Amerikanische Reise 1799-1804. Alexander von Humboldt
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Als der erste Band von Humboldts Versuchen … (1797) vorlag, stieß sich Schiller an den vermittelnden Formeln und steigerte sich in einen ehrlichen Ärger hinein, der leicht gelindert worden wäre, wenn er eine Diskussion mit Humboldt gesucht hätte. Dabei wäre zutage getreten, dass diese pasigraphischen Darstellungsversuche durchaus den Zusammenhang des lebendigen Organismus nicht verstümmelten, sondern nur Vorläufer größerer Ideen waren. Goethe und Körner verstanden Humboldt besser, Schiller aber wandte sich energisch gegen die Buchstabenformeln. Sein Verhältnis zu Humboldt erschien schon nach der Publikation des Rhodischen Genius abgekühlt. Jetzt griff er Alexander scharf an. Als sich die Humboldts gerade in Dresden aufhielten, schrieb Körner an Schiller: »Alexander von Humboldt ist mir ehrwürdig durch den Eifer, mit dem er sein Fach betreibt. Für den Umgang ist mir Wilhelm genießbarer, weil er mehr Ruhe und Gutmüthigkeit hat. Alexander hat etwas Hastiges und Bitteres, das man bei Männern von großer Thätigkeit häufig findet. Wilhelm ist mir sehr lieb geworden, und ich habe mit ihm viele Berührungspunkte.«148 Schiller antwortete am 6. August 1797 und begrüßte, dass sich Körner so gut mit Wilhelm verstände, dem er gewiss mehr zu danken hätte als seinem jüngeren Bruder: »Ueber Alexander habe ich kein rechtes Urtheil; ich fürchte aber, trotz aller seiner Talente und seiner rastlosen Thätigkeit wird er in seiner Wissenschaft nie etwas Großes leisten. Eine zu kleine, unruhige Eitelkeit beseelt noch sein ganzes Wirken. Ich kann ihm keinen Funken eines reinen, objectiven Interesses abmerken – und wie sonderbar es auch klingen mag, so finde ich in ihm, bei allem ungeheuern Reichthum des Stoffes, eine Dürftigkeit des Sinnes, die bei dem Gegenstande, den er behandelt, das schlimmste Uebel ist. Es ist der nackte, schneidende Verstand, der die Natur, die immer unfaßlich und in allen ihren Punkten ehrwürdig und unergründlich ist, schamlos ausgemessen haben will und mit einer Frechheit, die ich nicht begreife, seine Formeln, die oft nur leere Worte und immer nur enge Begriffe sind, zu ihrem Maßstabe macht. Kurz, mir scheint er für seinen Gegenstand ein viel zu grobes Organ und dabei ein viel zu beschränkter Verstandesmensch zu sein. Er hatte keine Einbildungskraft, und so fehlt ihm nach meinem Urtheil das nothwendigste Vermögen zu seiner Wissenschaft, denn die Natur muß angeschaut und empfunden werden in ihren einzelnsten Erscheinungen wie in ihren höchsten Gesetzen. Alexander imponirt sehr vielen und gewinnt im Vergleich mit seinem Bruder meistens, weil er ein Maul hat und sich geltend machen kann. Aber ich kann sie dem absoluten Werthe nach gar nicht miteinander vergleichen, so viel achtungswürdiger ist mir Wilhelm.«149 Körner hielt nicht mit seinem gerecht abwägenden Urteil zurück und vertrat in auffälliger Weise Alexanders Standpunkt, als er am 25. August 1797 antwortete: »Dein Urtheil über Alexander von Humboldt scheint mir doch fast zu streng. Sein Buch über die Nerven habe ich zwar nicht gelesen, und kenne ihn nur aus dem Gespräch. Aber gesetzt, daß es ihm auch an Einbildungskraft fehlt, um die Natur zu empfinden, so kann er doch, däucht mich, für die Wissenschaft vieles leisten. Sein Bestreben, alles zu messen und zu anatomiren, gehört zur scharfen Beobachtung, und ohne diese gibt es keine brauchbaren Materialien für den Naturforscher. Als Mathematiker ist es ihm auch nicht zu verdenken, daß er Maaß und Zahl auf alles anwendet, was in seinem Wirkungskreise liegt. Indessen sucht er doch die zerstreuten Materialien zu einem Ganzen zu ordnen, achtet die Hypothesen, die seinen Blick erweitern, und wird dadurch zu neuen Fragen an die Natur veranlaßt. Daß die Empfänglichkeit seiner Thätigkeit nicht das Gleichgewicht hält, will ich wol glauben. Menschen dieser Art sind immer in ihrem Wirkungskreise zu beschäftigt, als daß sie von dem, was außerhalb vorgeht, große Notiz nehmen sollten. Dies gibt ihnen den Anschein von Härte und Herzlosigkeit.«150
Merkwürdigerweise hat man den Ursprung dieser Schillerschen Kritik bald ganz übersehen und sein geharnischtes Schreiben zusammenhanglos zitiert. Sein Ärger entzündete sich ausschließlich an Humboldts ersten pasigraphischen Versuchen, wie schon Palleske und Löwenberg erkannten.151 Eine Feindschaft hat der in dieser Beziehung empfindliche Schiller nie gegen Humboldt gehegt. Beide hatten medizinische Studien getrieben und oft über die Experimente zu den Versuchen … gesprochen.152 Insofern bedeutete Schillers Kritik keine Trennung, sondern nur ein Abrücken von Humboldt, der übrigens diese Ablehnung getrost hinnahm.
12. DER INNERE ZWECK DER WISSENSCHAFT
Rechtfertigung reiner Forschung
Schon nach dem Erscheinen des ersten Bandes war verschiedentlich Kritik laut geworden. Anderen wollten Versuche, die Humboldt beschrieben hatte, nicht gelingen. Damit waren diese natürlich nicht widerlegt, und offenbar erschienen Alexander selbst andere Einwände viel wichtiger. So hatte man auch nach dem praktischen Nutzen dieser Experimente gefragt. Worin sollte er denn liegen, was für einen Zweck hatte dieser Aufwand? Humboldt erteilte eine zugleich als Zeitkritik bedeutsame Antwort. Er glaubte, »in einem Zeitalter, wo man Früchte oft vor der Blüthe erwartet und vieles darum zu verachten scheint, weil es nicht unmittelbar Wunden heilt, den Acker düngt oder Mühlräder treibt«, dieser Frage nicht ausweichen zu können. Man nennt, sagte er, »die Cetomologie und die Conchiologie ein ergötzendes Spielwerk, weil beide Wissenschaften keinen unmittelbaren Bezug auf technische Gewerbe haben. Man hält den philosophischen Forschungsgeist zurück, die Bahn zu verfolgen, auf der er sich den innern Zusammenhang seiner Erkenntnis aufzufassen schmeichelt, und setzt ihm ein bestimmtes äußeres Ziel, nach dem er mittelbar hinarbeiten soll.«153 Humboldt gab eindeutig eine Antwort, die für seine wissenschaftliche Gesinnung richtungweisend bleiben sollte: »Man vergißt, daß Wissenschaften einen inneren Zweck haben, und verliert das eigentlich litterarische Interesse, das Streben nach Erkenntniß als Erkenntniß, aus dem Auge.« Denn: »Alles ist wichtig, was die Gränzen unseres Wissens erweitert und dem Geist neue Gegenstände der Wahrnehmung oder neue Verhältnisse zwischen dem Wahrgenommenen darbietet.«154 Damit wies er der zweckfreien Forschung, dem reinen Erkenntnisstreben, den Weg, ohne sich von der Aufklärung zu trennen, die eben viele Möglichkeiten der Stellungnahme kannte.
Das Urteil über Humboldts Werk war sehr stark durch die im ersten Band mitgeteilten galvanischen Versuche bestimmt, hauptsächlich wegen des modischen zeitgenössischen Interesses.155 Darauf deutet auch die Tatsache hin, dass der französische Übersetzer, der Arzt Jadelot, sich 1799 nur des ersten Bandes annahm, weil man auch in Frankreich »offenbar weit mehr am Galvanismus als an einer Erschließung der reizphysiologischen Forschungsprobleme interessiert« war.156
13. ANREGUNGEN FÜR FORSCHUNGSREISEN
IN DEN »VERSUCHEN«
Umriss einer medizinischen Geographie
In den Versuchen … kündigte sich auch die große Reise, die Humboldt nach den Tropen plante, an. Die Brüder Keutsch, vor allem der ältere dieses Geschwisterpaares, gehörten zu den meistgenannten Personen. Wir erfahren auch von dem wichtigen Buch über das Fallen und Streichen im mittleren Europa, von der weitgehenden