Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
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Weich schmiegte sich der Schatten der beiden Damen – nämlich der Freifrau Lucia von Rippgen und der englischen Miss Christabel Eddish an den weichen Grasteppich unter und zu ihren Füßen.
Sie waren es! Ja, sie waren es, die Baronin und Miss Christabel! Da waren sie, da standen sie im goldenen Abendsonnenschein auf dem Gipfel des Hohenstaufenberges und blickten hin auf das Herzogtum Schwaben: das englische Fräulein still und ziemlich unangefochten, die Baronin aber im heftigen Kampf mit den unendlichen Mückenschwärmen, welche sich vorzugsweise an sie, die deutsche Frau und Heldin hielten, sie immer näher und näher umtanzten und immer unverschämter ihren Reizen huldigten!
Die beiden Damen blickten augenblicklich nicht auf den nach dem Dorfe hinabführenden Fußweg, sondern, wie gesagt, auf die in abgestuftem Blau sich hindehnende Kette der Alb.
»Sieh, Teure, wie schön, wie herrlich, wie erhaben – o diese entsetzlichen Mücken!« rief die Baronin. »Welch ein Eden ist diese Welt – könnte diese Welt sein, ohne so vieles, vieles – diese Mücken sind unerträglich! was nicht hineinpassen will! Christabel, fassest du mich denn? Ja, ja, wir fühlen uns vollkommen eins in diesen unaussprechlichen Gefühlen! Schau doch jene Gebirge, wie sie uns hold lächelnd zuwinken! Erregen sie dir auch dieses süße, namenlose Heimweh nach einer noch bessern Welt – nach unserer Welt, unserer eigenen wirklichen, wahren Welt?«
»O yes, it is very fine, indeed!« seufzte die Engländerin, ohne ihr intensives Anstarren der Landschaft zu unterbrechen.
»Ach, diese Berge, diese herrlichen Berge«, fuhr die Baronin fort, mit dem duftenden Taschentuch den vergeblichen Kampf gegen die Scharen ihrer geflügelten Feinde fortsetzend, »diese herrlichen Berge, mit ihren lieblichen, von hier nur geahnten, idyllischen Tälern; welch einen tieferen, objektiveren, ruhigeren, wonnigeren Eindruck würden sie auf mein Herz machen, ohne die bedrückende Vorstellung, dass augenblicklich jene beiden herzlosen, seelenlosen Menschen auf und in ihnen umherschweifen! Ich weiß es ja, Christabel, du siehst alles nicht nur mit meinen Augen, sondern auch mit meiner Seele; aber es ist doch – mein Mann, den dort in jener duftig entzückenden Ferne der widerliche Mensch, dieser – Pech–le, die–ser Ver–führer hinter sich herschleppt! Hinter sich herschleppt? O Gott nein, aus freien Stücken ist er mitgegangen und läuft er vielleicht ihm voraus, der Abscheuliche – mein Ferdinand!«
»Welches ich doch nicht glaube«, sagte die Engländerin.
»Du glaubst es nicht?!«
»No! Weil ich es ihm nicht zutraue, dass er vorgeht dem anderen. Es ist nicht sein Charakter.«
»Vielleicht! Aber das ist doch gleichgültig und entschuldigt ihn gar nicht – die Mücken sind fürchterlich! – und wer weiß, ob nicht vielleicht gerade in diesem Augenblick, dort auf jenem mir dem Namen nach nicht bekannten Gipfel im Abendduft die beiden harten Ungeheuer wie wir hier Arm in Arm stehen und hierher herüberschauen, wie wir dorthin. O, ungezählte Schätze für ein einziges Zucken aus unserer Gemütswelt durch die rohen Gemüter jener beiden! Ach, Christabel, Christabel, du kennst die zwei Patrone nicht! Ach Süße, was ist doch der Mensch, wenn ihm für das Bewusstwerden der eigenen Nichtigkeit, – und wenn ihm für – unser Sehnen nach der ewigen, ungestörten Sabbatsruhe des Lebens jegliches Organ fehlt?!«
»O–i, Sabbatsruhe!« murmelte die Engländerin, die Augenbrauen zusammenziehend und mit einem schaudernden Schulterzucken, das nur von einer plötzlichen fröstelnd kalten oder siedend heißen Erinnerung an jene träumerische Ruhe im Haupte der Bavaria und die unvermutete Störung dieser Ruhe durch den Kapitän Sir Hugh Sliddery herrühren konnte. Miss Christabel zog auch ihren Arm aus dem der Freundin und sagte:
»Du sprichst sehr gut, Lucy; aber du musst es mir nachher noch einmal zeigen in deinem diary, deinem Tagbuch, was du mir gesprochen hast, dass ich es gänzlich verstehe. O ja, diese Umgegend ist sehr schön zu besehen, von diesem erhobenen Standpunkt aus besehen; aber was ist uns diese schöne Gegend anderes als die Folie von das bright, polished, das spiegelglatt Elend von unseren Herzen? Wir besehen nur unsere Tränen in that mirror of beauty, in dem Schönheitsspiegel, welchen nature uns vorenthält. O Lucy, wenn wir doch allein mit uns wären in dieser betrügungsvollen existence. Alas, what creeps, ach Gott, was kriecht alles mit uns durch diesen Spiegel? Da, look, da kommen schon wieder zwei Gentlemen den Berg hinaufwärts, und unsere gehobene Ruhestunde ist zu Ende.«
»Es ist unerträglich!« seufzte die Baronin, fügte hinzu: »Sehen wir nicht hin!« – und blickte zum Himmel empor, den Kampf mit den irdischen Mücken notgedrungen ohne Unterbrechung fortsetzend.
Christabel neigte das Haupt und lehnte sich von neuem an die zärtliche Freundin und wandte ebenfalls die Augen von der schlechten, gemeinen, verdrießlichen Erde ab und den Rosenwolken des Sonnenuntergangs zu. Beide Damen hatten die feste Absicht, sich nicht im mindesten um die zwei heransteigenden atembegabten Erdklöße männlichen Geschlechts zu kümmern, sie nicht anzusehen, ihnen den Rücken zu wenden, kurz, gar nicht für sie da zu sein. Es kam nur darauf an, ob die Freifrau Lucie von Rippgen oder die britische Jungfrau Miss Christabel Eddish diesem, der Stunde und der Stimmung so sehr angemessenen, echt weiblichen und idealischen Vorsatz zuerst untreu werde.
»Richtig, da sind sie, und zwar für jeden eine!« sagte Pechle, auf die zwei Sonnenschirme deutend. »Mit dem irdischen Jammertal scheinen sie fertig zu sein; aber den Speisezettel im Lamm haben sie sich doch herzählen lassen, ehe sie zu Berg stiegen. Ich habe es in der Küche in Erfahrung gebracht, als ich mich ebenfalls nach ihm umsah. Ach, ein himmlischer A–bend –«
Es ist zwar ein großer, längst nicht genug gewürdigter Vorzug des Menschengeschlechts, aufrechten Hauptes das Firmament betrachten zu können; allein lange hält es niemand aus, vorzüglich wenn er, um über die Erde wegzusehen, den Zenit ansieht.
In ein und demselben Moment wurden