Mami Staffel 7 – Familienroman. Lisa Simon
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Wieso konnte er sich auf einmal nicht mehr darüber freuen?
*
Melinda weigerte sich in den kommenden Tagen, auch nur in den Garten hinauszugehen, aus Angst, der Sonnenbrand könnte sich verschlimmern. Da nutzte auch alles gütige Zureden nichts, Mel blieb im Haus, lag die meiste Zeit im Bett und sah fern, während sie gleichzeitig versuchte, Stephan mit allen möglichen Sonderwünschen auf Trab zu halten.
Dafür wurde sie allerdings abends munter. Dann waren Disco, Spielkasino oder schicke Restaurants angesagt. Ein paarmal versuchte Stephan, seine Verlobte für die verschiedenen Attraktionen zu interessieren, die Norderney zu bieten hatte, aber Melinda schüttelte nur mit angewiderter Miene den Kopf, wenn Stephan zum Beispiel eine Planwagenkutschfahrt oder eine Wattwanderung vorschlug.
Neidisch sah er Roberta hinterher, als diese eines Tages zusammen mit den Zwillingen zu einer Kutterfahrt aufbrach.
»Laß uns doch auch mal etwas unternehmen«, meinte er, während er sich vom Fenster abwandte. »Das Wetter ist so herrlich, wir könnten eine Fahrt zu den Nachbarinseln machen oder mal an einem dieser Rundflüge, die hier angeboten werden, teilnehmen. Immer nur zu Hause herumsitzen ist doch langweilig.«
Melinda maß ihren Verlobten mit einem langen, abschätzigen Blick.
»Manchmal glaube ich, wir passen einfach nicht zusammen.« Ihre Stimme klang so kühl, als spräche sie mit einem x-beliebigen Fremden. »Rundflüge, Inselfahrten, Wattwandern, das ist doch langweiliger Spießerkram. Glaubst du vielleicht, ich zwänge mich mit dickbäuchigen Familienvätern, zeternden Müttern und kotzenden Kindern auf einen Fischkutter? Oder in einen Planwagen? Nein, mein Lieber, wenn dir so etwas Spaß macht, dann – bitte – tu dir keinen Zwang an. Ich für meinen Teil verzichte darauf.«
Stephan schüttelte den Kopf.
»Aber den ganzen Tag im Bett liegen, fernsehen und abends in die Disco ist schick, ja?« Er konnte seinen Ärger und den Spott nicht länger verdrängen. »Da kommt man als Urlauber so richtig auf seine Kosten, nicht wahr? Mein Gott, Mel, hast du eigentlich noch nicht bemerkt, wie weit du dich vom wirklichen Leben entfernt und in ein künstliches Dasein manövriert hast?«
»Künstliches Dasein?« Melindas Miene wurde hochmütig. »Falls du mit ›richtigem Leben‹ das meinst, was sich im Nachbarhaus abspielt, dann kann ich wirklich gern drauf verzichten. Ich sehe meine Erfüllung nicht darin, mit zweit rotznasigen Gören irgendwo auf einer Insel abgesetzt zu werden. Aber dir scheint das ja zu gefallen. Wieso gehst du nicht rüber, zu dieser Superhausfrau und Mutter, und unternimmst mit ihr all die netten Kutsch- und Schiffs- und Besichtigungsfahrten, die dir ja anscheinend abgehen?«
»Auf jeden Fall hat Roberta hier mehr Spaß als wir.« Die Worte waren heraus, bevor Stephan sie zurückhalten konnte.
Melindas Augen verwandelten sich zu zwei schmalen, blitzenden Schlitzen.
»Ah, Roberta heißt die Dame, so weit seid ihr also schon!«
»Wir sind gar nichts«, wehrte Stephan erbost ab, aber das nutzte nichts. Mit diesem einen Satz hatte er seiner Verlobten den Anlaß geliefert, einen handfesten Streit vom Zaun zu brechen.
»Ich merke doch, daß dir diese hausbackene Schönheit gefällt«, warf Melinda ihrem Verlobten vor. »Sie hat es dir angetan, diese Mutti. Wahrscheinlich träumst du schon heimlich davon, der Stiefvater ihrer Gören zu werden und noch ein eigenes dazuzubasteln. Aber bitte, tu dir keinen Zwang an. Ich kann auch ohne dich leben.«
»Ja, wahrscheinlich sogar besser«, versetzte Stephan wütend. Er war eine Seele von Mensch, der nicht so schnell aus der Bahn lief, aber wenn man ihn lange genug nervte, konnte auch er unfreundlich werden. »Du bist doch sowieso nur an deinem Job interessiert. Und wenn du wirklich mal ein paar freie Minuten hast, schläfst du. Wozu brauchst du da einen Partner? Zum Bettenmachen?«
»Ach, jetzt wirfst du mir also meinen Ehrgeiz und Erfolg vor, ja?« kreischte Melinda. »Die kleine Frau darf arbeiten, ja, natürlich, aber bitte schön, nur soviel, daß für den gnädigen Herrn noch genügend Zeit bleibt, ihn zu betüteln und zu umsorgen. Mensch, was bist du für ein elender Spießer geworden.«
»Ja, aber erst, seit ich dich kenne!« Jetzt war Stephan alles egal. »Früher habe ich gern mal etwas Verrücktes angestellt, aber mit dir ist ja absolut nichts los. Außer Parties und Einkaufsmarathons interessiert dich nichts!«
»Ich sag’ doch, du kannst jederzeit gehen!« Melinda trieb es auf die Spitze, sie wußte, daß sie alles auf eine Karte setzte, aber sie wollte das Schicksal herausfordern. Wenn sie jetzt gewann, würde Ste-phan ihr aus der Hand fressen, wenn nicht – nun, dann war es auch nicht weiter schlimm. Sie konnte keinen Partner gebrauchen, der Ansprüche stellte. Vor allem konnte sie keinen gebrauchen, der sich heimlich nach häuslichem Frieden, einem Reihenhaus und Kindern sehnte.
Stephan spürte, daß der Streit auszuufern drohte. Aber er wollte diesen Urlaub nicht mit einer häßlichen, überstürzten Trennung beenden. Schließlich liebte er Melinda doch! Sie war die Frau, die er heiraten wollte. Er mußte einfach Geduld haben, ihr Zeit lassen, den Ballast des Alltags abzuwerfen, dann würde sie bestimmt wieder die alte liebe Mel sein.
»Lassen wir das«, sagte er schnell und wandte sich zum Gehen. »Dieser Disput bringt absolut nichts. Ich bin heute abend wieder zurück.«
Damit verließ er die Küche und trat auf den Gartenweg hinaus. Gleich darauf war er zwischen den Dünen verschwunden, die den Blick zum Meer versperrten.
Melinda stieß einen ärgerlichen Laut aus, aber dann wurde ihr bewußt, daß Stephan die Segel gestrichen hatte. Sie war also die Siegerin geblieben. Keine Frage, daß sie ihn jetzt wieder fest am Haken hatte.
Zufrieden kehrte sie ins Schlafzimmer zurück und legte sich ins Bett. Sollte sich Stephan Appetit holen, wo er wollte, Hauptsache, er war zum Essen wieder zu Hause!
*
In den kommenden Tagen brachte ein Tief Regen und unangenehme Stürme, die die Urlauber vom Strand vertrieben. Um die Kinder, die natürlich am liebsten ins Wasser wollten und jeden Morgen traurig zum Himmel hinaufsahen, abzulenken und vor allem zu beschäftigen, unternahm Roberta mit ihnen einige Besichtigungstouren, die sie sich extra für schlechtes Wetter aufgehoben hatte.
Allein die Fahrt mit der Frisia-Fähre nach Norddeich hinüber war für die Zwillinge schon ein Erlebnis, das sie jedesmal aufs neue begeisterte.
In Norddeich selbst gab es die Robbenaufzuchtstation, die natürlich interessant war. Ein anderes Mal besuchten sie das Teemuseum in Norden, sahen sich die Mühlen in Greetsiel an, besichtigten das Buddelschiffmuseum und unternahmen abschließend eine kleine Hafenrundfahrt.
Auch der Besuch des Seenotrettungsschuppens und des Rettungsbootmuseums begeisterte die Zwillinge so, daß sie tagelang wild entschlossen waren, später einmal selbst Rettungsmann bzw. Rettungsfrau zu werden.
Nachdem Roberta alle für die Kinder interessanten Sehenswürdigkeiten besichtigt hatte und es immer noch regnete und stürmte, blieb nur noch das Schwimmbad übrig, das Julchens und Willys Zustimmung finden konnte. Am Anfang moserten die beiden ein bißchen, aber nachdem sie die großzügige Badelandschaft erblickt und in den mit echtem Meerwasser gefüllten Becken herumgeplanscht hatten, waren sie doch begeistert.