Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

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Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe Gesammelte Werke bei Null Papier

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der Ana­to­mie und den Ma­gis­trats-Wa­gen­schup­pen zu. Man muss die The­re­si­en­wie­se im hel­len Mit­tags­son­nen­schein ha­ben lie­gen se­hen, um sich vor­stel­len zu kön­nen, welch ein win­zig, ver­schwin­dend, hüp­fend Pünkt­chen der Ka­pi­tän Sir Hugh Slid­de­ry auf der­sel­ben war!

      Im gol­de­nen Zeit­al­ter kann­te man kei­ne Ge­s­pens­ter. Im sil­ber­nen hat­te man viel­leicht eine Ah­nung da­von, dass es der­glei­chen ge­ben kön­ne, doch nie­mand hat­te eins ge­se­hen. Aber im ei­ser­nen wim­mel­te es von ih­nen in al­len Näch­ten zwi­schen zwölf und ein Uhr; und heu­te, wo der Welt Ent­wick­lung doch un­be­dingt eine Wen­dung zu­rück ge­gen das gol­de­ne Glück des sa­tur­ni­schen Al­ters ge­nom­men hat, wo Frie­de und Frei­heit, Glück und Be­ha­gen sich von al­len Sei­ten her die Hän­de rei­chen, sind wir schlim­mer dar­an denn je; denn heu­te er­schei­nen die Geis­ter im Ver­trau­en auf die hö­he­re Bil­dung und das käl­te­re Blut der Erd­be­woh­ner un­be­fan­gen und mit Vor­lie­be am hel­len Mit­ta­ge, und ir­ren sich dann und wann doch in ih­rem Ver­trau­en auf den kla­ren Blick und die ru­hi­ge Über­le­gung des jetzt le­ben­den Men­schen­ge­schlechts. Wahr­lich, die Ge­s­pens­ter, wel­che den Men­schen am hel­len Mit­tag er­schre­cken, sind schlimm; und je­der­mann, der in den Am­men­ge­schich­ten des Da­seins Be­scheid weiß (und wer weiß heu­te nicht dar­in Be­scheid?) kennt sie. Dem Ket­ten­ge­ras­sel und Tür­klap­pen, dem Ra­scheln, Rau­schen, Seuf­zen, La­chen, Stöh­nen und Wei­nen um Mit­ter­nacht füh­len wir uns all­mäh­lich ge­wach­sen, so­dass wir so­gar an­ge­fan­gen ha­ben, uns phi­lo­so­phisch lus­tig dar­über zu ma­chen; al­lein dem Spuk, der uns am hel­len, lich­ten Tage, in der be­leb­ten Gas­se, auf dem wim­meln­den Markt, im sum­men­den Ge­richts­saal oder der fe­der­krit­zeln­den Schreib­stu­be an­grinst, die Spit­ze zu bie­ten, sind wir ar­men ner­ven­schwa­chen Her­ren und Her­rin­nen der Schöp­fung we­der phi­lo­so­phisch noch un­phi­lo­so­phisch noch lan­ge nicht im­stan­de.

      Ge­schlos­se­nen Au­ges, mit der einen Hand sich ge­gen die kal­te Bron­ze stüt­zend, mit der an­de­ren kramp­fig den krampf­durch­zuck­ten Brief der Freun­din in der Ta­sche zer­knit­ternd, lehn­te Miss Chri­sta­bel Ed­dish im Hin­ter­kopfs der Ba­va­ria, und län­ger als fünf Mi­nu­ten lehn­te sie so da. Als sie dann das Auge, oder die Au­gen, die großen blau­grün­grau­en Au­gen un­ter den lan­gen blon­den Wim­pern wie­der auf­schlug und sich al­lein sah, sprang sie mit ei­nem Wut­schrei in den Vor­der­kopf:

      »Hau! Nau! o dear me! o the wretch! Der Schuft, der Elen­de! der Nichts­wür­di­ge!« –

      Im gol­de­nen Zeit­al­ter wür­den ihre Auf­re­gung und die Äu­ße­run­gen der­sel­ben un­be­dingt all­ge­mei­nes Er­stau­nen er­regt ha­ben: wir auf der Um­kehr nach dem Rei­che Sa­turns be­grif­fe­nen Söh­ne und Töch­ter des Ta­ges wun­dern uns gar nicht dar­über. Wenn wir auch die Här­te und Schär­fe der Ex­kla­ma­tio­nen be­dau­ern, so wis­sen wir nur zu gut, wel­che Stei­ne, Ver­ha­cke, Grä­ben und Ge­strüp­pe den Weg zur Ruhe, zum Frie­den, zum Ide­al ver­sper­ren, um mit un­sern Nach­barn und Nach­ba­rin­nen auf die­sem Wege zu hart ins Ge­richt zu ge­hen. Gut­mü­tig bli­cken wir über die Schul­tern nach ih­nen hin, flüs­tern: Jo Sa­tur­na­lia! Bona Sa­tur­na­lia! und mar­schie­ren wei­ter, be­hag­lich, so­lan­ge das Be­ha­gen dau­ert. –

      Zit­ternd vor Wut und Auf­re­gung blick­te Miss Chri­sta­bel von neu­em durch die Öff­nun­gen im Haup­te der Schutz­göt­tin des Bayer­lan­des. Sie sah dem Schreck­nis nach, wel­ches – so­eben vor ihr so merk­wür­dig ent­setzt und so blitz­schnell durch den Bauch der Ba­va­ria Reiß­aus ge­nom­men hat­te. Re­ka­pi­tu­lie­ren wir, was sie sah!

      Wol­ken­los, in reins­ter Bläue, über­spann­te der Mai-Mit­tags­him­mel die schö­ne Welt, die Al­pen, die Stadt Mün­chen und vor al­len Din­gen die The­re­si­en­wie­se. Aber die blit­zen­den Za­cken am Ho­ri­zon­te hät­ten sich sämt­lich in feu­er­spei­en­de Ber­ge ver­wan­deln und schwe­fe­li­ge Flam­men bis zum Ze­nit hin­aus­schleu­dern kön­nen, so wür­de das kaum die Auf­merk­sam­keit der bri­ti­schen Jung­frau auf sich ge­zo­gen ha­ben. Da lag der rote Mur­ray ru­hig am Ran­de des We­ges, und da hielt die Drosch­ke, wel­che das eng­li­sche Fräu­lein zur baye­ri­schen Ruh­mes­hal­le und ih­rer rie­si­gen Wäch­te­rin ge­führt hat­te, auf dem Wege, und der Kut­scher mit un­ter­ge­schla­ge­nen Ar­men und ni­cken­dem Haup­te schnarch­te ru­hig auf sei­nem Bo­cke. Der Wäch­ter des Baye­ri­schen Ruh­mes, der Rie­sin und des Lö­wen schnarch­te wahr­schein­lich eben­falls in sü­ßer Mit­tags­ru­he im In­nern sei­ner Amts­woh­nung. Kein Mensch war zu se­hen, so weit die Send­lin­ger Land­stra­ße zu über­bli­cken war. Kein Mensch auf der Send­lin­ger Land­stra­ße! aber da – da auf dem fal­ben Grün der un­er­mess­li­chen Wie­se – viel nä­her der Stadt als der Ba­va­ria – je­nes hüp­fen­de, hel­le, von Au­gen­blick zu Au­gen­blick win­zi­ger wer­den­de Pünkt­chen – war das ein Mensch?

      Ei ja, – wie auch Miss Chri­sta­bel Ed­dish ih­rer­seits dar­über den­ken moch­te – es war ein Mensch und zwar der Be­sit­zer des Rei­sehand­bu­ches am Ran­de der Bö­schung der The­re­si­en­wie­se! Es war der Ka­pi­tän zu Fuß, Sir Hugh Slid­de­ry, und die lan­ge schma­le Hand im veil­chen­blau­en Hand­schuh auf dem Ran­de des Guck­lochs zuck­te, und das große grün­li­che Auge, das durch das Guck­loch dem Flücht­ling nachsah, schleu­der­te Blit­ze ihm nach, bis die Fer­ne und die Stadt ihn sei­nen Strah­len ent­zo­gen hat­ten.

      Als er ver­schwun­den war, schlos­sen sich die Au­gen einen Mo­ment, dann leg­te sich die lan­ge fein­be­hand­schuh­te Hand über die zor­nig zu­sam­men­ge­zo­ge­nen Brau­en; Miss Chri­sta­bel Ed­dish fass­te sich, wie eine eng­li­sche Maid über­all sich zu fas­sen ver­steht. Sie klemm­te das Glas wie­der fest auf die Nase und stieg – glitt gleich­falls ab­wärts durch Bu­sen, Ma­gen, Un­ter­leib usw. der eher­nen Jung­frau und kam eben­falls auf dem fes­ten Bo­den zu den Fü­ßen des Mo­nu­ments wie­der zum Vor­schein.

      Da stand sie, sich noch im­mer mehr fas­send, blick­te nach dem Rie­sen­haup­te, in wel­chem ihr so­eben das Traum­haft-Fürch­ter­li­che be­geg­net war, zu­rück und em­por, glaub­te so­gar in dem bie­der­be­hag­li­chen Ge­sicht des ru­hig auf sei­nem Hin­ter­teil sit­zen ge­blie­be­nen baye­ri­schen Lö­wen einen Zug dia­bo­li­schen Hoh­nes zu be­mer­ken, wand­te sich mit ver­ach­tend zu­cken­der Lip­pe, und sah sich nun auf der Erde um.

      Schrill zirp­ten die Gril­len im Gra­se. Sonst war wei­ter kein Laut in der hei­ßen Mit­tags­stun­de zwi­schen zwölf und ein Uhr zu ver­neh­men. Noch im­mer schlief der Kut­scher auf dem Bo­cke der Drosch­ke, und der schläf­ri­ge Wäch­ter, der dem Fräu­lein das Loch zu Fü­ßen der Ba­va­ria auf­ge­macht hat­te, schlief gleich­falls im Ste­hen wei­ter und zog sich so­fort nach ge­ta­ner Pf­licht und über die nicht über die Taxe zah­len­de Tou­ris­tin sich wie im Trau­me är­gernd, brum­mend in sein küh­les Ge­häu­se zu­rück.

      Noch einen Au­gen­blick, und Chri­sta­bel spann­te den Son­nen­schirm auf, – noch ein Zu­sam­men­schau­dern und dann ein Ent­schluss! ein fes­ter, ei­ser­ner, un­um­stöß­li­cher, un­er­schüt­ter­li­cher Ent­schluss,

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