Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Wilhelm Raabe страница 244
»Aber, gnädige Frau – lieber Freund, du hast bis jetzt mich noch nicht dem gnädigen Fräulein vorgestellt! Willst du nicht die Güte haben?«
Und der Baron griff mit beiden Händen zu; – er stellte vor – unter dem heftigsten Feuer der Breschbatterien stellte er Miss Christabel Eddish und Herrn Christoph Pechlin einander vor.
»Mein gnädiges Fräulein«, sagte der Exstiftler, »ich habe mich während des ganzen Marsches durch jene Berge auf ein demnächstiges Zusammentreffen mit Ihnen gefreut; aber dass mir das Glück heute schon und gerade auf diesem glorreichen Punkte zuteil werden würde, habe ich mir doch nicht träumen lassen. Ja, hier mein Freund Rippgen hat mir fast bei jedem Schritt von Ihnen gesprochen. O, Sie hätten ihn sprechen hören sollen, Miss Eddish! Gnädige Frau, wie befinden Sie sich denn? Das lass ich mir gefallen! Es war ein herrlicher Gedanke, uns müden Landstreichern bis hierher auf den Hohenstaufen entgegenzukommen.«
Die englische Maid war vor dem fröhlichen Wortfluss in stummer Hoheit zur Seite getreten; aber die beleidigte Gattin warf ihm sich natürlich entgegen. »Mein Herr«, rief sie, »ich bitte Sie, überzeugt zu sein, dass wir nicht hofften, Sie hier zu treffen!«
»Umso besser! Umso besser und erfreulicher! Mein Gott, und drunten im Lamm übernachten wir auch zusammen. Siehst du, Rippgen, dass unsere Dämonen über uns wachen und uns die richtigen Wege zu führen wissen! Ich hab’ es dir immer gesagt, und du hast nur allzu oft an deinem Schutzengel gezweifelt. Ich an seiner Stelle würde es dir zuletzt übel genommen haben!«
Die gnädige Frau murmelte auch etwas von einem »Dämon« und das scharfe theologische Ohr fasste das Wort und die Bezüge desselben sofort in der richtigsten Weise auf.
»O, gnädige Frau«, rief Pechle mit beiden Händen ablehnend und abwehrend, »wie verkennen Sie mich, gnädige Frau!«
»Wie du aussiehst, Ferdinand?!« wandte sich die Baronin kurz um und an ihren Gatten. »Wie angegriffen! Wie heiß! Wie erschöpft!«
»Teure, liebe Lucie!«
»Findest du nicht auch, Christabel, dass er ganz und gar den zwischen uns ausgetauschten Schreckbildern entspricht? Herr Doktor Pechlin, ehe wir uns trennen, bitte ich Sie gehorsamst, mir zu sagen, was Sie mit meinem Mann während der letzten Tage angefangen haben.«
»Gnädige Frau, ich hab’ ihn wie ein Lamm auf die Weide meines schönen Heimatlandes geführt. Stellen Sie sich ein seidenes, himmelblaues Band an seinem Halse vor –«
»Herr Doktor?!«
»Und erlauben Sie mir nunmehr, Ihnen hier das Ende wieder in die eigenen, treuen, sorgenden Hände zurückgeben zu dürfen.«
»Mein Herr?!«
»Frau Baronin, verlassen Sie sich ganz ruhig darauf, Ihrem Herrn Gemahl ist unter meiner Führung, wenn Sie das wirklich so nennen wollen, nichts zugestoßen, was Ihre Besorgnisse seines körperlichen Wohles wegen erregen könnte. Was aber sein geistig Teil betrifft, so bringt er Ihnen auch das unverringert und unvermindert zurück. Unter meiner Leitung hat er dies Kapital nicht angegriffen und wird also wohl immer noch von seinen Zinsen leben können. So rede doch, sprich doch, Ferdinandle, oder noch besser, küsse deiner guten Frau die Hand, und dann, meine Herrschaften, lassen Sie uns heiter und gehoben die Stelle und die Stunde genießen. Fräulein, wie g’fällt es Ihne denn bei uns in Schwabe?«
Die Miss, welche mit größter Aufmerksamkeit, so gut es ihr möglich war, den häkligen Verhandlungen zwischen Mann, Gattin und Hausfreund gefolgt war, trotzdem dass sie anscheinend zerstreut und mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt mit der Spitze ihres Sonnenschirmes imaginäre Figuren auf den Grasboden der romantischen Höhe gezeichnet hatte, sah auf und sagte:
»Oh indeed, nicht übel, Sir. Und wie gefällt es Ihnen selbst, Sir?«
Das dreizehnte Kapitel.
Das ist das Leiden, dass wir es wahrscheinlich keinem außerhalb der Grenzen des Königreichs Württemberg Geborenen werden begreiflich machen können, wie sehr die Gegenfrage der englischen Miss den schwäbischen Autochthonen überraschte.
»Wie es mir selber g’fällt?« lallte er, die schöne Fragestellerin geöffneten Mundes anstarrend; wir aber versuchen es gar nicht, unserem Publikum die Gründe klar zu machen, aus welchen Herr Christoph Pechlin so äußerst verblüfft aussah.
Herr Christoph Pechle räusperte sich, spie aus und, nachdem er seine Kehle vollkommen gereinigt hatte, sprach er im grollend rollenden Brustton von der Höhe eingeborenster Stammes- und Landschafts-Begeisterung herunter.
»Ausgezeichnet gefällt es mir«, sagte er. »Ihne etwa nicht? O, da ischt doch kein Mensch, der nicht auf diese Stelle mit klopfendem Herzen herkommt und mit Wehmut und Entzücken auf die Gegend und die Menschen hinunter sieht und froh ist, dass er drin und drunter ischt. O, gnädiges Fräulein, wenn Sie jetzt drunten im Tal stünden, so würde ich sagen: Fräulein, Sie stehen mitten im Nabel der Welt! Hier auf der Höhe kann ich, um nicht aus dem Bilde herauszufallen, nur bemerken, dass Sie sich unbedingt auf seinem Rande befinden.«
Miss Christabel Eddish hatte fortwährend Figuren mit der Spitze ihres Sonnenschirmes auf den Boden gezeichnet; jetzt plötzlich fasste sie die zierliche Waffe fest, krampfhaft fest, dicht unter dem Griffe. Miss Christabel wurde sehr rot, um sofort umso bleicher werden zu können. Sie richtete sich in ihrer ganzen jungfräulichen Würde empor, und ihre Lippen zitterten, je fester die Hand den Stock des Schirmes packte. O – Miss Christabel Eddish hatte noch niemals in der Mitte eines Nabels oder an dem Rande eines solchen gestanden. Es war abscheulich, shocking, zu abscheulich! Man konnte sich fest vorgenommen haben, vieles der Seelen- und Völkerkunde wegen zu ertragen; aber dieses ging doch über das Duldungsvermögen reinlicher Weiblichkeit hinaus! Eine Seele hatte dieser Mensch nicht, konnte er nicht haben; wer die Grenzen der Menschheit soweit überschritt, stand in der Tat außerhalb jener Grenzen, stand außerhalb ihres äußersten Randes.