Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

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Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe Gesammelte Werke bei Null Papier

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– Aus­ge­wen­dets­te no­tiert. Ge­hen wir!«

      »Ja, Lie­be, wir ha­ben das Not­wen­di­ge –« be­gann die Baro­nin, ohne dies­mal aus­nahms­wei­se im­stan­de zu sein, fort­zu­fah­ren. Schon war der Baron mit der ängst­li­chen Hast ei­nes Stür­me be­schwö­ren­den Gat­ten der Gat­tin ins Wort ge­fal­len; schon war er in sei­ner Verzweif­lung förm­lich über bei­de Da­men her­ge­fal­len.

      »Ja, mei­ne Lie­be, ja«, keuch­te er, »wir ste­hen ganz zu eu­rer Ver­fü­gung! Willst du mir dei­nen Arm ge­ben, mein Herz? Willst du mir sa­gen, wel­chen Plan ihr euch für eu­ern – eu­ern rei­zen­den Aus­flug zu­recht ge­legt habt? Mei­ne Lie­be, wie ge­sagt, wir sind ganz zu dei­ner und Miss Chri­sta­bels Ver­fü­gung, mein Freund Pech­lin so­wohl als ich. Es wird frei­lich et­was abend­kühl, mein Herz, und du weißt, wie zart dei­ne Ge­sund­heit ist, wie leicht du dich er­käl­test; darf ich dir mein Plaid zum Wege in das Dorf hin­ab an­bie­ten?«

      »Du bist, wie ge­wöhn­lich, all­zu gü­tig, Fer­di­nand«, sag­te die Baro­nin mit ei­nem wie aus ei­nem Eis­kel­ler her­auf­ge­hol­ten Ton, »aber wir dan­ken, so­wohl für dein Plaid wie für dei­ne und die­ses Herrn fer­ne­re Be­mü­hun­gen. Lie­bes Kind, eure Aben­teu­rer­fahrt hat auch uns ein we­nig zu Aben­teu­re­rin­nen ge­macht, und ich habe end­lich ge­lernt, mei­ne Wege al­lein zu fin­den. Was ohne Chri­sta­bel in den letz­ten Ta­gen aus mir ge­wor­den wäre, kann ich nicht sa­gen; aber Chri­sta­bel ist zur rech­ten Zeit zu mir ge­kom­men, und – wir wün­schen heu­te noch nicht nach Stutt­gart zu­rück­zu­keh­ren. Siehst du, mein Freund, ich wei­ne nicht mehr, ich hof­fe so­gar noch ein­mal das Lä­cheln wie­der zu er­ler­nen; und je­den­falls ha­ben wir uns vor­ge­nom­men, ein­mal in der ei­ge­nen See­le nach al­len Rich­tun­gen hin zu er­fah­ren, wie ein sol­ches al­les ver­nach­läs­si­gen­des Va­ga­bon­den­le­ben be­kommt, und wie es sei­ne Rei­ze gel­tend macht. Wir über­nach­ten im Lamm, Chri­sta­bel und ich, und Vir­gi­ny be­rei­tet wahr­schein­lich be­reits den Tee. Üb­ri­gens mei­ne ich mit Chri­sta­bel, dass wir die Rei­ze die­ser Berg­hö­he und die­ses selt­sa­men Zu­sam­men­tref­fens zur Ge­nü­ge ge­nos­sen ha­ben. Ich bit­te dich also freund­lich, dich nicht wei­ter um uns zu be­mü­hen, wir wer­den ge­hen und un­se­ren Weg al­lein fin­den, – nicht wahr, Chri­sta­bel?«

      Mit ei­nem letz­ten Par­the­nos­blick auf Pechle, nick­te Miss Chri­sta­bel Ed­dish has­tig ihre Zu­stim­mung, und mit ei­nem Epo­pöen voll Sar­kas­mus be­deu­ten­den Knix vor dem­sel­bi­gen Pechle schritt die Baro­nin von Ripp­gen bergab. Sie schritt Arm in Arm mit der eng­li­schen Freun­din, und letz­te­re knix­te oder ver­beug­te sich vor nie­mand. Ihre blau­grü­nen Meer­fei­en­au­gen hin­gen starr an der im graublau­en Abend­ne­bel ver­schwim­men­den Alb­ket­te, und es war nicht zu leug­nen, dass die schwä­bi­sche Alb auch in die­sem Mo­ment bei wei­tem schö­ner aus­sah, als der schwä­bi­sche Mensch, Herr Chri­stoph Pech­lin aus Wal­den­buch im Schön­buch­wal­de, und der kö­nig­lich säch­si­sche As­ses­sor au­ßer Diens­ten, Reichs­frei­herr Fer­di­nand von Ripp­gen aus Dres­den. Aber frei­lich, wenn die zwei Her­ren auch nicht schön aus­sa­hen, so bo­ten sie doch dem Be­trach­ter einen un­ge­mein ver­gnüg­li­chen An­blick dar, und es ist recht scha­de, dass wir nicht an die­ser Stel­le dem Le­ser und der Le­se­rin an­statt un­se­rer mat­ten Schil­de­rung ein Licht­bild von bei­den in un­se­ren Be­richt ein­le­gen kön­nen. Da wir das nicht kön­nen, so wol­len wir we­nigs­tens un­ser mög­lichs­tes tun, der Fan­ta­sie un­se­rer Lie­ben und Ge­treu­en auf­zu­hel­fen: wir ver­set­zen uns mit ih­nen recht leb­haft so un­ge­fähr in die Mit­te des zwölf­ten Jahr­hun­derts hin­ein, je­doch ohne un­sern und ih­ren Stand­punkt zu ver­le­gen. –

      Die Au­di­enz auf dem Ho­hen­stau­fen ist eben vor­über. Das kai­ser­li­che Paar hat sich in die in­ne­ren Ge­mä­cher des Palas­tes zu­rück­ge­zo­gen, im Hof­mar­schall­am­te hat die Auf­re­gung und atem­lo­se Ge­schäf­tig­keit ih­ren Gip­fel­punkt er­reicht. Sämt­li­che grie­chi­sche, sa­ra­ze­ni­sche, bur­gun­di­sche, bri­ti­sche und sla­vi­sche Ge­sandt­schaf­ten sind in Gna­den zur al­ler­höchs­ten Ta­fel be­foh­len, – die der ober­ita­lie­ni­schen Städ­te nicht!

      Da ste­hen denn die Mai­län­der! –

      Von den Zin­nen der Burg tö­nen die Po­sau­nen, die Zin­ken, ara­bi­schen Be­cken und Pau­ken. Hei­ter und bunt rau­schen die kai­ser­li­chen Ban­ner mit den grim­mi­gen Ad­lern, die in dem­sel­ben Au­gen­blick viel­leicht über Pa­ler­mo und um Je­ru­sa­lem flat­tern. In bun­ten, mit­tel­al­ter­lich bun­ten Scha­ren drängt sich das In­ge­sin­de über Höfe und Gän­ge, beugt sich aus Ga­le­ri­en und be­geg­net sich auf Trep­pen im glän­zen­den, von dem un­er­schüt­ter­lichs­ten Glau­ben an die ewi­ge Be­rech­ti­gung sei­ner Ge­gen­wart be­seel­ten Wirr­warr. Da läu­tet schon des hei­li­gen rö­mi­schen Rei­ches Ess­glo­cke. Pfor­ten öff­nen sich und schlie­ßen sich, Tor­vor­hän­ge wer­den von heid­nischen Moh­renskla­ven zu­rück­ge­zo­gen, in pracht­vol­len gold- und sil­ber­ge­stick­ten by­zan­ti­ni­schen und ara­bi­schen Ge­wän­dern rau­schen die Da­men der Kai­se­rin und der kai­ser­li­chen Prin­zes­sin­nen her­vor und dem Spei­se­saa­le zu. Auch die Kai­se­rin sel­ber und die Prin­zes­sin­nen ge­hen zum Es­sen, – die Sup­pe sieht auf dem Ti­sche, und drau­ßen vor den ho­hen To­ren be­la­gert das Volk der Um­ge­gend den gan­zen Berg bis un­ter die Burg­mau­ern. Neu­er schmet­tern­der Hall der krie­ge­ri­schen In­stru­men­te von Wall und Turm! Mit of­fe­nem Mau­le gafft das Volk an den Boll­wer­ken em­por und horcht mit tiefs­ter Ehr­furcht dem Klin­gen, Rol­len und Rau­schen des kai­ser­li­chen Ho­fla­gers; auch mit ei­nem ge­wis­sen, ge­hei­men, aber nicht un­er­klär­ba­ren Grau­en horcht es.

      Las­sen wir je­doch das Volk au­ßer­halb der Mau­ern. In­ner­halb der Burg fühlt sich je­der­mann auf die eine oder die an­de­re Wei­se be­frie­digt, bis auf die bei­den Her­ren aus dem un­bot­mä­ßi­gen Mai­land.

      Da ste­hen sie im­mer noch im Hofe und se­hen sich an!

      An ih­nen vor­über schrit­ten lei­se und hä­misch lä­chelnd oder wür­dig die Köp­fe schüt­telnd die di­plo­ma­ti­schen Kol­le­gen, und eben noch schrei­tet Ky­ri­os Pro­to­s­pa­dai­os Phil­adelphos Ar­te­pi­bo­p­los, der Pres­den­tes aus Kon­stan­ti­no­po­lis an ih­nen vor­bei und streift sie, zu Tisch ge­hend, höh­nisch mit dem Sau­me sei­nes rö­mi­schen Pa­tri­zi­er­ge­wan­des. Und das ist noch nicht ein­mal das Ärgs­te! Nein, an ih­ren Na­sen vor­über wer­den von den kai­ser­li­chen Hof­kö­chen die köst­lich damp­fen­den und duf­ten­den Schüs­seln ge­tra­gen, und so­weit von der höchs­ten Zin­ne des Ho­hen­stau­fen das Auge reicht über den Ni­bel­gau in den Brenz­gau, über den Al­be­gau in den Bur­gau und über das Pleo­nun­ge­tal in den Erit­gau bis hin zur Burg Zol­re ist für sie, die lom­bar­di­schen Her­ren, kei­ne Ta­fel ge­deckt, kein Tel­ler ge­setzt, kein Stuhl zu­ge­rückt! Ver­set­zen wir uns nur mit der Dich­ter­kraft des zwölf­ten Jahr­hun­derts, also mit mög­lichs­ter Le­ben­dig­keit, in die Lau­ne und Stim­mung der bei­den Si­gno­ri, und wen­den wir ihm, dem zwölf­ten Sae­cu­lo den Rücken! In dem Mo­ment, in wel­chem wir uns im neun­zehn­ten Jahr­hun­dert in Si­cher­heit wis­sen wer­den, wer­den wir auch voll­kom­men im­stan­de sein, den Mie­nen und den Bli­cken des Barons Fer­di­nand

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