Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
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Zu Owen unter Teck, in der niedrigen, schwarz gerauchten Gaststube des Wirtshauses zur Krone, saßen der Baron und Christoph Pechlin beim Frühstück und hatten mancherlei hinter sich. Sie hatten den Grünen Felsen, Sankt Johann, den Uracher Wasserfall, Hohen-Urach, die Stadt Urach und den Hohen-Neuffen hinter sich, und als sie an diesem jetzigen Morgen von Erkenbrechtsweiler nach Owen hinuntergestiegen waren, da mochte es wahrlich zweifelhaft erschienen sein, wer dem anderen in Heiterkeit und Selbstzufriedenheit den Rang abgewonnen hatte, der Exstiftler Christoph Pechle aus dem Schönbuch auf dem steilen Bergpfade oder das Lenninger Tal zur Rechten des Wegs, flimmernd im Sonnenschein, und seine Kirschbaumpracht mit berechtigtem Stolz dem blauen Himmel und den Bergen hinbreitend.
»Wird des en Geischt in diesem Jahr geben!« hatte Christoph, den Begleiter auf die Üppigkeit der Natur aufmerksam machend, in Ekstase gerufen; aber der Baron war leider geistig so herunter, dass ihn selbst die Aussicht auf das Lenninger Tal mit allen den verlockenden Hoffnungen und Verheißungen auf ein außergewöhnlich zu lobendes Kirschwasser nicht aufrichten konnte.
»O ja – aber meine Frau! meine arme Lucie!« hatte Ferdinand gestöhnt, und so waren sie nach Owen in die Krone hinabgestiegen, und Pechle hatte das Frühstück bestellt.
Sie befanden sich jetzt auf der Rückreise. Schon wurden die Pferde des Postwagens, der sie nach Kirchheim zur Eisenbahnstation bringen sollte, vor der Tür angeschirrt, und an dem braungemalten Tische in der Gaststube stieß der Freund dem Freunde den Ellenbogen in die Seite und sagte:
»Du! Rippgen! jetzt nimm noch einmal das Gesicht aus den Händen und schau dem Weltenschicksal in die Augen. Heute Abend sehen wir vom Hohenstaufen aus die Sonne untergehen und morgen überliefere ich dich den Armen der zärtlichsten Gattin von neuem und vertrete alles, was wir beide in Kompanie während der letzten Tage gesündigt haben.«
»Du? uh! o!« stöhnte der Baron, das Gesicht zwar erhebend, jedoch nicht dem Weltenschicksal, sondern dem Reisegenossen aschgrau vor Gewissensangst in die Augen starrend. »Ei ja; du wirst die Glocke an meiner Tür ziehen, wirst mich auf meinen Vorsaal schieben, wirst einen Augenblick horchen, wirst zu deiner eigenen Wohnung hinaufsteigen, wirst über meinem Kopfe niederknien, das Ohr auf den Fußboden legen und von neuem horchen! Ja Christoph, du wirst von neuem horchen; – Widerrede mir nicht, ich kenne dich; und trotz allem wirst du mein einzigster Trost und Lichtpunkt in den kommenden bänglichen Momenten sein, es ist entsetzlich!«
»Bruderherz«, rief Pechle fast gerührt, »du hast vollkommen recht, aber du bist der einzige nicht, dem ich als Tröster im Erdenjammer aufgegangen bin. Erlaube mir; meine lyrischen Gedichte trage ich immer hinten in der Rocktasche, wie ein Johanniswürmle seine Laterne. Hier – da auf Seite Zweihundertsechsundsiebenzig, unter der Überschrift –«
In diesem Augenblick klopfte der Kutscher ärgerlich an das Fenster, und Pechle klopfte zärtlich auf das Bändchen in dunkelgrüner Leinwand mit abgegriffenem Goldschnitt, schob es in den Sack zurück und sagte:
»Du würdest mich in deiner jetzigen Stimmung doch nicht nach Verdienst fassen und würdigen. Steigen wir ein und fahren wir ab; aber da hast du meine Hand drauf, ich werde im richtigen Moment mit dem Stiefelknecht aufpochen. Ja, du bist mein Freund und sollst auch morgen von neuem erkennen, was du an mir wiedergefunden hast.«
»O Gott, o Gott!« stöhnte der Baron und nahm den Arm, den ihm sein heiterer Berater und Vermittler bot und, schwer gestützt auf ihn, wankte er dem Wagen zu und ließ sich hineinheben.
Sie fuhren ab und sämtliches Personal des Wirtshauses zur Krone in Owen drängte sich in der Tür und sah ihnen kopfschüttelnd nach.
»Das eine Mensche’kind sollt i wohl kenne, aber das andere ischt sicher kei’ Landesgewächs, und es ischt mer scho’ recht, wenn d’r Jäckle vorsichtig fährt, – so was muss ma’ ja konserviere, dass noch lange auch andere Leut ihre Freud dra’ habe«, sagte der Kronenwirt.
Über die Fahrt von Owen nach Kirchheim ist nichts zu berichten. Der Baron lag mit geschlossenen Augen in der einen Wagenecke, und Christoph lag in der anderen, blinzelnd durch die Staubwirbel der Landstraße und den hellen Morgensonnenschein, mit seinen lyrischen Gedichten hinten in der Rocktasche und einer Weinflasche vorn zwischen den Knien. Auch von der Eisenbahnfahrt über Plochingen nach Göppingen ist wenig zu erzählen. Mit zwei Leuten, die länger als eine Woche in der schwäbischen Alb herumliefen, ist im Eisenbahnwagen überhaupt wenig anzufangen; aber wenn Ferdinand im unruhigen Schlummer den Weg verschlief und sich selbst beim Wagenwechsel in Plochingen kaum ermunterte, so war Christoph wenigstens doch imstande, auch das Getränk dieser Station zu probieren und ihm die gebührende Ehre zu geben.
In Göppingen speiste man zu Mittag, und hier schlief Pechle einen gesunden Nachmittagsschlaf und wachte der Baron; das Gefühl, die Gewissheit, sich auf dem Heimwege zu befinden, die Aussicht, morgen zu Hause zu sein, ermordeten dem letzteren jeglichen Gedanken an Schlummer und Schlaf. Mit kurzen, aufgeregten, unsichern Schritten lief er auf und ab im Saal, hörte den Reisegefährten schnaufen, friedlich blasen und atmen und blieb nur von Zeit zu Zeit vor ihm stehen, um ihn mit einem Gemisch von Hass und Schutzbedürftigkeit anzuschauen und sofort seinen Marsch in verdoppelter Ruhelosigkeit von neuem aufzunehmen.
Nach drei Uhr erwachte Pechle, gähnte, reckte und dehnte sich, rieb die Augen und schnarrte verdrießlich:
»Was? Bist du schon wach?«
»O ja! – Ja gewiss!«
»Dann lass den Kaffee bringen und zahle die Rechnung. Verzeih mir, ich glaube, ich habe von dir geträumt und werde wahrscheinlich erst unterwegs meine Fassung und meinen Gleichmut wieder gewinnen. O Sechserle, wie kannst du’s nur übers Herz bringen, deinem besten, deinem einzigen