Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten. Friedrich Glauser

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Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten - Friedrich  Glauser

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die Hälfte der Zeit behalten sie sie einfach im Sack, weil sie dann später heimkommen können, wenn sie einmal zu lang im Dorf gejaßt haben… Stimmt's, Jutzeler?«

      ›Diese Art der Ausfragerei!‹ dachte Studer. ›So kommt man doch zu nichts!‹

      Waren die zwei Ärzte, die zwei Assistentinnen, der Dr. Laduner, waren die fünf Mediziner denn eigentlich blind? Hatten sie noch nie die Spuren eines Schlages auf den Kopf gesehen? Er, der Wachtmeister Studer, ohne sich rühmen zu wollen, brauchte nur einen Blick auf die Beule des Nachtwärters Bohnenblust zu werfen, und dann war er im Bild. Der hatte sich den ›Gring‹ irgendwo angeschlagen, an einer Kante, an einer Türe, an einem Schaft, meinetwegen an einem Mauervorsprung… Aber einen Schlag hatte der Mann nie erhalten… Sollte man den gescheiten Dr. Laduner in Ruhe und Frieden sein Frage- und Antwortspiel betreiben lassen und sich unauffällig verhalten?

      Dr. Laduner fragte:

      »Und der Schmocker ist ob dem Lärm nicht erwacht? Sie sind zwei Stunden ohnmächtig im Nebenzimmer gelegen, und Herr Schmocker ist nicht erwacht? Niemand im Wachsaal hat etwas gemerkt, es sind doch einige Patienten da, die nicht gut schlafen, denen ist nichts aufgefallen?«

      Studer griff ein, so kam man nicht weiter…

      Er sagte: »Wir wollen die Sache auf sich beruhen lassen. Wenn Sie erlauben, will ich versuchen, mir ein Bild von der ganzen Angelegenheit zu machen. Kann ich das Zimmer sehen, in dem Pieterlen zusammen mit dem Bundesratsattentäter gewohnt hat?«

      »Aber bitte, Studer, nur zu, dort ist die Türe…«

      Studer stand auf, trat in den Nebenraum. Zwei Fenster. Das eine sah in den Garten, das andere auf den zweistöckigen Bau des U 1. Zwei Betten. An den Wänden ein Dutzend Kohlezeichnungen. Männerköpfe, sonderbar starr, offenbar nach Photographien gezeichnet. Bäume, die gespenstisch aussahen. Ein großer Kopf, wie aus einem Traum: Breitmäulig, froschhaft. Und ein Mädchenkopf…

      Ein Mädchenkopf. Süßlich, ähnlich, wie man sie auf den vielbegehrten Postkarten sieht, die von Liebesleuten aus dem Volk mit Vorliebe gekauft werden. Aber deutlich war doch, daß das Gesicht nicht nach einer Photographie gezeichnet worden war. Studer zog nacheinander die vier Reißnägel aus der Wand, faltete das Bild zusammen und steckte es in die Tasche. Dann hob er zuerst die eine, dann die andere Matratze. Unter der zweiten fand er ein viereckiges Stück kräftigen grauen Stoffes. Er nahm den Stoff in die Hand, prüfte seine Dicke mit den Fingern, er war solid; Studer schüttelte den Kopf, steckte das Stück in seine Tasche. Sonst war im Zimmer nichts zu finden… In einer Schublade, die er aufzog, fand er Bleistifte, Kohlenstifte, Kreide, ein Fläschchen, das mit Fixativ gefüllt war… Er kehrte in den Saal zurück.

      Die andern hatten sich nicht von der Stelle bewegt. Nur der welsche Assistent probierte jetzt einen schweren Tangoschritt, eine Wendung, mit gleichzeitigem Vorgehen, und der Schritt wollte ihm nicht recht gelingen. Sein Wieselgesicht war kraus und ernst…

      »Das Stück Stoff…« sagte Studer. »Kann mir einer sagen, woher der Stoff stammt?«

      Es war der schlanke Abteiliger Jutzeler, der zuerst antwortete. – Er wundere sich, sagte er, daß der Wachtmeister diesen Stoffetzen gefunden habe. Ob er ihm Bedeutung beilege? Er stamme von einem der Leintücher, die man auf dem U 1 brauche für Patienten, die gern alles zerreißen. Und man habe dem Pieterlen das Stück gegeben – es sei übrigens ein größeres Stück gewesen –, um seine Pinsel damit abzutrocknen… Warum den Wachtmeister das Stück so interessiere?

      Studer erwiderte, er könne eigentlich keinen Grund angeben, es sei denn, daß er es unter der Matratze gefunden habe, ziemlich gut versteckt, in der Mitte des Bettes… Vielleicht sei seine Frage auch eine müßige Frage…

      – Doch weiter. Pieterlen sei gestern an der Sichleten gewesen?

      »Ja.«

      »Wie lange hat das Fest gedauert?«

      »Bis Mitternacht«, antwortete der Abteiliger Jutzeler und verschränkte die Arme über der Brust, so, als wolle er sagen: ›Zum Auskunftgeben bin ich da…‹ Es war entschieden eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihm und Dr. Laduner festzustellen.

      »Und hat Pieterlen getanzt?«

      »Nein. Zuerst hat er sich aufs Tanzen gefreut. Dann aber hat er plötzlich nicht tanzen wollen. Er ist in einer Ecke gehockt, und wir haben ihn nur mit Mühe dazu gebracht, auf der Handharpfe zu spielen… Ein paar Tänze… Er war sehr verdrossen… Wahrscheinlich, weil die Wasem nicht ans Fest gekommen ist…«

      – Die Wasem? Studer wurde aufmerksam.

      »Was ist das für ein Fräulein Wasem?« fragte er und blickte Dr. Laduner treuherzig an. Er sah, wie der welsche Assistent plötzlich in seinen Tanzversuchen innehielt, auf einem Fußballen balancierte, zwinkerte, grinste, während Dr. Blumenstein, auf einem Bein stehend wie ein Storch, rot wurde. Die beiden Damen blickten zur Erde.

      Dr. Laduner räusperte sich. Der Abteiliger wollte Antwort geben, aber der Oberarzt schnitt ihm das Wort ab.

      »Wir hatten Pieterlen in die Malergruppe versetzt«, sagte er trocken. »Die Malergruppe hat in letzter Zeit auf dem Frauen-B Wände gestrichen. Und der Patient Pieterlen hat sich in die Pflegerin Irma Wasem verliebt. Das kommt vor. Es sind da Imponderabilien…«

      »Imponderabilien…« sagte die baltische Assistentin und nickte weise, nur Dr. Neuville, der welsche Assistent, meckerte hörbar.

      »Wasem… Irma Wasem…« sagte Studer verträumt. »Und das Meitschi hat die Neigung des Patienten Pieterlen erwidert?«

      Dabei betrachtete er aufmerksam seine Fingernägel, die kurz und spachtelförmig waren…

      Verlegenes Schweigen… Verlegen?… Nein, nicht ganz. Studer spürte, das Schweigen sollte auch Mißfallen ausdrücken, Mißfallen über sein respektloses Ausfragen. Was gingen einen Fahnderwachtmeister die internen Angelegenheiten einer Heil- und Pflegeanstalt an, sollte das Schweigen wohl besagen. Und das Mißfallen, das ausgedrückt wurde, erstreckte sich auch auf den Dr. Laduner. Sicher war dies wohl der Grund, warum er antwortete:

      »In der letzten Zeit sicher… Ganz bestimmt… Ich wurde auf dem laufenden gehalten…«

      Aber da unterbrach eine gequetschte, hüpfende Stimme Laduners mühsame Erklärung. Der Oberpfleger Weyrauch, dick, gemütlich, mit Schweinsäuglein hinter einer Hornbrille, brachte sich in Erinnerung, sich und seine Körperfülle…

      – Wenn der Herr Doktor erlaube, so könne er ja mit einer Auskunft aufwarten, sagte er. Man habe an den letzten Abenden die Pflegerin Wasem mit dem Herrn Direktor oft spazieren gehen sehen…

      Dr. Laduner winkte so heftig ab, daß es aussah, als sei er in einen Mückenschwarm geraten. Studer lächelte still vor sich hin…

      … Ein Kärtlein mit Hulligerschrift: »Ich läut dir dann um zehn Uhr an. Wir gehn dann spaziren.«…

      Aber Dr. Blumenstein, der vierte Arzt, gewissermaßen der Schwager des Direktors, sagte erbittert:

      »Das sind Klatschgeschichten, Weyrauch. Sie sollten sich schenieren, vor Außenstehenden solche Bemerkungen zu machen!«

      Aber der dicke Weyrauch war nicht in Verlegenheit zu bringen. Er antwortete so unbekümmert, wie nur ein Mann antworten kann, dessen Stellung viel gesicherter ist, als die eines vierten Arztes, er antwortete dröhnend

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