Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
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»Christabel! Christabel! o Christabel!« Ja, Lucia schrie im Innersten ihres Daseins! Sie schrie nach Luft – nach Rache – nach Miss Christabel Eddish, und Pechle wurde immer gemütlicher, immer noch gemütlicher! Noch kannte er Miss Christabel nicht, er konnte also auch nicht wissen, wen die gnädige Frau sich zur Hilfe herbeirief.
Ruhig, ruhig, ruhig sah Lucia den Freund ihres Mannes an; aber von Zeit zu Zeit glitt ein Blick der Gattin auf den Gatten – auch ein ruhiger Blick, und doch entsetzlich in seinem klaren, kühlen Glanze.
Ferdinand erwiderte ihn nicht zum zweiten Mal. Dass sein Haupt auf dem Blocke lag, wusste er und fühlte er; jetzt legte er die fiebernde heiße Hand auf die Augen, und rote Feuerfunken hüpften vor ihnen umher.
»Gewiss, gewiss, gnädige Frau«, sprach Christoph Pechlin, »wir werden als gute Nachbarn und umgängliche Hausgenossen getreulich zusammenhalten. Verlassen Sie sich darauf! Sehen Sie, ich habe Theologie studiert, habe eine Übersetzung des Plato im Schubkasten liegen, und bin augenblicklich für sämtliche Lokalblätter des Landes hauptstädtisch-politischer und kriminalistischer Berichterstatter; aber mein Gemüt habe ich mir so frisch und grün erhalten, dass es allen meinen nähern Bekannten eine Freude und Rührung ist. Da liegt mein bester Freund, unser guter Ferdinandle. Gnädige Frau, es ist nicht das erste Mal, dass mir das Schicksal das Glück zuteil werden ließ, ihn aus großer Gefahr zu erretten! In vergangener Nacht schmeichle ich mir wieder einmal seinen Körper gerettet zu haben; wie oft ich jedoch sein besseres Teil, seine herrliche unersetzliche Seele durch geschickte Vermittlung im Kampfe mit den dunkelsten aller Mächte unverletzt erhalten habe, darüber fehlt mir in der Tat eine genaue Berechnung.«
Hier wagte es der Baron, seiner Angst zum Trotz, leise zu stöhnen; doch Pechlin fuhr rasch weiter fort:
»O, leugne es nicht, Bester! denkst du wohl noch dran, wie ich dir, nur infolge meiner hohen diplomatischen Begabung, ein mit einem rosaseidenen Bändchen umwundenes Briefpaket wieder verschaffte! Erinnerst du dich wirklich nicht mehr daran, wie Fräulein Hersilie Schnäpple in den Neckar gehen wollte? Besinne dich nur; es wird dir schon einfallen, wenn du dich nur recht besinnst.«
»Wie verhält sich das, mein Herr?« ächzte an dieser Stelle die Baronin, ihren festesten Vorsätzen zum Trotze.
»Wie ich sage. Aber beruhigen Sie sich, gnädige Frau; es ist kein Grund zu einem Sensationsartikel vorhanden. Das Fräulein ging nicht in den Neckar, sondern nur in die fromm-volkstümliche Literatur. Sie schreibt unter dem Namen –«
»Ich bitte dich, so bald als möglich wieder wohl zu werden«, sprach mit der Kälte eines Eisberges die Gattin zu dem Gatten, erhob sich abermals und verließ das Gemach, ohne sich den verdorbenen oder vielmehr recht wohlgeratenen Gottesgelehrten von neuem anzusehen. Die beiden Freunde befanden sich wieder allein, und Ferdinand von Rippgen griff sich in heller Verzweiflung mit beiden Händen in die Krawatte, riss sie sich ab und zerknüllte sie, im tödlichsten Erstickungsgefühl nach Luft ringend.
Christoph Pechlin war mit der Baronin von Rippgen aufgestanden, schritt, wie vorhin die Dame, zum Fenster, sah einige Sekunden lang hinaus, kam zurück, beugte sich über das Lager des Freiherrn und sagte:
»Du, ich halte mich für ein mit dem zum Durchkommen durch diese Welt nötigen Intellekt ausgerüstetes Wesen!«
»Was soll daraus werden, und was hast du mir da angetan?«
»Ruhe, Ruhe, Alterle! Was ich dir angetan habe? Ich habe für dich und mich momentan mit deinem guten Weible gebrochen. Es war nicht anders möglich; aber verlass dich darauf, wir sind auf dem besten Wege zu einer freundschaftlich behaglichen Verständigung. Rege dich nicht unnötig auf; da ich dich einmal wiedergefunden habe, so werde ich dich nimmermehr verlassen – grüß dich Gott und – gesegnete Mahlzeit.«
Damit ging auch er, und Ferdinand – Ferdinand war allein – allein in der Erwartung, dass seine Frau demnächst wieder zu ihm zurückkehren werde.
Das sechste Kapitel.
Viele Leute werden es nicht für möglich halten; aber es war doch so! Pechle nannte den im vorigen Kapitel geschilderten ersten Zusammenstoß mit der Freifrau Lucie von Rippgen ein gelungenes Niederreißen sämtlicher zwischen zwei gleichartigen, ganz für einander geschaffenen Naturen durch den Gott Zufall aufgerichteter Schranken! – – Pechle war eigentlich zu unverschämt! – – Pechle war aber jedenfalls nicht der Mann, der etwas einmal Unternommenes, das seiner eigenen Natur zusagte, leichthin aufgab, und die Baronin merkte das bald. Sie wurde ihn nicht mehr los aus ihrem Dasein.
Christoph Pechlin aus dem Schönbuch, Pechle, der im Grunde genommen der blödeste Mensch des Erdbodens war, fühlte sich als Freund und legte den ganzen Wert seiner eigenen Natur offenkundig dar.
Acht Tage nach dem ersten Bekanntwerden mit dem unabweisbaren, liebenswürdigen Tübinger Ex-Theologen schrieb Lucie in vollständiger rat-, rand- und bandloser Auflösung an ihre Freundin Miss Christabel Eddish:
»Dearest! Dearest! Hast Du keinen Ruf vernommen? Keinen leis und fern herhallenden Angstruf in den letzten Tagen und Nächten? Gar keinen?!… Christabel, ich war es, die rief! – Denke Dich in das veilchenduftige Grauen hinein, mit welchem wir an den schönen Gestaden der Elbe jenes herrliche, aus Mondenschein und Deinem süßen Namen gewebte, leider unvollendete Gedicht eueres herrlichen Dichters Kolleritsch zusammen lasen – lass alles hinter Dir und komme zu mir!!… Komm zu mir, Christabel! Lass alles von Dir – Florenz sowohl als Rom! – denke unserer durch tausend Schwüre besiegelten Freundschaft, und komm zu mir nach Stuttgart! Als jener entsetzliche Plebejer, dessen Namen ich nie – nie niederschreiben werde, am Elbgefilde zum ersten Mal über unsere Ligusterhecke stierte – als sein Weib es wagte, ihre Visitenkarte bei uns abzugeben, warst Du an meiner Seite, und – ich lebe noch! Christabel, das leise