist.

      Was Nun? Slava wirft sich in die Brust: Schließlich sei er Russe, habe jahrelang auf Arktis- wie auch Antarktisstationen Dienst getan, kenne den Nördlichen Seeweg wie kaum ein Zweiter – also sei er doch schließlich der geeignete Lotse für die DAGMAR

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