Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

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Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe Gesammelte Werke bei Null Papier

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Ge­nos­sin be­mäch­tigt. Hast du wirk­lich kei­nen Hil­fe­ruf ver­nom­men in den letz­ten Näch­ten, Chri­sta­bel??!!

      Blu­ti­ge Trä­nen fal­len auf das Blatt, auf wel­chem ich jetzt schrift­lich Dich rufe. Und in­dem ich Dir schrei­be, ver­sin­ke ich mehr und mehr in dem mich um­ge­ben­den Pfuh­le der Ge­mein­heit. Die gräss­li­chen Flu­ten schla­gen über mei­nem dem Elend ge­weih­ten Haup­te zu­sam­men: nimm die­sen letz­ten Wink der ar­men, klei­nen Hand und lebe wohl, Chri­sta­bel!… Lebe wohl, Chri­sta­bel, ich kann nicht mehr – komm mit dem nächs­ten, dem al­ler­nächs­ten Ku­rier­zu­ge.

      The sil­ver lamp burns dead and dim;

       But Chri­sta­bel the lamp will trim –

      ja, sie wird es tun; – sie wird es nicht zu­ge­ben, dass die Teu­fel la­chen, wird es nicht zu­ge­ben, dass die Ge­wöhn­lich­keit recht be­hal­te! Chri­sta­bel wird die sil­ber­ne Lam­pe, die arme ster­ben­de Lam­pe des Da­seins ih­rer un­se­li­gen Lucy vor dem Er­lö­schen be­wah­ren; sie wird ih­rer Lucy auf azur­nen Flü­geln der Lie­be und Freund­schaft neu­es Öl – mein Gott, wie er­bärm­lich be­währt sich den zar­tes­ten Schwin­gun­gen un­se­rer See­le ge­gen­über das ge­schrie­be­ne Wort! – her­zu­tra­gen!… Eile, Chri­sta­bel, Dein zwei­tes Herz ist dem Still­ste­hen nahe! Wie aber soll ich Dir sa­gen, was mir ge­schieht, was Dei­ne Lu­cia zu er­dul­den hat? Die Wor­te man­geln der Fe­der, der Aus­druck der See­le, und ich bin das un­glück­lichs­te Weib auf Er­den! O, wes­halb bin ich hier­her ge­kom­men, hier­her, wo das Fürch­ter­li­che, das so un­aus­sprech­bar Roh-Ge­mei­ne auf mei­ne An­kunft war­tend saß? Und den­ke Dir – Pechle heißt der Alp, der Night­ma­re, der bei Tage und bei Nacht auf mei­ner Exis­tenz liegt, – Pechle!! – Chri­sta­bel, wir ha­ben den By­ron zu­sam­men ge­le­sen, mit hei­ßen, bren­nen­den Au­gen ha­ben wir in die furcht­ba­ren Ge­heim­nis­se der Men­schen­see­le und der Na­tur hin­ein­ge­se­hen; wir ha­ben uns für den Schre­cken, die Angst, die Qual zu wapp­nen ge­sucht und – wir ha­ben ver­ges­sen – ha­ben im An­schau­en, Füh­len und Nach­füh­len edels­ten Geis­ter­ban­gens to­tal ver­ges­sen, wie all­täg­lich-ab­ge­schmackt-ge­wöhn­lich der Vam­pir sein kann, der uns mit sei­nen Fle­der­m­aus­flü­geln um­fä­chelt und uns das Herz­blut aus­saugt. So sind wir vor­dem je­nem Schnei­der­meis­ter un­ter­le­gen, so über­mannt mich heu­te Pechle!!

      O, Chri­sta­bel, komm und sie­he selbst, wie es ge­schieht, dass Dei­ne stol­ze, tap­fe­re Lucy Dir einen sol­chen Brief schrei­ben muss. Das Ent­setz­li­che, der Ent­setz­li­che wohnt mit mir in ein und dem­sel­ben Hau­se – wohnt über mir – und in dem Au­gen­blick, in wel­chem ich die­se zit­tern­den Zei­len auf die­ses trä­nen­be­feuch­te­te Blatt wer­fe, höre ich sei­nen Schritt, sein La­chen – o sein ge­mei­nes, ge­mei­nes La­chen über mei­nem Haup­te, und die Angst, der Zorn, der ohn­mäch­ti­ge Zorn schüt­telt mich: Chri­sta­bel, jetzt singt er, er singt, wenn man das Sin­gen nen­nen kann – noch einen Au­gen­blick, und ein wi­der­wär­tig sum­men­der Ton wird mei­ne Ner­ven zer­rei­ßen, – der Pö­bel­haf­te spielt auch die Maul­trom­mel, spielt sie bei of­fe­nem Fens­ter aus dem Fens­ter her­aus über mei­nem Haup­te, und dann im nächs­ten Mo­ment wird er die Glo­cke zie­hen, nach mei­nem Mann fra­gen und – sich nach mei­nem Be­fin­den er­kun­di­gen!!! Was habe ich ver­bro­chen, um die­ses, um sol­ches, o und um eine un­end­li­che Rei­he ähn­li­cher Ver­nich­tun­gen dul­den zu müs­sen? Ich rufe Dich, Chri­sta­bel! Komm! Wenn Du aber nicht kom­men kannst, so

      let my me­mo­ry still be thy pri­de

       and for­get not, I smi­led as I died!

      Bis in das Grab, das mir das Schick­sal, Pechle und mein Mann gra­ben

      Dei­ne Lucy.

      P. S. Stutt­gart soll eine große Ähn­lich­keit mit Flo­renz ha­ben.

      Dei­ne Lucy.«

      Der Brief ging ab mit ei­nem drei­fach un­ter­stri­che­nen Ei­lig dar­auf. Da aber die Post­be­hör­de sei­nen In­halt nicht kann­te, be­för­der­te sie ihn lei­der nur auf dem ge­wöhn­li­chen Wege mit dem von Stutt­gart ab­ge­hen­den Hau­fen an­de­rer schrift­li­cher Mit­tei­lun­gen der Men­schen in ih­rem Ver­kehr auf Er­den nach Mün­chen.

      Bei Mün­chen, vor dem Send­lin­ger Tor, dehnt sich die The­re­si­en­wie­se. Am Ran­de der The­re­si­en­wie­se liegt die baye­ri­sche Ruh­mes­hal­le. Vor der baye­ri­schen Ruh­mes­hal­le steht die Ba­va­ria, und ne­ben der Ba­va­ria sitzt ein Löwe. Ge­gen ein Trink­geld von zwölf Kreu­zern kann man so­wohl die be­rühm­ten baye­ri­schen Men­schen in der Hal­le hin­ter dem Git­ter in der Nähe be­trach­ten, wie auch die Aus­sicht auf die Fer­ne vom Kop­fe der Ba­va­ria aus ge­nie­ßen. Näm­lich die letz­te­re ist hohl; hohl von den Fü­ßen bis zu dem Kop­fe, und von dem Kop­fe aus ge­nießt man in der Tat eine sehr schö­ne Aus­sicht, nicht nur über die The­re­si­en­wie­se, son­dern auch über einen großen Teil der Stadt Mün­chen und auf das fer­ne Hoch­ge­bir­ge, auf den Un­ters­berg und den Watz­mann, das Kai­ser­ge­bir­ge und das Kar­wen­del­ge­bir­ge bis zur Zug­spit­ze hin. Es ist sehr schön.

      Sechs Per­so­nen ha­ben in dem Kop­fe der Ba­va­ria Platz, und nie­mand, der nach Mün­chen kommt und es ir­gend mög­lich ma­chen kann, ver­ab­säu­me es, in den­sel­ben hin­auf­zu­klet­tern. Wir, der Ge­schichts­schrei­ber, ha­ben in der Hin­sicht Au­ßer­or­dent­li­ches ge­leis­tet; wir sind, nach­dem uns un­se­re dies­ma­li­ge erns­te Auf­ga­be auf die Schul­tern ge­fal­len war, ei­gens nach Mün­chen ge­reist, um in der ho­hen Frau hin­auf­zu­stei­gen, und uns per­sön­lich durch den Au­gen­schein zu über­zeu­gen, dass das in dem Fol­gen­den ge­treu Be­rich­te­te wirk­lich in ih­rem Haup­te und Lei­be habe vor­ge­hen kön­nen. Wenn wir ein Bayer wä­ren, sei es auch nur aus Schwa­ben oder aus Fran­ken, so wür­de uns un­be­dingt ein Platz in der Ruh­mes­hal­le hin­ter dem Rücken des Lö­wen und sei­ner Her­rin ge­büh­ren, so aber be­gnü­gen wir uns be­schei­dent­lich mit der Aus­sicht auf eine Büs­te in der Wal­hal­la bei Re­gens­burg, und las­sen uns gern ob un­se­rer Be­schei­den­heit lo­ben.

      Sechs Per­so­nen ha­ben in dem Kop­fe der Ba­va­ria Platz, das ver­hält sich wirk­lich so. Wir ha­ben das Lo­kal aus­ge­mes­sen und die fes­te Über­zeu­gung ge­won­nen, dass also auch für un­se­re hohe Hel­din, Miss Chri­sta­bel Ed­dish Raum dar­in war.

      Miss Chri­sta­bel Ed­dish saß an dem wol­ken­lo­sen son­ni­gen Mai­en­ta­ge, in der großen Stun­de, die wir jetzt zu schil­dern ha­ben, wirk­lich dar­in – al­lein; al­lein in dem Haup­te der Ba­va­ria, das­sel­bi­ge wie ein schö­ner, tie­fin­ni­ger, rei­ner Mäd­chen­ge­dan­ke voll­stän­dig aus­fül­lend. Und jetzt ist auch der Mo­ment ge­kom­men, wo wir uns zum ers­ten Mal ein we­nig ein­ge­hen­der mit ihr – Miss Chri­sta­bel – be­schäf­ti­gen kön­nen; völ­lig ge­recht wer­den wir ihr frei­lich kaum am Schlus­se die­ses Bu­ches ge­wor­den sein.

      Miss Chri­sta­bel Ed­dish war eine hoch ge­wach­se­ne, hüb­sche Blon­di­ne, die kör­per­lich den lee­ren Raum im Haup­te der Ba­va­ria durch­aus

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