Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
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»Das ischt richtig; aber – Herrgottssakrament, wo bleibt denn da die Logik? Herrgott, ischt das a Vergleich mit deine Lämmer! Was? Sind wir dazu da, uns von ihne schere zu lassen? O du, Ferdinand, wenn es deiner liebenden Gattin so sehr Bedürfnis ist, Strümpfe von deiner Wolle zu tragen, so bin ich auch noch da, und was diese Engländerin anbetrifft, so – o Gott, Ferdinand, so ischt das weiß Gott ein göttlichs G’schöpf, und sie mag mir antworten oder nicht, fürs erschte bin i noch nicht mit ihr fertig!«
Das vierzehnte Kapitel.
Die Sonne war hinter die westlichen Berge hinabgeschlüpft, auch von dem kahlen Staufengipfel hatte die Dämmerung Besitz ergriffen. Die lichten Sommertoiletten der bergab schwebenden Damen leuchteten immer mehr en miniature aus der Tiefe, dem Dorfe zu; aber sie leuchteten doch noch. Zwei Pünktchen, zwei sich stets verkleinernde Pünktchen glänzten sie am Bergeshange, und es lag nicht an ihnen, wenn die zwei Herren auf der Höhe den Gegensatz zwischen ihnen und der weiten unermesslichen Welt nicht aufs deutlichste ins Bewusstsein aufnahmen.
Wer aber macht sich das eben angedeutete Gefühl vollständig klar? Nur derjenige, welcher von der Spitze des Montblanc aus seinen Todfeind durch das Fernrohr drunten im Tale vor dem Wirtshause sitzen sah und das innigste Bedürfnis fühlte, den Lumpen tränenden Auges an das Herz zu ziehen, bis – der beschwerliche Rückmarsch vollendet war, und in demselbigen Wirtshaus im Tal der Brief begonnen wurde, der den Advokaten daheim dringend aufforderte, den Prozess gegen den eben abgereisten Halunken ja nicht aus dem Auge zu verlieren. –
Der Baron hatte den ängstlich baumelnden Nasenklemmer mit zitternder Hand von neuem auf den Nasenbug festgedrückt; der Exstiftler hatte beide Fäuste in die Hosentaschen geschoben, und beider Augen hafteten angestrengt an den zwei Pünktchen, die auf den Busen oder Herzen dieser deutschen Heldenmänner schwerer wogen, als alle Berge und Felsen in der Nahe und Ferne – Lias, Trias und Jura durcheinander – das ganze Sammelsurium mit sämtlichen Versteinerungen, wie es die schwäbische Alb dem entzückten geologischen Forscher darbietet.
»O du gütiger Himmel, was fangen wir an? Das ist jetzt doch die Hauptfrage!« stöhnte der Baron.
»Ha ja, was fange mer an? Eine Hauptfrage ist das freilich«, sagte Pechle. »Mer eine zweite Frage ist: Wie fühlen wir uns?«
»Wie fühlen wir uns?!« ächzte Ferdinand.
»Ich, wie ein Teekessel, der eben ins schönste romantisch-historische Singen kommen wollte, als er von den Kohlen abgehoben wurde!« rief Pechle. »Beim Griffel des Aristophanes, was hätte mir alles durch die Schnauze ausgehen können? Ich darf gar nicht daran denken, und mein einziger Trost ist, dass ich wenigstens meine Gedichte in der Rocktasche habe. Das meiste von Bedeutung steht drin, und neue Gesichtspunkte hätte mir vielleicht selbst die Unterhaltung mit diesem göttlichen Mädle nicht verliehen, – das tröstet mich wahrlich, Sechserle.«
»Aber mich nicht, Pechlin.«
»Ha ja, und das wäre denn wohl die dritte Frage, was du anfangen wirst?! Es ist freilich schon richtig, dass die Weiber und vorzüglich deine Frau uns mit äußerster, wenigstens anscheinend äußerster Gemütsruhe haben abfahren lassen, und wenn ich an ihrer Stelle wäre, würde ich wie sie da unten meinen Triumph zu würdigen wissen. Wer das hilft dir freilich nicht! Na, weißt du, sie logieren im Lamm, und das Lamm kenne ich. Es ist recht gut in seiner Art, für dich und mich sogar ausgezeichnet; allein für zwei verzogene Engel aus den höchsten Sphä– wollte ich sagen höheren Ständen, lässt die Bequemlichkeit und Verpflegung doch manches zu wünschen übrig. Weißt du, jetzt lassen wir’s fürs erste dunkel werden, so dunkel als möglich; denn blamiert sind wir, das sieht fest; gründlich, nachdrücklichst, erschütternd auf den – gesetzt sind wir – und – solange ich noch meine Schande und Schamröte erblicken kann, steige ich den wonnigen Kreaturen nicht nach –«
»Ich bliebe am liebsten ganz hier oben!« seufzte der Baron leise.
»Das ist ein Gedanke! Aber nein, bei besserer Überlegung lässt sich das doch nicht durchführen. Nach Mitternacht legt sich die Aufregung und wächst die Kälte in der Natur. Ferdinand, es bleibt uns nichts anderes übrig, als dass wir es Nacht werden lassen – ägyptische Finsternis womöglich – und uns ihnen sodann nach – schleichen, ja schleichen – hinunter in das Lamm. Nachher erwarten wir das weitere und fügen uns in die Umstände.«
»Du hast gut reden, Christoph. Du hast nicht hinter deinem angetrauten Weibe herzuschleichen, und nimmst im Notfall als einfacher Tourist Quartier im Ochsen.«
»Das ist richtig; aber ist dein Weib nicht gleichfalls dann und wann hinter dir hergeschlichen, Rippgen?«
»O gewiss! Aber das ist doch ganz etwas anderes!«
An dieser Stelle seufzte auch der Exstiftler, zuckle die Achseln und schrie fast wütend:
»Jetzt wird mer alles einerlei! Und allmählich auch du, Rippgen, nimm mir’s nicht übel! Bei der dreiköpfigen Hekate, dreierlei steht uns frei. Entweder wir laufen durch die Dunkelheit nach Göppingen, oder wir suchen beide im Ochsen ein Unterkommen, oder wir zeigen uns als Männer und ziehen den beiden Weibern nach ins Lamm. Im Ochsen ist Hochzeit, Musik und Tanz, und hineingucken werde ich jedenfalls; aber im Lamm auf dem Tanzboden übernachte ich, und – du auch, Ferdinand, Baron von Rippgen! Bei allen Dogmen des einundzwanzigsten Jahrhunderts, wir übernachten im Lamm zu Hohenstaufen!«
»O Pechle«, sagte der Baron gebrochen, »wenn du eine Ahnung davon hättest, wie weh mir zumute ist, so würdest du nicht so grob und auffahrend gegen mich sein.«
»Nun, nun, es war eben nicht so böse g’meint.«
»Wenn ich das auch weiß, so ändert es doch nichts an meinem Befinden. Siehst du, ich habe mich deiner Führung einmal anvertraut, und wenn ich auch nicht sagen kann, dass es zu meinem Vergnügen gewesen ist, so bin ich doch augenblicklich nicht imstande, etwas anderes zu sagen, als: mach, was du willst. Ach Christoph, Christoph, ich habe mich niemals in meinem Leben so schwach und hinfällig in meinen Beinen gefühlt, als in diesem Moment. Du bist mein Freund, und ich schäme mich nicht, dir zu sagen, dass ich mich sehr