Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Wilhelm Raabe страница 240
»Das ist mir doch zum ersten Mal in meinem Leben passiert, dass mich der Alp am hellen Tage im Mittagsschlaf gedrückt hat. Nimm es mir nicht übel, Sechserle, aber du hast dich mir schwer auf die Brust gelegt. Eine süße Last warest weder du noch deine Gattin, und dann – dann, wie konntest du es wagen, mir Miss Christabel Eddish im Traume vorzustellen?«
»Ich versichere dich, Christoph –«
»Sei ganz ruhig! Ich verzichte auf alle deine Versicherungen, Beteuerungen und Entschuldigungen; allein, wie es mir demnächst möglich sein wird, mich der Dame persönlich zu präsentiere, das weiß ich in diesem Augenblick wirklich nicht, und dich, – ehrlich gestanden, – sehe ich, bis die Vorstellung stattgefunden hat, mit nicht zu bändigendem Widerwillen, um nicht zu sagen Ekel und Abscheu an.«
Sie wanderten fürbass durch den Schurwald, hügelauf und hügelab bis unter den steilen Kegel des Hohenstaufen. Auf diesem Wege hatten sie die Landstraße stets zu ihrer rechten Hand, bald nah, bald weiter ab, jetzt vollständig zu übersehen, jetzt teilweise oder gänzlich durch das Gebüsch oder die Baumstämme ihren Augen verdeckt. Es konnte ihnen also nicht entgehen, dass die zwei Gäule eines Kutschwagens ziemlich gleichen Schritt mit ihnen hielten, ihnen zur Zeit einen Vorsprung abgewannen, um dann wieder hinter ihnen zurückzubleiben.
»Wir werden Gesellschaft beim Nachtessen im Lamm haben«, sagte Pechle. »Ich pfeife zwar darauf, denn der erlauchte Berg zieht sonderbar langweiliges Volk an; allein es kitzelt mich doch immer. Hä, ihr Sachsen, ihr Obersachsen, ihr Meißner, ihr Einwanderer auf slavisches Gebiet, da sitzt ihr mit eurem angemaßten Stammesnamen und eurem Hause Wettin und ärgert euch grenzenlos, wenn wir euch von hier aus eine Nase zudrehen.«
»Was mich anbetrifft, gar nicht!« sagte der Baron Ferdinand von Rippgen, königlich sächsischer Assessor außer Dienst. »Übrigens habe ich über die Sache auch noch gar nicht nachgedacht.«
Darauf sah ihn der schwäbische Ex-Theologe eine Weile an und sprach dann treuherzig:
»Siehscht du, Alterle, das ischt auch einer der Gründe, weswegen wir zwei deutsche Brüder immer so gut zusammen ausgekommen sind! Da ist der Wagen wieder – natürlich voll Frauenzimmer! Und hier sind wir am Ende des Waldes, der Weg nach dem Dorfe hinauf ist noch ein schweres Stück Arbeit. Ein halb Stündle im Schatten wirft meine Uhr noch ab. Nimm Platz und erlaube mir als Autochthonen, dich am Fuße dieses allerhöchsten germanischen Bergkegels nochmals herzlich willkommen zu heißen.«
»Ei ja freilich, hier sitze ich!« seufzte der Freiherr, den Schweiß von der erhitzten Stirn trocknend, und der im Sonnenbrande den Weg zum Dorf Hohenstaufen hinaufkriechenden Kutsche nachblickend.
Süß waren diese letzten Momente der Ruhe im Schatten, selbst für den Baron. Die Aufregungen, Verwirrungen und Kämpfe, welche aber schon die nächste Stunde im Schoße trug, wirkten beim Ausschütteln eben dieses Schoßes dann umso mächtiger durch den Kontrast.
Der Göppinger Mietswagen war längst hinter einer Biegung des Weges verschwunden, als Pechle seinen Zigarrenstumpf auf den Fahrweg warf und sagte:
»Jetzt wird es aber Zeit. Gehen wir also.«
Mühsam suchte der sächsische Freiherr seine Gebeine abermals zusammen und stand auf, so gut es sich tun ließ.
Schweißtriefend erreichten die zwei Freunde die ersten Hütten des Dorfes Hohenstaufen, und Pechle bemerkte:
»Das Betreten dieser seltenen Stätte scheint nicht den gewünschten belebenden Eindruck auf dich zu machen, Ferdinand. Da setze ich denn meine letzte Hoffnung auf das Lamm. Außergewöhnlich unangenehm wär’s, wenn wir das Quartier bereits belegt fänden.«
Das hatte ganz den Anschein, denn als die beiden Wanderer, immer noch bergan steigend, das Lamm in Sicht bekamen, hielt der Göppinger natürlich schon unter der Haustürtreppe, seiner schönen Last entledigt, und Pechle kratzte sich nachdenklich hinter dem Ohr und sprach wehmütig-verdrießlich:
»Meine Ahnungen trügen mich doch nie. Da unten im Ochsen ist Musik und setzt es heute Abend sicherlich Hiebe, und hier ins Lamm hat sich dicht vor unserer Nase das andere Geschlecht eingelegt, und nennt das wahrscheinlich auch, Rosen ins irdische Leben winden. Das muss i sage! Na, wie ischt’s, Lammwirt?«
Von der Treppe seines Hauses herab zuckte der Wirt zum Lamm in Hohenstaufen selbstverständlich die Achseln, während flachshaarige Dorfjugend, zu Haufen um die beiden Ankömmlinge versammelt, sich kein Wort und keinen Gestus der Verhandlungen entgehen ließ, sondern mit aufgesperrtem Maul und Ohr alles in sich hineinschlang.
»Auf dem Tanzsaal kann ich Ihne noch a Bett hinstelle. Das Lumpenvolk, für welches da der rechte Platz wär, hält seine Bettelhochzeit ja doch im Ochse. Trete die Herre ein, die fremden Stadtdame sind schon auf den Berg ’nauf – wie gewöhnlich!«
Also sprach der Wirt zum Lamm in Hohenstaufen von seiner Haustürtreppe herab, und Pechle rief: »Was Besseres hab’ ich mir nimmer gewünscht. Es gilt für den Tanzsaal, Lammwirt. Mutig, Sechserle – noch einen Schoppen Roten, und dann gleichfalls den Berg hinauf – wie ge–wöhnlich!«
Gefolgt vom Baron erstieg er die Treppe und trat in die niedere Honoratiorenstube zur Linken der Tür, und sämtliche flachshaarige hohenstaufensche Dorfjugend machte den Versuch, ebenfalls mit einzutreten, und konnte nur mit Mühe vom Wirt bewogen werden, den Versuch aufzugeben.
In dem Gastzimmer stützte Ferdinand von Rippgen sofort wieder beide Ellenbogen auf den Tisch und den Kopf auf beide Hände; Pechle jedoch, alles Lebensdurstes voll, bestellte den Roten, rieb sich munter auf- und ablaufend die Hände und murmelte:
»Immer vergnügter wird man! Jetzt fehlt mir nur noch der Alte vom Kyffhäuser, um auf der Stelle Brüderschaft mit ihm zu machen. Das wäre etwas! Nachher käme man auch zu einem vernünftigen Gespräch, erführe die Meinung des Alten über die Zukunft Deutschlands, und – dann gingen wir alle