Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten. Friedrich Glauser

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Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten - Friedrich  Glauser

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Studer, kennen Sie die Geschichte des Herrn Schmocker? Ich breche damit nicht mein Berufsgeheimnis, denn die Geschichte stand in allen Zeitungen…«

      ›Schmocker?‹ Studer erinnerte sich dunkel an eine Attentatsgeschichte, wußte aber das Nähere nicht und fragte darum bescheiden, was es mit dem Herrn für eine Bewandtnis habe. Da der Schmocker mit dem entwichenen Pieterlen das Zimmer geteilt habe, werde es sicher interessant sein, zu wissen, was man von der Wahrheitsliebe des besagten Schmocker zu halten habe und deshalb…

      »Ge-wiß…« Dr. Laduner nahm Studers Arm und zog ihn mit auf seine Wanderung. Er durchmaß den Gang, die vier Weißmäntel folgten ihm in einer Reihe, trieben leisen Schabernack, wie unbeaufsichtigte Schüler. Ganz hinten rollte der rundliche Oberpfleger.

      »Das Verbrechen des Herrn Schmocker war folgendes: Er trat einem unserer hohen Bundesräte in den Weg und hielt ihm einen ungeladenen Revolver vor die Nase. Dazu sagte er zitternd: ›Ich werde Sie töten!‹ Der betreffende Bundesrat begann daraufhin auf offener Straße zu tanzen, denn er wußte nicht, daß der Revolver ungeladen war und er hatte Angst für sein wertvolles Leben, was sowohl menschlich als auch politisch zu begreifen war. Nachdem unser Schmocker dem tanzenden Bundesrate eine Zeitlang zugesehen hatte, steckte er den Revolver wieder ein, begab sich in seine Wohnung zu seiner Frau und aß dort eine Bernerplatte. Bitte, Studer, lachen Sie nicht. Das steht in den Akten. Die Stadtpolizei ist in solchen Dingen genau. Die Stadtpolizei ist auch rührig, denn sie störte Herrn Schmocker beim Vertilgen der Bernerplatte, nahm ihn mit und sperrte ihn ein. Er konnte zwar beweisen, daß sein Revolver ungeladen war – aber er hatte immerhin eine hohe Amtsperson zum Tanzen gebracht – auf offener Straße noch dazu – und das ist ein fluchwürdiges Verbrechen in einer friedlichen Demokratie wie der unsrigen… Einen Landesvater tanzen lassen!… Da man aber Zweifel hegte an der Zurechnungsfähigkeit des Herrn Schmocker, so wurde er uns zur Begutachtung überwiesen. Er ist ein langweiliger Kerl im Grunde. Sonst fände ich seine Handlung ganz witzig… Aber wissen Sie, er war Getreideagent, vor dem Monopol, und das Monopol hat ihn ruiniert. Die hohen Herren im Bundeshaus waren so anständig – nein, so dumm –, ihn dafür zu entschädigen. Drei Jahre lang hat Herr Schmocker im Monat fünfhundert Franken bezogen und nichts dafür gearbeitet. Nur weil er ein gutes Maul hatte und zu drohen wußte. Man hat ihm Stellen angeboten… Er schlug sie aus. Er wolle keine subalterne Stellung bekleiden, sagte er. Und dann ging den Herren die Geduld aus. Da kaufte sich Herr Schmocker einen Revolver bei einem Trödler, denn sein Herz war angefüllt mit Zorn. Patronen erwarb er keine… Das ist also die Geschichte vom Getreideagenten Schmocker, der sich für den Wilhelm Tell und einen hohen Bundesrat für den Geßler hielt…«

      Dr. Laduner verstummte. Seine Hand hielt noch immer Studers Arm dicht unter dem Ellbogen gepackt. Die beiden blieben vor dem geöffneten Fenster stehen.

      »Dort, der zweistöckige Bau, ist das U 1«, sagte Laduner. »Und der niedere dahinter der Zellenbau vom U 2. Dort sieht es böser aus als hier im B. Denn wir sind im B… Weyrauch!« rief er.

      »Was wünscht dr Herr Doktr?«

      »Wartet der Nachtwärter Bohnenblust im Wachsaal?«

      »Jawohl, Herr Doktr. I ha Ordere gä, der Bohnenbluescht mög warte, bis dr Herr Doktr ihn gseh häb… Jawohl, Herr Doktr…«

      Da ließ Dr. Laduner Studers Arm los und wandte sich einer Türe zu.

      »Paardon… Äksküseeh, Herr Doktr!…« Der Oberpfleger Weyrauch steckte den Passe ins Schlüsselloch, riß die Türe auf. Er stand da wie ein wohlerzogener, sehr verfetteter Kammerdiener:

      »Wenn dr weit so guet sy…« Laduner trat ins Stiegenhaus.

      Wachsaal B

       Inhaltsverzeichnis

      Die Länge des Wachsaals schätzte Studer auf etwa fünfzehn Meter, die Breite auf acht. Der Raum war weiß gestrichen. Zweiundzwanzig Betten in zwei Reihen… Am einen Ende war ein erhöhtes Abteil, in dem zwei Badewannen standen. Dahinter war das Fenster geöffnet und dünne Eisengitter hatte man davor angebracht. Auch durch dieses Fenster sah man den zweistöckigen Bau des U 1.

      Neben dem Abteil mit den Badewannen war eine Tür – mit Glasscheiben im obern Teil –, die in ein Nebenzimmer führte. In der Mitte des Saales trat ein Mauerstück aus der Wand hervor und bildete eine Nische. In dieser Nische war ein kleines Tischchen angebracht. Und davor saß der Nachtwärter Bohnenblust, ein älterer Mann mit einem buschigen Schnurrbart. Er trug einen grauen, an vielen Stellen geflickten Sweater. Auf seiner Stirn war eine Beule.

      Neben ihm, stramm aufgereckt, stand der Abteiliger Jutzeler in weißem Schurz und weißer Kutte, an deren Revers ein weißes Kreuz in rotem Feld aufgenäht war.

      Dr. Laduner trat auf ihn zu, fragte, ob alles in Ordnung sei , erhielt eine bejahende Antwort. Jutzeler sprach im singenden Tonfall der Oberländer. Seine Augen waren braun und sanft, wie Rehaugen.

      Der Nachtwärter Bohnenblust erhob sich mit der Unbeholfenheit eines Mannes, den zu vieles Sitzen unbeweglich gemacht hat. Wenn er tief atmete, rasselten seine Lungen.

      Er solle sitzen bleiben, fauchte ihn Laduner an. Der Nachtwärter Bohnenblust riß die Augen auf, pustete, hockte ab. Laduner nahm hinter einem größern Tisch Platz, winkte Studer neben sich auf die Bank, stützte dann die Ellbogen auf die Platte. Bohnenblust saß rechts neben ihm, vor seinem Tischchen.

      »So, Bohnenblust! Berichtet!«

      Die beiden Assistentinnen lehnten sich an die Wand, der welsche Arzt übte Stepschritte. Dr. Blumenstein stand auf einem Bein und sah in seinem weißen Mantel wie ein Storch aus. In der Stille summte eine Hummel, kam näher, blieb vor Studers Nase einige Augenblicke in der Luft hängen; ihr Bauch schimmerte samten und braun.

      »Der Herr Doktor wird wissen…« sagte Bohnenblust.

      »Der Herr Doktor weiß gar nüt. Der Herr Doktor möchte wissen, woher ihr die Beule am Gring herhabt!« Das Wort ›Gring‹ klang sehr sonderbar in Laduners Mund.

      »Also«, sagte der Nachtwärter Bohnenblust, stand auf, setzte sich wieder, rutschte hin und her, als sei sein Stuhl eine heiße Ofenplatte. »Um 1 Uhr, ich hatte gerade gestochen…«

      »Er muß jede Stunde die Kontrolluhr stechen…« erklärte Laduner dem Wachtmeister.

      »Um 1 Uhr hab ich im Nebenzimmer Lärm gehört. Rufen.« Bohnenblust wies nach der Tür, in deren obern Teil Glasscheiben eingelassen waren. »Ich bin hineingegangen…«

      »Haben Sie Licht gemacht?«

      »Nein, Herr Doktor, der Schmocker reklamiert sonst immer…«

      Laduner nickte, die zwei Assistenten, die zwei Damen nickten, und es nickte auch der dicke Oberpfleger Weyrauch. Es unterlag keinem Zweifel, daß der Bedroher eines hohen Bundesrates im Reklamieren Erfahrung und Geschick haben mußte…

      »Ich bin also hineingegangen«, sagte Bohnenblust und schnaufte Luft in seinen Schnurrbart. »Und dann weiß ich nichts mehr… bis ich wieder aufgewacht bin. Das war gegen halb drei. Dann hab ich die Alarmglocke gedrückt, und dann ist der Jutzeler und der Hofstetter und der Gilgen gekommen. Durch die Mitteltür, und die war verschlossen. Auch die beiden andern Türen waren es, und meinen Passe und meinen Dreikant hab ich immer noch im Sack gehabt…«

      »Zum Öffnen der

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